Ich hatte einen Entschluss gefasst. Ich würde mich für Lia rächen. Sie hatte es nicht verdient von diesen Gestalten umgebracht zu werden. Sie hätte ein wunderbares Leben geführt. Hätte irgendwann geheiratet, Kinder bekommen und wäre glücklich. Nein, das alles konnte sie nun nicht mehr werden oder haben. Sie würde nie wieder glücklich sein, lachen oder sonst etwas tun.
Sie würde nun für immer in ihrem Sarg unter der Erde liegen bleiben und sich nie wieder bewegen.
Am Sonntag wäre ihre Trauerfeier, zu der ich auch eingeladen war. Ich würde nicht hingehen. Ich würde nur verkrampft dort sitzen und mich beherrschen, nichts den Eltern von Lias Mördern zu erzählen. Das würde ich nicht überleben.
Meine Eltern wussten, das von Lia und wie sehr mich das schmerzte. Sie hielten sich aber lieber aus meinen Angelegenheiten heraus, da sie nicht wusste, wie sie mir helfen sollten.
Es war Sonntag und ich lief in schwarzen Jeans und einem schwarzen T-Shirt in den Wald. Ich lief ein bisschen wild durch die Gegend, als ich einen schrecklichen Schrei hörte. Er klang ab und kurz darauf folgte dem ersten ein zweiter. Ich lief in die Richtung, aus der die Schreie kamen. Plötzlich hörte ich sie nichts mehr von rechts, sondern von links. Schnell lief ich wieder zurück. Immer wieder stieß eine Person so grausame Schreie aus. Wie es der Zufall wollte, kam ich an die Lichtung der Todesengel, wo ich in den Schatten der Bäume stehen blieb. Meinen Körper platzierte ich hinter einen dicken Baumstamm und mein Kopf schaute auf die Lichtung.
Hätte ich damals, als ich noch so dumm und neugierig war, gewusst, das ich von diesem Bild ein lebenslanges Trauma haben würde, hätte ich wahrscheinlich meinen Kopf nicht zu dem Schauspiel gedreht. Denke ich jetzt an diese Zeit zurück, fallen mir so viele Dinge ein, die ich lieber gemacht hätte, als dieses Bild anzuschauen. Ich wäre lieber nackt durch ein Piranhabecken geschwommen oder mit einem wilden Grizzlybären gekämpft. Alles lieber, als so ein schlimmes Schauspiel beobachten zu müssen. Ich würde in den darauffolgenden Nächten kein Auge mehr zu tun können, würde nie wieder klar denken können, könnte nie wieder ohne dieses Bild im Unterbewusstsein leben.
Wir gerne würde ich jetzt den jungen Bastian anschreien und rufen: „Sei nicht so dumm, Junge! Tu das nicht! Du bringst uns beide damit um!" , aber leider kann ich das jetzt nicht mehr.
Auf der Lichtung sah ich Maya. Sie hatte ein Messer in der Hand und hatte einen eiskalten, undurchdringlichen Blick in den Augen. Ihre Zähne waren so aufeinandergepresst, dass man diese sah und ihre Lippen ein gruseliges Grinsen bildeten. Das Messer hob sie auf jemanden gerichtet, den ich nicht erkenn konnte, da er auch in den Schatten der Bäume kauerte.
Maya zeigte mit ihren linken Zeigefinger auf diese Person, die dann wie von einer unsichtbaren Macht von einer Schnur herangezogen wurde. Die Frau hatte ihr Gesicht in den Händen verborgen und schluchzte ganz fürchterlich. Sie kauerte an Mayas Füßen und weinte so schlimm, dass ich kurz davor war, aufzuschreien und wegzurennen, damit ich dieses Weinen nicht mehr hören musste. Aber nein, ich blieb hinter dem Baum stehen.
Maya hob mit ihrem Zeigefinger den Kopf der Frau, ohne diesen zu berühren. Maya blieb die ganze Zeit stehen und zeigte nur mit dem linken Zeigefinger auf sie. Ich erkannte nun die Frau. Ich kannte sie schon mein Leben lang und alle schönen und schlechten Momente mit ihr spielten sich in Zeitraffer vor meinem inneren Auge ab. Die Frau hatte ein rotes, fleckiges Gesicht von dem ganzen Weinen und es zerbrach mir das Herz sie so sehen zu müssen. Niemand sollte sich jemals so elend fühlen, wie diese Frau. „Tja, jetzt stehst du hier und wünscht dir, nie geboren zu sein.", sagte eine eisige Stimme hinter mir. Ich konnte mich nicht bewegen und musste somit zusehen, wie Maya, die sich nun zu der Frau heruntergebeugt hatte, die Messerklinge am Hals der Frau entlangfahren ließ. Ganz sachte, als wollte die tödlich Waffe die Frau nur streicheln. Aber dem war nicht so.
Die Frau schrie noch einmal fürchterlich auf, bevor Maya ihr die Kehle gähnend langsam durchschnitt. Die Frau gab ein erstickendes Geräusch von sich und schrie ein letztes Mal: „ Oi ángelos tha sas pyrovolísoun, na sas vrómika i psychí!" Warum auch immer verstand ich, was die Frau sagte: Die Engel werden dich erschießen, du Schmutz der Seele! Warum verstand ich griechisch?!
Die Frau sackte leblos zusammen und hing noch teilweise an Mayas Beinen.
Maya atmete schnell ein und aus. Stoßartig sog sie die Luft ein und schnell kam sie wieder aus ihr heraus.
Maya blickte die Klinge an und grinste böse. Warum hatte sie das getan?
Maya hob die Klinge und den linken Arm. Über ihrem Kopf schnitt sie sich in ihr eigenes Fleisch. Sie lachte bei dem Schnitt und ließ die Klinge fallen. Diese verschwand plötzlich und es war nur noch Asche da, die von einem plötzlichen Wind wehgeweht wurde. Maya verschwand genauso wie die Messerklinge. Mit ihr war auch nun nicht mehr die Leiche da.
Ein heller Schein kam auf und mir kam das Verständnis.
Am Abend stand ich immer noch hinter dem Baum und es wunderte mich, dass heute keine Krähen oder verrückte Frauen hier waren um ihre Zeremonien abzuhalten.
Die Sterne standen in ihrer vollen Pracht am Himmel und der Neumond lächelte mir zu. Ich lief nach Hause und dachte an gar nichts. Ich öffnete die Haustür und lauschte auf das „Hallo" meiner Mutter. Es ertönte nicht und das erinnerte mich an das, was ich heute gesehen hatte.
Verstört saß ich an meinem offenen Fenster und wartete auf Aristéa. Aber sie kam nicht. Nein, stattdessen kam eine andere Frau durch mein Fenster gestiegen. Anscheinend auch ein Engel.
Sie war nur deutlich jünger, hatte aber wie es aussah die gleiche Funktion wie Aristéa. Sie war ganz ruhig und wartete auf meine Fragen. Sie hatte noch kein Wort gesagt.
Ich wollte mich dieser Frau nicht anvertrauen. Ich wollte mit Aristéa reden, aber ich wusste das ging nun nicht mehr. Ich schickte die Frau weg und wartete auf Aristéa. Sie kam nicht und dass bestätigte meinen Gedanken, obwohl ich schon gewusst hatte er war richtig.
Aristéa war nicht hier, da sie tot war. Sie wurde getötet von Maya. Auf der Lichtung. Eiskalt.
Meine Mutter war nicht da, weil sie ebenfalls umgebracht wurde. Von Maya. Auf der Lichtung. Zur gleichen zeit wie Aristéa.
Und ich hatte das alles beobachten müssen.
Als heute Mittag der helle Schein gekommen ist, kam mir das Verständnis: Aristéa war meine Mutter und meine Mutter war Aristéa. Sie hatten zwei verschiedene Körper, aber eine gemeinsame Seele. Sie hatten es beide nicht gewusst.
Aristéas Körper war schon zu alt und war anscheinend zwischen dem letzten Neumond und heute gestorben. Deshalb hatte sich die zweite Hälfte der Seele meiner Mutter zu ihr, in ihrem Körper gefunden und war gemeinsam mit ihrem Körper gestorben. Die zwei Seelenhälften waren in dieser menschlichen Hülle gefangen, konnten dich nicht befreien und mussten somit heute, an den Körper gebunden, sterben.
Ende Teil 1: Seelentod
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Hier endet der erste Teil des Buches. Das heißt nicht, dass das ganze Buch zu Ende ist, sondern eben nur der erste Teil des Buches. Ich habe ihn hier jetzt „Seelentod" genannt.
Ich weiß noch nicht, wie viele Teile das Buch haben wird, aber ich finde es schöner, sein Buch so aufzuteilen.
S.~
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Die Todesengel
Teen FictionIn diesem Buch geht es um Bastian, der durch seine große Liebe an einen mysteriösen Zirkel von Leuten gerät, die nichts besseres im Sinn haben, als ihm das Leben zur Hölle zu machen. Morde, Todesfälle, Krankheiten usw. Ein Kampf zwischen Engel und T...