31 ~ Hochzeit

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Nebel, rund und um, und ich fiel. Tiefer in die Dunkelheit. Meine Augen sahen nichts, ich konnte nicht mehr denken.

Ich öffnete die Türen zu meinem Balkon. Die salzige Prise wehte mir entgegen als ich ein Bein über die steinerne Brüstung bewegte. Es gab nur einen Weg. Raus.

Das dritte Stockwerk sah viel höher aus als von unten. Ich hatte Angst zu fallen.

Vorsichtig hob ich das zweite Bein über die Brüstung.

"Elise?", hörte ich jemanden schreien. Ich schloss die Augen. Ich wollte in die Tiefe der Dunkelheit. Meine Kraft war leer, ausgetrocknet wie der Grund eines Brunnens.

"Tu das nicht!" Ich drehte mich um und sah Clemance in der Flügeltür stehen. Sie hielt mir eine Hand hin und kam langsam auf mich zu.
"Ich muss aber zu Erik," sagte ich. "Wie bist du hier reingekommen?"
"Deine Mutter sagte, du probierst das Kleid an und brauchst meinen Rat. Dann hat sie mir den Schlüssel in die Hand gedrückt."
Ich lachte bitter auf. Sie war ein einziges Biest. Clemance stand nun fast neben mir und ich nahm ihre Hand.

Sie zog mich sofort in eine Umarmung. "Weist du, Elise, das Dunkel kann auch etwas schönes sein," flüsterte sie und im ersten Moment war ich mir nicht sicher, ob sie das gleiche Dunkel meinte wie ich.

*

Erik hatte ganze Arbeit geleistet. Es war das schönste Kleid, das ich je gesehen hatte.
Es war im A-Linien Schnitt, der obere Teil war mit weißer Spitze bedeckt, dessen Ärmel lose über die Schultern hingen. Der Rock weitete sich bis zum Boden, über dem weißen Stoff schimmerte ein Hauch von blau. Es war kein Meerblau, kein Himmelblau, kein Nachtblau. Es war Erikblau.
Um die Taille war ein seidenes Band in der gleichen Farbe angebracht. Es war atemberaubend schön. 

Leise liefen mir Tränen über meine erhitzten Wangen und voller Ehrfurcht ertastete ich den seidenen Stoff.

"Es ist wunderschön", verlautete Clemance meine Gedanken.

Als ich vor dem Spiegel stand und mich in dem Traum von Erik betrachtete, öffnete meine Mutter die Tür.

"Toll siehst du aus! Etwas schlicht und, ach, es ist ja gar nicht weiß! Aber naja... Ich sehe wenigstens schön aus!", rief sie und lachte selbstgefällig.
Clemance und ich starrten sie einfach nur an.

"Nun ja, hier Clemance, dein Brautjungfern Kleid! Ziehe es an! In zehn Minuten in der Eingangshalle!", trällerte sie, drückte Clemance ein Kleid in die Hand und tanzte aus der Tür.
Wie bitte? War sie nicht mehr bei Sinnen?

"Mutter!", rief ich hinterher aber sie war schon weg.

"Warte...wir sollen in ganzer Montur auftauchen? Was wird das?", fragte Clemance und runzelte die Stirn. "Bestimmt ist es das Probeessen! Elise, schau nicht so!"

"Sie hat mir Erik weggenommen," meinte ich und schaute an dem Traum von Stoff herunter. Sie umarmte mich und drückte mich an sich.

"Wir gehen jetzt da runter, überstehen dieses Probeessen und dann gehen wir Erik suchen. Wir finden ihn wieder, Elise, vielleicht hat sie ihn nur in irgendeinem Zimmer eingesperrt." Sie sah mir aufmunternd in die Augen und ich nickte.
"Okay," war alles, was ich zu sagen wagte.

*

In der Eingangshalle wartete lediglich ein Chauffeur, der meinte, er bringe uns zum Veranstaltungsort.
Wir fuhren in die Stadt, die warme Nachmittagssonne brannte durch das Fenster.
Er hielt vor einer prachtvollen Kirche.

Der Eingang war mit weißen Rosen geschmückt, es war ein lila Teppich ausgerollt und die Kühle der Kirche strömte uns entgehen.

"Clemance?", fragte ich unsicher. Ich konnte meinen Gedanken nicht aussprechen. Das alles war so echt. War das so bei Proben?
Sie zuckte nur mit den Schultern, wohl den gleichen ängstlichen Blick im Gesicht wie ich.

