Kapitel 22

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„Es war übrigens sehr unhöflich von dir meine beste Freundin zu ignorieren!", weckte mich eine hohe Stimme. Ich setzte mich in meinem Bett auf und schaute auf meinen Wecker. Halb zwei Uhr nachts.
Ich seufzte und blickte durch mein Zimmer, um zu schauen, wessen Stimme mich geweckt hatte.
Ich sah ein Mädchen vor meinem Bett im Schneidersitz hocken. Sie beobachtete mich aufmerksam mit ihren schönen Bernsteinfarbenen Augen. Schüchtern lächelte sie mich an, doch ich erwiderte nur schroff: „1. Ich habe niemanden ignoriert.
2. Wer bist du und
3. Wie bist du in meine Wohnung gekommen?"

Ich ließ meinen Kopf wieder in mein weiches Kissen fallen, aber ein spitzer Finger in meinem Bauch ließ mich wieder aufsitzen.

„Das ist doch unerhört! Jetzt verleugnest du sie auch noch! Und sie hatte gedacht du sähest nett aus. Und solange du nicht höflicher bist, beantworte ich dir auch deine Fragen nicht!", meinte sie keck.
Ich musste schmunzeln. Sie hatte etwas an sich, dass man nicht genau definieren konnte. Ich wusste auch noch nicht ob es etwas Gutes oder Schlechtes war.
„Okay, du hast gewonnen. Richtest du deiner Freundin bitte aus, dass es mir sehr Leid tut, dass ich sie ignoriert habe? Ich werde meine Ohren überprüfen lassen, falls ich sie überhört haben sollte.", sagte ich und hielt ihr meine Hand als Friedensangebot hin.
Empört meinte sie darauf: „Du hast sie gehört, meinte sie und dann bist du einfach weiter gegangen! Deine Ohren sind mir egal, aber du sollst niemanden ignorieren obwohl du ihn gehört hast! Das ist gemein!" Sie schob ihre Unterlippe ein wenig vor und erinnerte mich an Lia. Ach Lia...
Wen könnte ich denn gehört haben und dann ignoriert? Ich habe allen Besuchern die Hand gegeben und außerdem ruft man nichts und niemanden in einer Ausstellung. Aber, warte... Das wird doch nicht...
„Sag mal, erkläre mich für verrückt, aber bist du vielleicht ein Engel?", fragte ich aufgeregt.
„Warum sollte ich dich für verrückt erklären? Sollte das eine Beleidigung sein? Pff!", meinte sie. Also war sie ein Engel. Sonst wäre sie nicht beleidigt deswegen.
„Nein, entschuldige vielmals. Es tut mir sehr leid, dass ich deine Freundin im Bild ignoriert habe. Ich dachte ich wäre verrückt.", redete ich mich heraus.
Sie lächelte mich nun frech an und sagte: „Geht doch." Sie nickte zufrieden.
Sie hatte sich inzwischen auf meine Bettkante gesetzt und saß nur noch einen Viertel Meter von mir entfernt.
Ihre zartbitterschokoladenen Haare fielen in leichten Wellen um ihr Gesicht und reichten ihr ein wenig über die Schultern. Sie musste ungefähr meines Alters sein oder jünger. Sie hatte ein amüsiertes Funkeln in den Augen, was mich schier verrückt machte. Ihre Haltung war aufrecht und ihre schönen und weich aussehenden Hände lagen in ihrem Schoß.
„Jetzt aber zu meinen Fragen: Wer bist du und wie kamst du in meine Wohnung?", die letzte Frage erübrigte sich, als ich zum Fenster sah. Es war weit geöffnet und die Vorhänge blähten sich vom Wind leicht auf.
„Okay. Wie du ja jetzt schon weißt bin ich ein Engel. Ein guter. Und mein Name ist Leia. Du musst dich nicht vorstellen, ich weiß wer du bist. Bastian. Jeder kennt dich. Den kleinen Kinder wird jetzt schon eingetrichtert, dass du der Held sein wirst, auf den sich alle stützen. Jeder kennt deinen Namen, dein Geburtsdatum, dein zukünftigen Todestag..." „Mein zukünftigen was?! Ihr kennt schon meinen Todestag?", fragte ich schockiert. „Ja, es ist der..." „Stopp! Ich will ihn gar nicht wissen. Okay, verstanden. Ich bin der zukünftige Held, nach eurem Wissen. Da ihr genau wisst, dass ich für euch kämpfen werde, nicht wahr? Aber ich kämpfe für niemanden und du kannst direkt gehen, ich lasse mich nicht überreden!", sagte ich stur und wollte mich wieder hinlegen, doch Leia stoppte mich. „Nein, ich will dich doch auch gar nicht überreden! Alle denken, es wäre so ein großer Krieg, aber so einen hatten wir schon oft. Wir müssen nur mal wieder den Todesengeln beweisen, dass wir stärker sind, als sie, da sie es nicht verstehen wollen. Aber deswegen bin ich gar nicht da.", sie schüttelte den Kopf, „Nein, ich wollte einfach mal gucken, wer du bist. Ich sah dein Bild In meinem Geschichtsbuch und wollte dich einfach kennenlernen. Ich wollte wissen, ob du wirklich so ein bescheidener, guter Schüler in de Schule bist und ob du so bist wie dich alle beschreiben.", erklärte sie mir auf einmal kleinlaut. „Okay. Weißt du es jetzt? Oder willst du mir den wahren Grund sagen, warum du da bist?", meinte ich und sah ihren ertappten Blick. Dieser kleinlaute und schüchterne Ton hatte nicht zu ihrer Natur gepasst. Heißt, sie log.
Ihr Kopf schnellte nach oben und mit selbstbewusster Stimme meinte sie: „Ich will auch endlich mal machen was ich will. Und ich will die Welt kennenlernen. Deine Welt. Ich will wissen wie du lebst und alles machst. Ich will das Leben eines Menschen kennenlernen!" So hatte ich sie kennengelernt. Voller Selbstbewusst und Stärke. „Und was soll ich jetzt machen? Mach doch was du willst!", ließ ich sie noch ein bisschen schmunzelnd zappeln. „Naja, ich wollte fragen... ob du... naja...ob ich vielleicht... äh... ein bisschen bei dir bleiben dürfte?", fragte sie mich stotternd. Ich lächelte und meinte: „Okay. Unter einer Bedingung", sie nickte hefig mit dem Kopf, „du darfst mich nicht anlügen, austricksen oder sonst dergleichen. Außerdem machst du was ich sage und benimmst dich! Verstanden?", sagte ich mit gespieltem strengem Ton. Eindeutiges Nicken von Leia war die Antwort.
Ich lächelte sie wieder an und sie lächelte mit roten Wangen zurück.
„Äh... wie machen wir das jetzt? Wo willst du schlafen?", fragte ich zögernd.
Sie schaute sich im Schlaf-/Wohnzimmer um und biss sich überlegend auf die Lippe.
Schließlich meinte sie: „Ich bleibe hier." Sie zeigte auf den Boden vor dem Bett und ich schüttelte den Kopf. „Nein, du kannst nicht auf dem Boden schlafen. Außerdem wäre es unhöflich von mir, dich auf dem Boden schlafen zu lassen während ich in einem gemütlichen Bett liege." Ich zog eine Augenbraue hoch und schaute sie an.
Sie grinste frech und erwiderte: „Dann schlafe ich eben in deinem Bett und du auf dem Boden." Ich grinste schief. Dann stand ich auf und schlug die Decke zurück.
„Die Dame?", fragte ich gespielt höflich.
„Aber entschuldigen Sie. Ich würde mich gerne noch vorher umziehen, wenn das möglich wäre. Hätten Sie eine Art Schlafanzug für mich?", stieg sie auf das Spiel ein.
Ich kramte aus meinem Schrank einen T-Shirt und eine Jogginghose und reichte es ihr.
Leia nahm es dankend an und verschwand im Badezimmer.
Ich rollte währenddessen meine Isomatte vor dem Bett auf dem Teppichaus und hievte meinen Schlafsack von meinem Schrank. Dann nahm ich ein paar Kissen von meiner Sitzfensterbank und verteilte sie auf meinem Nachtquartier.
Leia kam in meinen viel zu großen Sachen aus dem Badezimmer. Die Jogginghose warf sie mir wieder zu und meinte: „Das T-Shirt reicht. Es ist ja fast wie ein Kleid."
Dann legte sie sich ins Bett und ich in meinen Schlafsack.
„Danke, Bastian. Danke, dass du mich aufgenommen hast und mir deine Welt zeigst. Du bist echt nett. Ich benehme mich auch. Jetzt werde ich ein richtiges Mädchen in deiner Welt", sagte sie bevor sie einschlief.
Ich beobachtete sie noch ein bisschen wie sie schlief und lauschte auf ihren regelmäßigen Atem. Dann schlief ich auch ein.
Ich hatte eine Freundin gefunden.

                                  

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