25 ~ Schattenspiel

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Ich saß im Salon meiner Eltern und zeichnete in mein Notizbuch. Die grauen Striche auf dem Papier flossen aus meinem Stift. Man musste eben die Balance zwischen Licht und Schatten finden. Ich umrandete die Pupille des Auges noch etwas stärker.

Je mehr Schatten, desto lebendiger wurde das Bild. Ich hatte so viele Schatten, aber sie machten mich nicht lebendig.

Die Spitze meines Bleistiftes streifte über das Papier, das Grau wurde zu Schwarz. Ich zeichnete die Konturen noch einmal nach, jeder Strich entsprang so lebhaft aus meiner Erinnerung.
Dann nahm ich das Buch und hielt es vor mich. Es war nur der Ausschnitt von seinen Augen, aber sie sahen mich an und glänzten aus der Dunkelheit.

"Was treibst du da schon wieder?", fragte meine Mutter genervt als sie in den Salon gestöckelt kam, mit Erik im Schlepptau. Fast schüchtern schaute er zur Seite, als würde er sich nicht sicher sein, dass zwischen uns alles in Ordnung war.
Ich war sauer und verletzt gewesen, aber ich hatte ihn verstanden. Wir haben es schon so weit geschafft, wir werden es noch weiter schaffen.

Ich stand auf, versteifte meine Miene.

"Du hast es auf das Titelblatt geschafft!", grinste sie und wedelte mit einer Zeitung. Ich schluckte und wagte keinen Blick zu Erik.

"Wer ist das?", fragte sie dann und zeigte auf das Bild mit mir und Erik in Fred's Auto.
Ich zuckte mit den Schultern. "Das bin nicht ich." Sie betrachtete das Bild selbst noch einmal.

"Du weist doch, ich hasse es an der Küstenstraße entlang zu fahren, da wird mir immer ganz schlecht! Auf dem Rückweg sind wir durchs Inland gefahren," erzählte ich und legte zur Demonstration eine Hand auf meinen Bauch. Sie wusste gar nichts über mich.

"Nun ja, immerhin seid ihr im Gespräch!", rief sie unbeirrt und schmiss die Zeitung auf Erik. Der fing sie ungeschickt auf und verzog überrascht über die Attacke sein Gesicht. Ich hätte fast gelacht.
"Wir haben ohnehin wichtigere Dinge zu besprechen," meinte sie dann und winkte Erik zu sich.

Sie wusste Bescheid. Sie wusste, dass das Erik ist. Was hatte sie im Sinn?

"Nimm ihre Maße. Elise! Wir werden jetzt dein Hochzeitskleid planen!", rief sie aufgeregt und begab sich zum großen Tisch. Mein Hochzeitskleid? Hatte das nicht schon irgendein Designer entworfen? Hing es nicht schon bei ihr im Schrank?

Erik kam auf mich zu. Er legte das Maßband um meine Hüfte und schnurrte es. Ich schmolz bei seiner zarten Berührung, dass ich kurz scharf Luft einzog. Ich blickte zu meiner Mutter, die sich nun gesetzt hatte und uns nicht weiter beachtete.

Erik führte das Maßband an meinem Bein entlang. Unwillkürlich dachte ich an den Nachmittag in Saint Tropez, an dem er meine Beine mit seinen Küssen liebkostete. Ich vergaß die Welt um mich herum.
"Heb' deine Arme", sagte er leise, riss mich aus meinen Gedanken und ich folgte seinen Anweisungen.

Er legte das Band um meine Oberweite, seine Hände behütet mich nicht zu berühren, aber ich fühlte sie, wie sie mich mit ihrer Wärme verwöhnten. Ich öffnete meine Augen wieder und Erik grinste mich an.

Dann lehnte er sich an mir vorbei, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spürte und ergriff einen Stift. Ich bekam augenblicklich eine Gänsehaut. 

Ich lächelte verlegen und fühlte das Blut in meine Wangen steigen. Als er mir das Blatt mit den Maßen reichte, streifte er meine Hand und es kribbelte durch meinen ganzen Körper.

Was stellte er nur mit mir an?

"Wie lange dauert das denn?", meckerte meine Mutter und stützte eine Hand in ihre Hüfte.
Ich räusperte mich und ging zu ihr.

Ich setzte mich und entwarf ein paar Kleider. Aber nicht das, was ich im Kopf hatte. Ich wusste ganz genau, wie mein Hochzeitskleid aussehen sollte, aber da das nun mal nicht meine Hochzeit war...

"Ich finde das würde dir ausgezeichnet stehen!", meinte meine Mutter nach einer Zeit und hielt mir einer ihrer Entwürfe hin. Es sah aus wie ein Schneeball aus Tüll und Glitzer. Ich lächelte und zeigt ihr meinen. Es war ein schlichtes Kleid, wie die, die Erik mir genäht hatte, nur länger.

Sie schaute skeptisch. "Na gut, mit einem ordentlichen Schleier wird das gehen."

Ich war überrascht, dass sie nichts dagegen einzuwenden hatte.

"Du da!", rief sie und schnipste mit dem Finger. Ich schaute mit angespannten Kiefermuskeln zur Seite. Erik war kein Hund.

"Das Kleid muss in einer Woche fertig sein," sagte sie zu ihm und überreichte ihm die Blätter.

"Was?", fragte ich entrüstet. Erstens, in einer Woche? Zweitens, Erik sollte mein Hochzeitskleid nähen?

"Am Freitag habt ihr den Termin beim Pfarrer - nach dem Probeessen," teilte sie mit mir als wäre es selbstverständlich.
"Eine Woche?", wiederholte ich ungläubig und schmiss den Stuhl um als ich aufstand.
Sie nahm mir wortwörtlich die Luft zum Atmen.

Erik sah mich mit aufgerissen Augen an. Er wollte das nicht tun. Das Blau in seinen Augen verdunkelte sich im Sekunden Takt. Benommen nahm er die Blätter entgegen und verließ mit einem leisen, "Sehr wohl," den Raum.

"Ach ja, ehe ich es vergesse, morgen kommt William Elen. Er hat es sehr bedauert, dass du dich für Fred entschieden hast. Aber er wollte die Hochzeit auf keinen Fall missen," grinste sie und erhob sich.

Im ersten Moment wusste ich nicht von wem sie redete, bis mir mein Gespräch mit Erik vor einiger Zeit, in der die Welt noch fast normal war, wieder einfiel.

Fred oder Lord Elch, wie immer auch sein Name war, hatte ich gesagt, sonst muss ich nach Kanada, weist du wie weit Kanada ist?

Lord Elch hieß also William Elen und war auf dem Weg hier her. Falls die Hochzeit, wie wir es planten ins Wasser fiel, hielt meine Mutter einen Plan B bereit.

Wortlos schüttelte ich den Kopf während sie mich siegessicher angrinste.

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