26 ~ Sonnenaufgang

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Ich rannte an ihr vorbei, die Treppen hinunter und stieß die Tür zur Küche auf. Aber ich konnte Erik nicht finden. Ich lief zum Bediensteten Trakt.
2 b.

"Erik?", ich klopfte. Keine Antwort. Vorsichtig öffnete ich die Türe, aber die Kammer war leer. Zwei Stockwerke höher begab ich mich in das Ankleidezimmer meines Vaters, das auch die Schneiderei enthielt. Dieses Haus war einfach zu groß.

Etwas außer Atem trat ich ein. Erik war da. Fred auch. Er saß auf einem Stuhl, Erik kniete vor ihm und verband seine Hand. Ich hielt inne.

"Ich hätte nicht kommen sollen!", zitterte eine Stimme vom anderen Ende des Raumes. Rote Locken sprangen in der hektischen Bewegung auf ihrer Schulter. Clemance fächerte sich mit ihrer Hand Luft zu und ging am Fenster auf und ab.

Die Türklinke in der Hand, ließ ich die Situation auf mich wirken. Verwirrt.

"Elise!", rief Clemance und zog mich in eine Umarmung. Ich hatte nicht in Erinnerung, dass wir so gut befreundet waren. "Er hat ihn geschlagen! Und...und wir sind einfach gegangen...er hat..er", stotterte sie kurz vorm Kollabieren.

Ihr ganzer Körper zitterte während sie immer noch ihre Arme um mich schlang.
"Er ist nicht hier, es kann euch nichts mehr tun", versuchte ich sie zu beruhigen. Endlich löste sie sich von mir und kniete ebenfalls neben Fred.
Er legte seine unverletzte Hand auf ihr Haar.
Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf, so unnatürlich, ungewöhnlich zart war diese Geste.

Ich knallte die Tür zu und drehte den Schlüssel im Schloss. Wenn irgendjemand, Gott bewahre, meine Mutter dieses Zimmer betrat, hätten wir verloren, wenn wir das nicht schon hatten.

"Wir heiraten in einer Woche", sagte ich tonlos. Die Worte brannten auf meiner Zunge.

"Was?", schluchzte Clemance und vergrub ihren Kopf ab Fred's Brust.

"Das ist der Plan", korrigierte ich mich. Erik räumte das Verbandzeug in die kleine Tasche und verstaute sie in einer der Schubladen.

"In einer Woche ist das Probeessen und danach haben wir einen Termin mit dem Pfarrer."

Meine Worte schwebten im Raum, ihre Blicke klebten an mir. Mein Brustkorb wurde schwer wie Blei. Als hätte man mein Herz in Eisen gegossen.

Fred hob seine verletzte Hand. "Es ist ihm egal. Er hat keine anderen Nachkommen", erzählte Fred bedrückt. "Ich dachte, ich könnte ihn überzeugen und dann mit Clemance fliehen."

Er schaute sie an, mit so viel Liebe in den Augen, dass ich ihn nicht wieder erkannte. Wie konnte er so grausam zu mir sein? Wie konnte er so brutal sein?

"Selbst wenn. Morgen kommt William Elen. Wenn ich dich nicht heirate, was ich nicht werde, muss ich ihn heiraten," diese Wahrheit schmeckte bitter. Wie Gin. Wie Nebel. Wie Estragon.

Erik sah mich geschockt an. "Lord Elch?" Ich nickte. "Ich komme hier nicht weg," murmelte ich und lies mich an der Tür entlang hinab gleiten. Ich zog meine Knie zu mir und vergrub mein Gesicht. "Ich komme hier nicht raus", schluchzte ich.
Clemance verstummte und nur das Holpern meines Brustkorbes war zu hören.

Ich hörte, wie sich jemand neben mir nieder lies. Es roch nach Vanille. Unsicher sah ich auf und stellte fest, dass sich Fred neben mich gesetzt hatte.

"Ihr schafft es hier aus. Wir tun alles, um unsere Hochzeit zu verhindern. Wir müssen das Spiel zu Ende spielen und dann helfe ich euch hier raus." Seine Augen durchdrangen mich mit Ehrlichkeit. Er meinte jedes Wort. Ich schluckte und rieb mir die brennenden Tränen von meiner Wange. Er legte vorsichtig einen Arm um meine Schultern.

Mir wurde nicht schlecht. Die Luft weichte nicht aus meinen Lungen. Es war alles...normal.

"Wir sind doch Geschwister. Wir müssen zusammenhalten," er lächelte leicht und schaute dann zu Clemance. Sie war es, die ihn zu einem besseren Menschen machte. Dann stand er auf und ging zu ihr herüber.

Mein Blick schweifte zu Erik, der still am Schreibtisch stand, den Rücken zu mir gedreht. Ich stellte mich neben ihn und sah wie er sich Tränen aus den Augen wischte. Dann sah er mich an.

Die Willenskraft in seinen Augen ließ mein Herz schneller schlagen. "Ich hole uns hier raus," flüsterte er, "ich beschütze dich."

Ich legte meine Hand in seinen Nacken, durchfuhr sein kräftiges dunkles Haar und zog ihn näher zu mir. "Ich weis." Seine Lippen trafen auf meine und all die Wut sickerte in ein Nichts. Ich fühlte mich so schwerelos und sicher als er mich in seinen Armen hielt.

Jemand räusperte sich. "Ich will euch ja ungern unterbrechen, aber...", grinste Fred.
Erik fuhr sich verlegen euch das Haar. "Ich muss mich auch um das Kleid kümmern," meinte er dann und nahm seine Hand von meiner Hüfte. "Du musst das nicht tun," sagte ich und suchte seinen Blick.

"Ja, aber wie gesagt, wir müssen das Spiel gewinnen." Dann widmete er sich dem Entwurf. Ich drückte ihm noch einen Kuss auf die Wange bevor mich Clemance an der Hand zog.

"Dann zeigen wir mal deiner Mutter, wie ernst du diese Hochzeit meinst," lächelte sie. Fred lächelte sie an und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. "Ich sehe dich dann beim Abendessen, Elise," sagte er und ging.

Also machten wir uns auf den Weg. Sie erzählte meiner Mutter, dass sie mit mir Schuhe für das Kleid kaufen wollte. Meine Mutter war endlos begeistert und kam gar nicht mehr aus dem Schwärmen heraus.

Wir gingen in die Stadt von Nizza und klapperten jeden Schuhladen in der Stadt ab. Hier und da kam uns ein lästiger Fotograph entgegen, den wir versuchten abzuwimmeln.
Es war lustig, obwohl ich so lange nichts mehr mit ihr unternommen hatte.

Sie war auch nicht die eingebildete arrogante Schnepfe, wie ich sie kannte. Clemance war fröhlich, versuchte in dieser schrecklichen Situation noch positives zu finden. Sie erzählte von sich und Fred, dass Fred's Vater sie nicht leiden konnte, wobei sie plötzlich ganz still wurde.

Fred's Vater war wohl so schlimm wie meine Mutter. Wir alle hatten wohl diese Arroganz als Schutz aufgebaut. Ob ich auch arrogant wirkte? Ich wusste es nicht.

*

Als ich am Abend den Flur zum Essenzimmer entlang ging, konnte ich bereits Gelächter und laute Stimmen wahrnehmen.
Der Tag mit Clemance war schön gewesen und mir war bewusst geworden, wie sehr mir eine Freundin fehlte.

Obwohl die Situation aussichtslos schien, riss ich mich zusammen. Für mich, für Erik, für Clemance und Fred, für meinen Vater, für Rosella.

Sie saßen noch nicht am Tisch, sondern hatten sich auf dem kleinen Balkon versammelt, der das goldene Licht in das dunkle Zimmer ließ. Als ich näher trat, erkannte ich den Grund für das Gelächter.

Er hatte Kaffeebraunes Haar, ein Lachen so herzlich wie die Sonne und seine grünen Augen strahlten mich an, nahmen mich unwillkürlich ein, das es mir kurz den Atem nahm.

William Elen.

ERIK Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt