Kapitel 19

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In den nächsten paar Wochen raffte ich mich immer hin und wieder auf in die Schule zu gehen. Ich wollte diesen Quatsch von Engeln einfach nur vergessen.
Wir machten in der Schule so ein „Patenkind" -Projekt. Jeder aus unserer Stufe bekommt ein Erstklässler zugewiesen, um den er sich kümmern, für Fragen zur Verfügung stehen und die ganze Zeit mit ihm Spielen muss.
Am Anfang hatte ich Glück gehabt, da ich so ein lustlosen Jungen bekommen habe, der schon einmal in der ersten Klasse gewesen ist und schon sehr pubertär war. Das war Glück? Ja, da er keine Lust auf mich hatte und ich genauso wenig auf ihn. Wir ergänzten uns perfekt. Aber leider ging dieser Junge ein paar Tage später auf eine andere Schule und ich bekam ein neues Kind zugewiesen. Lia. Sie war ein sehr kleines, noch kleiner als die anderen Knirpse, blondes und schüchternes Mädchen. Sie hatte nur eine Freundin, die aber auf einer anderen Schule in einer anderen Stadt sei. Sie erzählte mir viel von sich und ich schloss die Kleine langsam, aber sicher in mein Herz.
Die Grundschule und das Gymnasium waren im gleichen Schulgebäude und hatten einen gemeinsamen Schulhof, weshalb Lia nach dem Unterricht und in den Pausen immer direkt an meinen Spint oder an mein Klassenzimmer gerannt kam. Die wartete sie kichernd auf mich und umschloss mit ihren dünnen Ärmchen meinen Bauch zu einer Umarmung.
Sie war so lebensfroh und gab mir neue Hoffnung, dass das mit diesen Engeln, alles nur Einbildung war oder ein paar Verrückte waren.
Ich rief nach der Schule meistens ihre Mutter an, die mich jetzt schon sehr gut kannte, damit ich ihr sagen konnte, ich lade Lia zum Eis essen ein. Anfangs war sie noch skeptisch ihre kleine Lia einem Fremden Zehntklässler zu überlassen, aber jetzt mochte sie mich und meine Handynummer war in ihr Haustelefon eingespeichert.
So ging das sehr lange. Die Sommerferien kamen und Lia ging zwei Wochen mit ihren Eltern nach Spanien in den Urlaub.
Nachdem sie wieder da waren, rief Lia mich direkt an und wir trafen uns. Sie hätte mich vermisst und überreichte mir eine leicht klebrige Muschel vom Strand. Ich bedankte mich und wir gingen spazieren. Sie nahm mich an der Hand und manchmal trug ich sie auf dem Arm, auf der Schulter oder auf dem Rücken.
Wir lachten und weinten, wenn Lia einmal hingefallen ist. Ich tröstete sie und pustete in ihre Wunde. Alles wieder gut.
Wir liefen weiter und hatten viel Spaß. Es war ein schöner Sommertag, der nicht zu warm und nicht zu kalt war. Ein leichter Wind wehte und ich achtete darauf für Lia nicht zu schnell zu laufen.
Lia durfte entscheiden, wo wir lang liefen, da ich mich im Wald sehr gut auskannte.
Wir umgingen die Stelle der Todesengel und der Krähen so weit es ging. Sie wusste natürlich nichts davon und es sollte so bleiben. Ihr kleine, rosa Welt würde von Alpträumen, schlechten Gedanken und Krähen zerstört werden.

Die Sommerferien gingen vorbei und Lia kam in die zweite Klasse und ich wieder in die Zehnte. Lia verstand mich, dass ich noch einmal in die gleiche Klasse musste. Sie war so schlau für ihr Alter.
Ich entwickelte eine gewisse Liebe zu ihr und ich wurde immer mehr an sie gebunden. Ich konnte nicht mehr ohne sie leben, sondern brauchte sie Tag zu Tag immer mehr.
Zum Halbjahr des Schuljahres hörte dies aber schlagartig auf. Es fing alles damit an, dass Lia sich erkältete. Es wurde immer schlimmer, dass sie irgendwann mit 40°C Fieber im Krankenhaus. Sie bekam Windpoken, und die Grippe.
Alles wurde jeden Tag schlimmer.
Ich besuchte sie jeden tag, solange ich es durfte.
An einem Tag bekam Lia keine Luft mehr und der Notfall wurde einberufen.
Eine ganze Nacht lang quälte sie sich.
Sie wurde wieder gesund.
Später kam sie wieder aus dem Krankenhaus, musste aber zuhause bleiben.
Dann, schlagartig wurde meine Welt schwarz.

Lia wurde in ihrem Bett gefunden. Tot.

Sie war anscheinend im Schlaf erstickt. Die Ärzte fanden heraus, dass sie an Asthma gelitten hatte, was die Eltern nicht wussten. Irgendetwas war da wohl angeschwollen. So genau konnte ich das nicht mehr mitbekommen.
Langsam, dennoch schnell wich alles Gute aus mir und plötzlich, bei einer Besprechung mit den Ärzten, bei der ich netterweise dabei sein durfte, kam mir der entscheidende Gedanke. Es war nicht Asthma, das die kleine Lia umgebracht hatte, nein, es waren die Todesengel, um mich zu bestrafen.

