19 ~ Über den Tassenrand

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"Na los, mach schon!", fauchte Fred Erik an, der die Golftasche zu Fred's Auto trug. Ich wusste zwar, dass es gespielt war, aber trotzdem trieb es mich zur Weißglut.
"Grüße deine Eltern von mir!", rief meine Mutter von der Eingangstür und winkte uns hinterher.

Ich winkte zurück und stieg auf den Beifahrer Sitz. Erik lud das restliche Gepäck ein und setzte sich auf die Hinterbank. Fred startete den Motor.

Eine Weile fuhren wir im Schweigen. Die Landschaft der kurvigen Straßen zog an mir vorbei. Als wir über den Berg fuhren, folgten wir der Küstenstraße und endlich sah ich das Meer wieder.

"Woher kommst du?," fragte Erik plötzlich und lehnte sich zwischen den Sitzen durch. Überrascht sah ich ihn an. "Ich meine Fred."
Dieser schaute ebenfalls überrascht und verlangsamte das Tempo an einer engen Kurve.
"Ich komme aus La Rochelle."
"Schön."
"Ja, ich liebe es dort. Früher bin ich fast jeden Tag auf das Meer gesegelt."
"Du segelst?", fragte ich überrascht.
"Ja klar," meinte Fred und warf mir ein kurzes Lächeln zu.
"Das muss so toll sein," schwärmte Erik und lehnte sich zurück in den Sitz.
"Oh, das ist es! Wie Fliegen, aber auf dem Wasser", erzählte er und lächelte. Ich starrte ihn an.

So hatte ich ihn noch nie erlebt. Sein Lachen war nicht arrogant oder überheblich, nein, es war irgendwie...echt.
"Ich kann dich das nächste Mal mitnehmen, wenn du magst," meinte er und schaute kurz zu Erik. Ich hob ungläubig meine Augenbrauen.
"Naja, vorausgesetzt ich darf endlich mal segeln gehen."
"Darf?", fragte ich. Er sah mich an. "Deine Mutter hat es mir verboten."

Ich lächelte zufrieden.
"Ich weis schon, was wir das nächste Mal machen, Fred. Ich glaube, meine Mutter muss deinen Deal neu aushandeln." Er grinste zustimmend.

Von einem Moment auf den anderen, kannte ich den Fred nicht mehr der neben mir saß. Er redete ausgelassen mit Erik, lachte befreit und war nicht das arrogante Arschloch. Ich war verwirrt und wusste nicht, wer mein Halbbruder wirklich war. Aber vielleicht würde ich es bald herausfinden.

*

Das Haus war ähnlich wie unseres. Zu groß für die, die darin wohnten. Zu teuer. Einfach übertrieben und eine Schaustellung von Reichtum.

Die mediterrane Eingangshalle war dennoch imposant, aber gemütlich. Fred stieg die Treppen hinauf in einen Flur. Er öffnete eine Tür.

"Also das ist mein Zimmer," meinte er und stellt seine Tasche vor dem Bett ab. "Du schläfst hier, ich bin aber auf dem Sofa," meinte er dann und zeigte Erik sein Zimmer direkt neben dran.
"Auf diesem Stockwerk sind nur wir," meinte er dann und warf uns abwechselnd einen Blick zu. Erik trug meinen Koffer in sein Zimmer.

Danach standen wir im Flur und wieder herrschte diese seltsame Stille.

"Ich gehe mal meine Mutter suchen", erklärte Fred und stieg die Treppen hinab. Ich folgte Erik in sein Zimmer.

"Ich muss mich mal kurz frisch machen ", sagte ich und schloss mich im Bad ein.
Erik köpfte sachte an die Tür. "Alles okay bei dir?"
Ich wusch mein Gesicht mit kalten Wasser. Nein, ich musste mich nicht übergeben. Verwirrt starrte ich in den Spiegel, drehte mich aber so schnell wieder weg, dass ich nur mein fliegendes Haar sah.

"Ja," meinte ich als ich heraus trat und zog eines meiner schickeren Kleider aus meiner Tasche. Etwas ungeschickt quälte ich mich aus meinem Reisekleid. Es war zu warm, der Stoff klebte an meiner Haut und auf einmal überkam mich eine Gefühlswelle.

"Chérie," Erik streichelte meinen Arm und zog mich dann in eine Umarmung. "Es ist alles gut!" Ich kuschelte mich an seinen Brustkorb. Er rückte das Kleid wieder zurecht.

"Ich kann das nicht", nuschelte ich. Er schob mich ein Stück von sich weg, dass ich ihn anblicken konnte. "Es ist alles halb so schlimm. Ich bin bei dir! Und Fred kann auch nett sein. Jeder Mensch ist gut im Herzen."
"Er hat dich ins Krankenhaus prügeln lassen!", entgegnete ich.
"Er hat aus Angst gehandelt, Elise. Haben wir das nicht alle mal?" Ich zuckte mit den Schultern.

"Babe?" Gut im Herzen, naja, das müsste ich herausfinden und ich musste ihm diesen Namen austreiben, denn mir blieb die Luft wieder fast weg.
"Okay," meinte ich zu Erik.

"Meine Mutter erwartet uns im Salon."

Wir betraten den Salon, nah, aber nicht berührend. Seine Mutter wusste schließlich Bescheid, aber wir wussten nicht, ob sein Vater vielleicht noch auftaucht.

Ich sah ihre Statur schon auf der Terrasse hinter der Balkontür. Als sie eintrat, weiteten sich ihre Augen. "Elise, du bist noch hier?", fragte sie mit einem Hauch Mitleid in der Stimme. Ich nickte. Sie umarmte Fred und gab mir ein Küsschen rechts und links auf die Wange.

Wir setzten uns. Marie wirkte völlig aufgelöst, ihr Hände zitterten leicht und ihr Augen waren feucht.
"Was bringt euch zu mir?", fragte sie und schenkte uns Tee ein.

"Wir brauchen deine Hilfe. Anette beginnt schon unsere Hochzeit zu planen! Die spinnt! Sie weis über uns Bescheid, über dich und Henri, über....", er starrte auf den Boden.
Über seine Gewalttätigkeit, ergänzte ich in meinem Kopf.

"Können Sie uns helfen?", fragte ich stattdessen. Sie hielt immer noch die Teekanne, der Tee lief über den Tassenrand hinüber.

Sie starrte uns einfach nur an.

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