Kapitel 23

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Ich wollte gerade aufstehen, als mich irgendetwas daran hinderte. Ich war gefangen und konnte mich nicht bewegen! Nein, es war nur mein Schlafsack...
Kopfschüttelnd zog ich seitlich den Reißverschluss auf und stand ächzend von der harten Isomatte auf. Ich streckte mich und schlurf in die Küche.
Ich brühte mir eine Kanne Kaffee auf und nahm eine Schüssel aus dem Schrank.
Ich mampfte zufrieden mein Müsli und atmete den Duft von frischem Kaffee ein, als Leia gut gelaunt in die Küche rief: „Guten Morgen!" Kurz darauf erschien sie hellwach in der Küche.
Wie selbstverständlich goss sie sich eine Tasse Kaffee ein. Doch als sie einen Schluck trank, verzog sich ihr Gesicht sofort angewidert. „Was ist das denn? Ich dachte das wäre Tee!" Ich lachte und erwiderte: „Kaffee. Aber du musst es nicht trinken. Nicht jeder mag es. Soll ich dir Tee machen?"
Sie schüttelte den Kopf und ließ sch auf dem Stuhl neben mir plumpsen. Wie gestern Nacht lagen ihre schönen Händen in ihrem Schoß und ich dachte, wie gern ich diese mit meinen umschließen würde. Ich beherrschte mich und nippte an meiner Tasse.
Ein Blick auf die Uhr ließ mich in Stress geraten. Ich war es nicht gewohnt ein bisschen am Morgen zu plaudern. Das war alles nicht in meinen Zeitplan einberechnet.
Schnell stellte ich die Tasse in die Spüle und hastete in das kleine Badezimmer.
„Was ist denn los?", wollte Leia noch wissen, aber ich verschloss die Tür hinter mir und sprang unter die Dusche.
In Rekordzeit war ich im Bad fertig und zog mich an.
Leia hatte es sich inzwischen in ihren eigenen Klamotten auf meinem Bett gemütlich gemacht und sah sich ein Foto an meiner Fotowand, die neben meinem Bett hing an.
Es zeigte einen jungen und sehr glücklichen Bastian mit seiner Mutter. Diese hatte, wie so oft, gerötete Wangen und strahlte von einem Ohr bis zum anderen. Ich hatte von hinten meine Arme um meine Mutter geschlungen und ihre dicken Hände umschlossen meine.
„Meine Mutter und ich.", sagte ich und Leia meinte ohne sich um mich anzusehen: „Ich habe es mir schon gedacht. Sie sieht nett aus." Ein stechender Schmerz durchfuhr meinen ganzen Körper. Nie wieder würde meine Mutter so lachen können. Nie wieder würden meine Hände ihre berühren. Nie wieder konnte ich ihr sagen, dass ich sie lieb hatte.
Jetzt blickte sie mich an.
Immer noch auf meinem Bett kniend hatte sie ihren Kopf zu mir umgedreht. Ihre Augen spiegelten etwas Undeutbares. Ich schüttelte den Kopf und sagte zu ihr: „Ich muss jetzt los. Bleibst du hier? Oder gehst du in die Stadt?"
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Was soll ich machen?"
Sie sah mich so ehrlich an, dass ich mich nicht konzentrieren konnte. Hier würde es ihr langweilig werden, aber in der Stadt würde sie sich verlaufen...
„Willst du mit mir in die Schule kommen?", fragte ich sie und hatte Leia schon an der Hand gepackt. Ich zog sie auf die Beine und kichernd zog sie sich ihre Schuhe an.
Im Flur blickte ich in ihr Spiegelbild im Schuhschrank.
„Vielleicht sollten wir dir etwas anderes zum Anziehen kaufen?", meinte ich, als mein Blick an ihrem weißen Kleid hängen blieb, das aussah, wie ein zu großes weißes T-Shirt.
Leia nickte und ich öffnete die Wohnungstür.
Wir schlenderten die vielen Treppen des Hochhauses hinunter. Unten angekommen schwang ich mühelos die schwere Haustür auf und wir traten in die Fußgängerzone.
Die vielen Menschen erschreckten Leia anscheinend, da sie ihre Finger schnell und schüchtern mit meinen verhakte.
Ich schaute lächelnd ihre Hand in meiner an und ihr Blick folgte meinem. Sie lächelte schüchtern und ihre großen Augen sahen mich herzzerreißend süß an.
Ich lächelte ihr aufmunternd zu und drückte ihre Hand etwas.
Schnell eilten wir Hand in Hand durch die Menschenmengen zur U-Bahnstation.
Nachdem wir aus der stickigen Bahn gestiegen sind, rannten wir förmlich zum Bus und kamen gerade rechtzeitig an der Haltestelle ein.
Wir ließen uns auf zwei Plätze nebeneinander fallen.
Leia atmete schwer und ich reichte ihr meine Wasserflasche, die ich aus meinem Rucksack gezaubert hatte.
Dankend trank sie ein paar große Schlucke und gab mir die Falsche wieder zurück.
nach weiteren zehn Minuten Fahrt hielt der Bus endlich keuchend an unserer Haltestelle.
Ich nahm wieder Leias Hand und gemeinsam liefen wir die Straße entlang zur Kunsthochschule.
Leia blieb vor dem Tor stehen und sah sich fasziniert die Adlerstatue vor dem Eingang an. Ich schaute ihn mir ebenfalls an und mir fiel auf, dass ich ihn noch nie wirklich beachtet hatte. Seine goldenen Flügel waren stolz und weit geöffnet. Sein Schnabel schimmerte als einziges am Körper silbern und zog die ganze Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich.
Wir wurden von ein paar Schülern angerempelt, was mich wieder in die Wirklichkeit kommen ließ.
Ich sah zu Leia und ertappte sie dabei, wie sie mich beobachtet hatte.
Schnell schaute sie weg, aber ich zog sie grinsend hinter mir her. Sofort stolperte sie mir hinterher und die vielen Treppen hoch.
„Ist das nicht komisch? Bei dir zuhause gingen wir die Treppen hinunter und jetzt wieder hinauf. Könnten wir nicht direkt oben bleiben?", meinte sie, während wir und immer noch die überfüllte Treppe hoch quetschten.
Verwirrt über ihre Gedanken lief ich ohne Antwort einfach weiter.

Im Klassenzimmer setzte ich mich mit Leia an das Fenster und packte meine Sachen aus.
Im Augenwinkel beobachtete ich die ganze Zeit Leia, die neugierig die anderen Schüler musterte.
Ich grinste und schaute aus dem Fenster.
Dort saß, wie es der Zufall wollte, eine Krähe auf der Eiche im Pausenhof neben dem Kiosk. Die Krähe lief ein bisschen auf dem einen Ast nach vorne und hüpfte etwas ungeschickt auf den nächsten. Dieser lag etwas höher und ich konnte die Krähe weiterhin bequem beobachten. Nun wackelte die Krähe den Kopf, was schon sehr komisch war. Dann öffnete sie einen ihrer Flügel und schaute sich diesen fast neugierig an. Dann den anderen. Dann, ganz plötzlich, drehte sich die Krähe in meine Richtung um und sah mir in die Augen. Ja, diese Krähe beobachtete mich. Und zwar ein bisschen zu aufmerksam.
Das konnte doch nicht... aber es musste... ein Todesengel sein.
Ich stöhnte auf und ließ meinen Kopf auf meine Hände auf dem Tisch fallen. Ich schüttelte den Kopf. Das konnte doch nicht war sein! Wieso kamen diese Viecher immer zu mir? Warum denn jetzt? Hatten sie noch nicht genug von meinem Leben zerstört? Sie hatten mich doch schon dazu gebracht ein neues Leben anzufangen! Was wollten sie mehr? Meinen Tod?
Ach ja, ich vergaß. Sie wollten, dass ich für sie kämpfe und dann für sie sterbe.
„Für sie sterben", flüsterte ich. Wie sich das anhörte.
Ich kannte es nur aus Filmen, dass der Junge für seine Liebste starb. Aber ich sollte für eine ganze Macht sterben. Eine Macht, die ich verabscheute.
„Was sagtest du?", wollte Leia wissen.
Ich lächelte und schüttelte nur den Kopf.
Gut, dachte ich, dass ich jetzt Leia habe. Sie wird mich immer wieder von den düsteren Gedanken zurück bringen und mein neuer Leitfaden im Leben sein.
Bei diesen Gedanken musste ich grinsen und legte einen Arm um Leias Schulter, was sie erröten ließ.
Ja, Leia würde immer das Gute im Leben finden und sein.

                                  

Die Todesengel Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt