Ich ließ meinen kompletten Alltag an mir vorbeiziehen und ließ mich vom Strom mitreißen. Ich stand morgens auf, ging in die Schule, kam nach Hause, machte Hausaufgaben, legte mich nachmittags ins Bett und schlief, bis ich morgens wieder in die Schule musste.
Immer wieder das Gleiche.
Seit ich aus dem Krankenhaus gekommen bin, hatte ich kein einziges Bild mehr gemalt. Zu sehr schmerzte die Erinnerung an das Bild von Maya. Wo das war, wusste ich nicht. Vielleicht hatte es Maya sich geholt und es zerstört. Vielleicht kam sie nachts unsichtbar in mein haus und hat es geklaut. Vielleicht macht sie aber nachts auch jemand anders in sich verliebt, um denjenigen in ihre komische Selbsthilfegruppe von Frauen zu bekommen. Ich hatte Maya generell nicht mehr gesehen. Weder in der Schule, noch irgendwo anders. Das war mir aber ganz recht. Solange ich sie nicht sehen musste, tat es nicht so sehr weh. Solange konnte ich so tun, als wäre alles okay. Aber in Wirklichkeit war ich von innen her ausgeholt und komplett leer. Ich fühlte nichts und sobald ich an Maya dachte, durchfuhr mich ein derartiger Stich, dass ich krampfhaft stehen bleiben musste. Ich hatte die Liebe des Lebens verloren und würde nie wieder lieben können. Ich würde für immer alleine bleiben. Ich würde nie mehr malen oder zeichnen. Nicht ein mal eine kleine Figur in mein Matheheft.
Jedes Bild, das ich von Maya gemalt hatte und noch gefunden hatte, hatte ich verbracht. Für mich war sie gestorben und es war mir egal, was sie mit ihren bescheuerten Frauen machte. Sollten sie sich doch verkleiden und so tun, als wären sie etwas Besonderes. Für mich klang das sehr kindisch.
Wenn ich im Schulflur und auf der Straße verliebte Pärchen sah, musste ich mich fast übergeben, weil diese Personen noch nicht das Leiden eines Liebeskummers erleiden hatten und dachten, alles wäre in ihrer rosaroten Welt perfekt. Bescheuert.Ich war perfekt in meinem Egal- sein- Modus, als mir das Schicksal ein Strich durch die Rechnung machte. Da stand sie vor meinem haus und wartete auf mich. Ich blieb wie angewurzelt stehen und betrachtete sie. So schön konnte auch nur sie sein. Ihr wunderbares hellbraunes haar war leicht gelockt und ihre eisblauen Augen starrten auf meine Haustür. Warte... was?! Maya ist für mich gestorben. Endgültig. Ich würde jetzt einfach an ihr vorbei gehen und sie ignorieren.
Ich versuchte mein Fuß vom Boden abzuheben, was nicht ganz funktionierte. Alles in mir sträubte sich gegen die Begegnung mit Maya. Alles in mir wollte einfach wegrennen.
Schließlich schaffte ich es, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Ich konzentrierte mich komplett auf Maya. Plötzlich stieß gegen etwas Hartes, was mir einen kurzen Aufschrei entlockte. Maya drehte sich erschrocken um und sah mich geschockt an. Sofort verschwand der Schmerz in meinem Fuß und der riesige Schmerz in meinem Herz ersetzte diesen. Maya. Mayas erschrockener Blick wich einem Blick, den man nicht genau deuten konnte. Er sah etwas nach Trauer, Reue, Schüchternheit, aber auch etwas von Hoffnung aus.
Das Loch in meinem Herz wurde immer größer. Immer tiefer grub es sich in meine Seele. Nach dieser langen zeit, in der ich so tat, als wäre mir alles egal, tat es so weh, plötzlich wieder etwas zu fühlen. Maya trat einen Schritt auf mich zu, aber ich wich direkt einen Schritt zurück und sah sie verstört an. Sie atmete kurz ein. „Bastian...", flüsterte sie und sah mir in die Augen. Wie konnte mir ein Mädchen so große Schmerzen zufügen? Was war aus mir geworden? Wie hatte ich denn vor Maya gelebt? Also ohne sie?
Sie sollte nie wieder meinen Namen aussprechen. Ich wollte nie wieder ein Wort von ihr hören. Alles nur Lügen. Es kamen nur Lügen aus ihrem Mund. Nie wieder würde ich ihr irgendein Wort aus ihrem Mund glauben.