Ein kleines strahlendes Mädchen kam aus der Kirche gerannt und hielt mir einen Strauß aus Veilchen, Lavendel und Gänseblümchen hin. "Danke", sagte ich und versuchte zu lächeln.
"Wir müssen jetzt rein," sagte sie und ihre goldenen Locken funkelten im Sonnenlicht.
Sie nahm mich an der Hand und zog mich in die Kirche.

Das große Tor zum Raum war noch verschlossen. Eine Nonne lächelte mir zu.
"Sie zuerst," sagte sie zu Clemance.
Mein Herz schlug bis zum Hals. Das war falsch. Der wohl duftende Strauß zitterte in meiner Hand. Die Orgel begann zu spielen.

"Was geht hier vor?", fragte ich die Nonne. Sie tätschelte meinen Arm und lächelte. "Na, ihre Hochzeit Mademoiselle Benetau," antwortete sie und schob mich durch die geöffnete Türe. Mein Atem war unkontrolliert, meine Beine wie Algen im Meer, meine Wangen die Wand eines Wasserfalls.

Durch die hohen bunten Fenster der Kirche schien ein warmes Licht. Ich richtete meinen Blick auf die toten Blütenblätter einer einst schönen puren Rose. Die Orgel verstummte.

Die Gäste setzten sich.
Ich stieg eine Stufe hoch.
Jemand schluchzte neben mir. Vorsichtig hob ich meinen Blick. Clemance stand auf dem Podium. Mein Blick folgte ihrem.

Fred stand vor dem Pfarrer in einem weißen Anzug, ein Veilchen in seiner Brusttasche.
Ich stellte mich neben ihn.

"Es tut mir leid," flüsterte er kaum hörbar und starrte auf den Altar. Ohne seine zitternde Stimme hätte seine Visage arrogant und finster gewirkt, wie damals.

"Liebes Brautpaar, ich freue mich, dass wir heute hier zusammengefunden haben."

Ich drehte mich zu meiner Mutter um, die über das ganze Gesicht strahlte. Mein Vater war nicht da. William stand neben ihr und warf mir ein mitleidigen Blick zu.

"Wir sind nun zusammen gekommen, um zu bezeugen, dass die hier Anwesenden den ewigen Bund der Ehe eingehen."

Ich schüttelte den Kopf. Meine Stimme erstickt.

"Ich frage nun Madmoiselle Elise Margereth Benetau, möchten Sie, den hier anwesenden Frederik Fontaine zu ihren Ehemann nehmen?"

Stille.
Totenstille.

Ich hörte ein Klicken. Mein Kopf schnellte zur Seite und ich sah eine Wand aus Reportern.

"Madmoiselle Benetau?" Der alte Pfarrer lächelte mich an.
"Ich...ich will meinen Bruder nicht heiraten," sagte ich und spürte Fred's Blick zu mir schnellen.

"Wie bitte?", fragte der Pfarrer verwirrt.
"Ich will meinen Bruder nicht heiraten," wiederholte ich nun lauter.

Absetze hallten auf dem Marmorboden. "Was sagst du, Kind?", fragte meine Mutter mit Tränen gefüllten Augen, eine Hand vor den Mund gehalten. Sie stützte sich an meinem Arm.

"Fred ist mein Bruder, das weist-"
"Henri hat mich betrogen?", rief sie und begann bitterlich zu weinen. Sofort stürmten Damen mit Hüten auf das Podium.

"Was für eine Schade!", riefen sie durcheinander. Meine Mutter trocknete sich mit einem Tuch die Nase.

"Aber die ganze Hochzeit, alles um sonst!", wimmerte sie.

"Was ist mit William Elen?", rief ein Reporter und zeigte ein Foto mit mir und William am Strand als er mir einen Kuss auf die Wange gab. Und das mit Erik und mir im Auto. Die Lichtverhältnisse ließen die Personen im Schatten. Es hätte jeder sein können.

Das war eine einzig einstudierte Show!

Ich war einfach sprachlos geschockt.
"Also Geschwister kann ich nicht vermählen," meldete sich der Pfarrer zu Wort und schlug seine Bibel zu.

"Ich heirate sie," sagte William plötzlich und stand auf.

Fred trat benommen zur Seite und lies seinen Blick nicht von Clemance.

William nahm meine Hand.

"Fahren Sie fort, Herr Pfarrer."

ERIK Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt