32 ~ Über Freundschaft

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Es herrschte wieder eine Totenstille.

Ich sah William mit großen Augen an.
"Nun gut, Sie sind William Elen? Sind Sie denn auch getauft?", fragte der Pfarrer und hob eine Augenbraue an.

"Nein, Herr Pfarrer. Ist das von Nöten? Ich bin Jude."

Der Pfarrer schlug erneut seine Bibel zu und schüttelte den Kopf.
"Es tut mir leid, Madame Benetau. Ich kann diese Leute nicht vermählen. Gehen sie doch bitte zum Standesamt."

"Aber...", stotterte meine Mutter. Dennoch wagte sie es nicht, etwas gegen den Pfarrer zu sagen.

Sie neigte den Kopf und verlies mit ihren Hutgefolge die Kirche. Die anderen Gäste folgten und die Ruhe wurde von Schritten und Gemurmel unterbrochen. "Zum Standesamt," murmelten die Leute durcheinander.

Wie angewurzelt stand ich da, zitterte heftig und vergaß zu atmen.

William zog mich in eine Umarmung. "Lass uns verschwinden," flüsterte er mir ins Ohr und leitete mich vom Podium.

Wir stiegen in ein Auto, in dem bereits Fred am Steuer und Clemance auf dem Beifahrersitz saß.
"Lasst uns Erik suchen," sagte Fred als wir die Türen schlossen hatten und startete den Motor.

"Aber...?", mein rasendes Herz stiehl mir jegliche Luft.

*

Vor unserem Anwesen kam Fred zum Halt.
"Okay, Clemance und ich gehen rein," kündigte William an und schnallte sich ab.
"Fragt Rosella, sie könnte vielleicht wissen, wo er ist," flüsterte ich.

Die Blumen in meinem Schoß waren schon fast vertrocknet und ließen traurig ihre Köpfe hängen. Die Minuten waren unendlich lange, keiner von uns wagte es zu sprechen. Es könnte alles aus dem Gleichgewicht bringen.
Ich hatte Fred noch nie so verstreut gesehen. Plötzlich klingelte sein Handy.

"Ja? Ich bin auf dem Weg, wir wollten uns noch kurz frisch machen, der Arme ist total aufgeregt," sagte er in einem Ton, der so gar nicht zu seinem Gesichtsausdruck passte. "Ja, wir beeilen uns." Er steckte das Handy in sein Jackett.

"Das war deine Mutter. Sie warten schon." Ich atmete laut aus, kurz davor den Verstand zu verlieren.
Dann sah ich Rosella aus dem Haus stürmen, gefolgt von Clemance und William.

"Zum Hafen!", rief sie verängstig und bevor William und Clemance die Türen richtig geschlossen hatten, leitete Fred das Auto aus der Einfahrt hinunter zum Hafen.

"Was ist?", fragte ich, denn keiner sagte ein Wort und keiner antwortete.

*

Der Hafen war überfüllt mit Menschen, die sich sie großen teuren Yachten ansahen.
"Sie will ihn mit ein Schiff nach Sardinien bringen," erzählte William hastig als wir den Steg hinunter eilten.

Ich erkannte die Yacht meiner Mutter, auf dem das Personal arbeitete und die letzten Sachen an Bord lieferten.

"Ich gehe zu meinem Boot, Steg 2b, ich mache alles bereit," sagte Fred, nahm Clemance an die Hand und bog rechts ab.

2b. Etwas schmerzte in meiner Brust.

Als William merkte, dass meine Schritte langsamer wurden, nahm er mich an die Hand und hievte mich auf die Yacht.

"Mademoiselle Benetau wünscht das Boot zu durchsuchen," sagte er dem Kapitän, der aus dem Inneren der Yacht kam.
"Ich habe Anweisungen
niemanden auf das Schiff zu lassen und abzulegen." Er warf mir einen entschuldigenden Blick zu. An dieser Anweisung hing wohl auch das Leben seiner Liebsten.

Ich drängte mich an ihm vorbei und rief nach Erik. William hatte sich mit den Bodyguards angelegt.

Ich rief seinen Namen immer und immer wieder. "Elise?", hörte ich plötzlich eine leise Stimme als ich an einem Schrank im Flur vorbeilief.

Sofort riss ich die Türen auf. Völlig benommen saß er da, die Augenlieder halb geschlossen, komplett weggetreten. Was hatten sie ihm verabreicht?

Ich versuchte ihn hoch zuheben, aber ich war einfach zu schwach. "Lass mich," brummte er und wandte sich von mir ab.
"Ich lasse dich nicht hier zurück!"

Irgendwie schaffte ich es ihn aus dem Schrank zu heben. Er lag nun auf dem Boden und grinste seltsam. "Du siehst so wunderschön aus!"

"Erik! Komm zu dir! Hilf mit!" Er kicherte und schloss die Augen. "Das Gift tötet mich sowie so. Lass mich einschlafen."

"Was für ein Gift?", fragte ich entsetzt und kniete mich neben ihn. Ich konnte es nicht alleine. "Erik!"

Ich hörte Schritte auf dem Parkett. "Was ist mit ihm?", fragte William mit einer blutenden Nase.
"Gift", sagte ich benommen. Er zog Erik hoch und schleppte ihn den Gang entlang.
"Jetzt komm Elise! Wir haben keine Zeit!" Wie in Trace rannte ich hinterher.

Von Bord.
Den Steg entlang.
2b.

Es war ein vergleichsweise kleines Boot, der Motor lief bereits.
Fred nahm Erik's anderen Arm und sie stemmten ihn auf das Boot. Sofort startete Fred den Motor und wir fuhren aus dem Hafen.

Plötzlich hörte ich einen Schuss.

"Geht rein!", rief Fred und duckte sich. William schleifte Erik in die Kabine, Clemance und ich folgten.
"Warum schießen sie auf uns?", hörte ich Clemance fragen, die sich in eine Ecke unter dem Waschbecken verkrochen hatte.

Keiner antwortete ihr.

William hatte Erik auf eine Pritsche gelegt, der immer noch benommen seltsame Sachen vor sich hin murmelte. "Wir brauchen einen Arzt," stellte er fest und lies sich dann neben der Pritsche nieder.

Ein weiterer Schuss. Sirenen.

"Ich kann helfen," meinte Clemance plötzlich. "Ich bin Krankenschwester."
Sie erntete verwunderte Blicke von mir und William. "Ich habe heimlich eine Ausbildung gemacht," beantwortete sie die schwebende Frage im Raum.

Sie saß immer noch zusammen gekauert unter dem Waschbecken. "Dann komm her!", forderte William sie auf.

Vorsichtig kroch sie hervor, krabbelte über den Boden neben Erik. Ich stand immer noch wie angewurzelt an der Treppe. 
Sie begutachtete ihn, und ich stellte fest, dass ich doch so wenig über sie wusste. Und auch über William. Was hatte er doch gleich studiert? Mir kam es nicht mehr in den Sinn.

"Es sollte ihn beruhigen, aber die Dosis war hoch," stellte sie fest.

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