„Bastian...", wiederholte sie. „Du bist tot für mich. Ich rede nicht mit Toten.", sagte ich versucht kühl und ging an ihr vorbei. Sie packte mich jedoch am Handgelenk und zog mich zu ihr. „Lass mich los! Du hast mir schon genug getan! Willst du mir jetzt auch noch körperlich weh tun?! Los! Schlag mir in die Fresse, wenn es deine Anführerin so will. Noch schlimmer kann es gar nicht werden! Los, Schlag mich!", schrie ich sie an und ließ meine komplette Wut an ihr aus. Als hätte ich ihr auf die Brust geschlagen, sog sie die Luft ein und schaute auf den Boden. Sie drehte sich weg und ließ mich los. Ich ging ein paar Schritte weiter, blieb dann aber noch einmal kurz stehen. Maya stand immer noch hinter mir. Ich drehte meinen Kopf ein wenig. „Geh jetzt, Maya. Sonst werden dich die Engel erschießen.", hörte ich aus meinem Mund. Schon wieder sog sie die Luft ein und ich sah aus dem Augenwinkel wie sie mich anblickte. Wütend schrie sie: „Erzähl du mir nichts von Engeln! Diese Mistviecher werden uns alle umbringen! Sage nie wieder, diese Viecher würden mich erschießen! Du weißt nicht. Nichts. Gar nichts, weißt du von diesem Thema!" Sie drehte sich um und war plötzlich nicht mehr da.
Ich ging durch das Gartentor und öffnete die Haustür. Ich lief ohne auf das „Hallo" meiner Mutter zu antworten in mein Zimmer. Dort setzte ich mich an das offene Fenster. Ich atmete tief ein und aus. Was hatte ich da eben gesagt? „Die Engel würden Maya erschießen?" Ich weiß nichts über Engel, aber anscheinend ist das ein sehr beliebtes Thema meines Unterbewusstseins. Diese Frauen verkleideten sich als Engel, ich hatte etwas über Engel gesagt und Maya flippt bei diesem Wort aus und verschwindet.
Was hatte das alles miteinander zu tun?
Warum reden alle auf einmal über Engel? Was ist an denen so toll?
„Was an mir so toll ist?", fragte eine bittere Stimme hinter mir. Erschrocken drehte ich mich um, sah aber niemanden. Ich drehte mich verwirrt wieder zum Fenster. Ich erschrak, als ich auf meiner Fensterbank eine Frau ungefähr achtzig Jahre alt, sah. Sofort rollte ich ein Stück mit meinem Schreibtischstuhl zurück. Die Frau hatte tiefe falten und schneeweißes haar. Ihre Augen waren kleine Schlitze, die, glaube ich, braun waren. Sie hatte ein weißes Oberteil und einen schwarzen bodenlangen Rock an. Sie lächelte mich nett an. Die weißen haare hatte sie elegant zu einem langen Zopf geflochten. Sie hatte die Beine über einander geschlagen. Sie sah noch sehr fit für ihr Alter aus.
Wer war das?
„Wer ich bin?", fragte die Frau, die sich jetzt nicht mehr ganz so bitter an hörte. „Mein Name ist Aristéa."
Ich nickte und blieb sicherheitshalber auf Abstand. „Du hast doch so viele Fragen an mich. Warum fragst du nicht? Jetzt bin ich schon hier und du starrst mich einfach an." „Äh... wer bist du?" Verwirrt blickte sie mich an. „Aristéa. Ich höre doch bis hierhin, wie viele Fragen du hast. Deine Gedanken bestehen nur aus Fragen. Fängst du jetzt bitte endlich an?" „Ich kann dich alles fragen?", fragte ich misstrauisch. Sie nickte genervt und ich überlegte, was ich fragen sollte. „Wie wird das Wetter morgen?" Sie sah mich entgeistert an. „Wie? Du hast so tausend wichtige Fragen, die dich seit Wochen begleiten und du frägst nach dem Wetter?! Fang doch einfach mal mit dieser Maya an. Du denkst nur an sie. Warum sie dich so verletzt hat?" Woher kannte diese Frau meine Gedanken. Aristéa war sehr unheimlich...*************************************
Und, was würdet ihr Aristéa fragen, wenn sie jede Antwort kennen würde? Gruselig oder cool?
Würde mich über eure Meinung in den Kommentaren freuen.
S.~
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Die Todesengel
Teen FictionIn diesem Buch geht es um Bastian, der durch seine große Liebe an einen mysteriösen Zirkel von Leuten gerät, die nichts besseres im Sinn haben, als ihm das Leben zur Hölle zu machen. Morde, Todesfälle, Krankheiten usw. Ein Kampf zwischen Engel und T...