Ich rannte zu Mayas Anwesen. Ich klingelte Sturm, bis eine Haushälterin, die komplett außer Puste war die Tür öffnete. Ich drückte sie auf die Seite und trat in die Villa. „Wo ist sie?", knurrte ich wütend. Ich war, glaube ich, noch niemals in meinem Leben so wütend gewesen. „Wer ist wo?", fragte die Haushälterin ängstlich. „Maya!" Wo ist sie?", schrie ich. Ohne die Antwort abzuwarten, rannte ich um die Ecke. Ich sprintete den langen Gang entlang und stieß jede Tür auf, an der ich vorbei kam. Ich hatte mir nicht mehr gemerkt, wo Mayas Zimmer hinter diesen Türen war.
Die letzte Tür war die Richtige. Ich sah es an den Twilight -Postern, die sie immer noch an ihrer Tür hängen hatte. Ich riss die Tür auf und blickte wild durch das Zimmer. Alles war unordentlich. Nichts sah aus wie vorher. Das Einzige, was noch gleich war, war die Fensterfront, die mit langen Vorhängen verdeckt war und der Umriss des Zimmers. Der Rest war komplett anders. Das Bett stand nun gegenüber der Tür, der Schrank neben der Tür, der Schreibtisch vor dem Fenster und das Bücherregal war komplett verschwunden.
Hier war sie nicht. Ich rannte in die anliegende Küche Mayas. Hier war nur leider keine Küche mehr, sondern ein abgedunkelter Raum mit ein paar Wannen voller Flüssigkeit und ein paar Schnüren zwischen den Wänden aufgehängt. An diesen Schnüren hingen Fotos, die Maya selbst entwickelt hatte. In der Hast, hatte ich keine Zeit, mir die Bilder alle anzusehen. Deswegen rupfte ich ein paar von der Schnur und stopfte sie in meine Jackentasche.
Ich lief aus der Küche und bog scharf nach links ab. Ins Bad. Auch heir war sie nicht. Ich lief wieder in ihr normales Zimmer und stellte fest, dass die Schranktüren weit aufgerissen waren, nur noch einzelne Kleidungsstücke in ihm waren und ein par auf dem Boden lagen. Auch das Bett war unordentlich und auf dem Schreibtisch türmten sich Blätter, Bücher und Hefte, die alle weit aufgerissenen waren und lose herumlagen. Ich nahm mir auch hier ein paar Blätter, Bücher und Hefte mit. So viel wie in meine Taschen passten, nahm ich mit.
Allgemein sah ihr Bild aus, als wäre sie überstürzt abgehauen und hätte nur das Wichtigste mitgenommen.
Die Fenster standen auf und der Wind blas die Vorhänge auf.
Ich verließ das Anwesen der Zieglers und rannte in den Wald. Immer tiefer bis ich vereinzelt die Krähen auf den Bäumen sitzen sah. Sie beobachteten mich und sobald ich an ihnen vorbei war, fingen sie an zu krächzen.
Vorher hatte ich schnell die Sachen von Maya in mein Zimmer durch das Fenster geschmissen.
Ich kam bei der alten Hütte an und wartete auf der Lichtung. Ich schrie: „Kommt raus. Ich weiß doch, das ihr hier seid! Ich muss mit euch Höllengeburten reden!" Meine Wut wuchs immer stetiger und hatte nach kurzer Zeit so einen Ausmaß angenommen, dass ich mir vor Beherrschung, nicht los zuschreien, die Lippe blutig biss.
Langsam bewegten sich Schatten zwischen den Bäumen. Ich leckte das Blut von den Lippen und blickte stur geradeaus.
Die Todesengel kamen zwischen den Bäumen hervor. Thénia kam auf mich zu in die Mitte des Kreises. Ihre Augen war sanft gelb, was ihre normale Augenfarbe zu sein schien. Sie lächelte mir böse zu, drehte sich wieder von mir weg und rief: „Nummer 87!" Eine Lücke tat sich auf und ein Todesengel kam heraus. Er war kleiner als die anderen, strahlte aber Selbstbewusstsein aus. Als der Todesengel aus dem schatten der Bäume trat, erkannte ich das Mädchen. Lia. Sie war ein Todesengel?
Im nächsten Moment verwandelte sich Lia, aber in Maya, die den Leichnam von Lia zu Thénia trug.
Alle Frauen lachten. Maya lächelte nur böse. Sie blickte mich für eine Millisekunde traurig an und ein Schmerz durchfuhr mich. Blödes Miststück.
Sie legte Lias Leichnam, der so leblos und das komplette Gegenteil von der lebenden Lia zu seins schien vor meine Füße.
Die Frauen lachten immer noch böse, weil sie es meinen Gesichtsausdruck so lustig fanden, als ich Lia gesehen hatte, die eigentlich Maya war. Hieß das Maya war die ganze Zeit Lia gewesen? Oder hatte sie nur kurz ihre Gestalt angenommen, um mich reinzulegen?
Verbittert blickte ich sie an und sie sagte: „Lia war ein Mensch. Ich fand es nur lustig, dich für einen Moment leiden zu sehen."
Sie lächelte genauso verbittert.
Plötzlich war Stille und ich war alleine mit Lias Leichnam auf der Lichtung. Der Leichnam verschwand, als Nebel verdampfen. Ich war allein.

************************************Ja, ja, ich weiß... wieder ein langes Kapitel.
Findet ihr ich übertreibe? Und wie fandet ihr die kleine Lia? Glaubt ihr die Todesengel haben sie umgebracht? Schreibt es mal bitte in die Kommentare. Würde mich mal interessieren.
Bis dann,
S.

Die Todesengel Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt