Dead Angel

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Zärtlich streicht das Mondlicht über ihr Gesicht, während eine sanfte Brise durch das offenstehende Fenster hereinweht und ihre in Wellen über ihre Schulter fallenden Haare ihr Gesicht umspielen. Stumm und leise fließt eine einzelne Träne über ihr schmerzverzerrtes Gesicht, das einst vor Glück und Freude nur so erstrahlte. Einst. In längst vergangenen Zeiten. Aber auch wenn die Zeit sich selbst nicht ändert, Menschen tun es. Und alles beginnt so leise. So unwahrscheinlich und schleichend wie der Tod, hervorgerufen durch die Kälte. Die Folge ist, dass man sich der ausbreitenden Kälte ganz bewusst hingibt. Man hört auf sich zu wehren. Man lässt es einfach zu. So und nicht anders, ist es bei den Gedanken, dem Schmerz und der Trauer, die einen ereilt. Man schweift ab, und gibt sich dem Nichts hin, bis sie Besitz von einem ergreift. Alles geschieht so stumm, dass es von jedem unbemerkt bleibt, haucht die Stimme in ihrem Kopf. Und auf ein Neues breitet sich diese Leere in ihr aus. Stürzt sie in einen Abgrund, und sie fällt, immer tiefer. Verliert den Boden unter den Füßen.

Und dann packt sie dieses Verlangen. Wie eine tödliche Sünde lockt dieses Verlangen. Und sie ergreift die Oberhand. Ein ersticktes Schluchzen ertönt aus ihrer Kehle und sie schlägt sich mit einer Hand den Mund zu, während sie mit der anderen nach einer kleinen Schachtel greift. Die Schachtel, die einst als Schmuckdöschen diente, doch nun die wundersame Waffe beinhaltet, die ihr Erleichterung verschaffen soll. Sie weiß, dass es falsch ist. Sie hört noch, wie die guten Stimmen in ihrem Kopf ihr zurufen und sie darum anflehen, das Verlangen zu unterdrücken. Doch der stechende Schmerz wäre nichts im Vergleich zu ihrem jaulenden Herzen, welches jeden Momente ihre Brust zu sprengen versucht. Und die dunkle Seite, durch und durch durchzogen von Finsternis, obsiegt schließlich. Mit einem kleinen Klicken springt das Kästchen auf und mit einem kurzen Zögern greift das Mädchen danach.

Das blonde Haar leuchtet im Mondlicht hell auf, umwiegt ihr makelloses Gesicht wie ein Wasserfall aus flüssigem Gold und gibt ihr die Erscheinungsgestalt eines Engels.

Eines gefallenen Engels.

Sie wirkt so perfekt. So unzerbrechlich. So rein. So unversehrt. So glücklich. Und innerlich? In ihrem Inneren ist sie nicht einfach 'nur' gebrochen.

Sie ist tot.

Doch es gibt einen Weg, wie sie etwas spüren kann.

Sie hebt ihre Arme und der scharfe Gegenstand in den von ihren zu einer Schüssel geformten Händen, blitzt im Mondlicht hell auf. Die Klinge landet schließlich in ihrer rechten Hand und mit einer raschen, aber gemäßigten Bewegung zieht sie sie sich über den Arm. Sekunden später quillt eine Kette aus rubinroten Blutperlen an der Schnittstelle hervor und gegen ihren Willen hat sie diese kalte, falsche Faszination gepackt. Wie gebannt schaut sie zu, wie sich immer mehr Blut auf ihrem Arm anhäuft. Aber sie regt sich nicht. Schaut nur zu, und währenddessen genießt sie das Gefühl, welches sie ereilt. Wie fühlt sie sich? Erleichtert, ja, aber ebenso sehr schuldig. Sie wäre durchgedreht, hätte sie es nicht getan uns es wäre etwas weitaus schlimmeres geschehen, als nur dieser kleine lächerliche Schnitt. Und doch hasst sie sich dafür. Sie hasst sich, hasst, dass sie so verdammt schwach war. Und dass sie wieder verloren hat. Gegen sich, gegen den Rest der Welt. Doch es ist zu spät.

Ein weitere Narbe wird ihren Arm schmücken, ihren Körper zieren und alle, die sie je zu Gesicht bekämen - am allermeisten aber sie selbst - daran erinnern, was geschehen ist. Und das sie so viele Kämpfe gekämpft und verloren hat. Und was wird bleiben?

Eine Narbe. Eine hauchdünne Narbe, die mit der Zeit eventuell verblassen wird, wie eine Erinnerung ...

Aber der Schmerz ... er wird nicht verblassen. Er wird bleiben. Man lernt mit ihm zu leben, er ist vielleicht nicht immer ganz präsent, wie andere Emotionen. Aber man wird ihn nicht vergessen ...

1. Mal Hochgeladen - 7. November 2014
2. Mal Hochgeladen - 18. Oktober 2016

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