They ask me

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Sie fragen mich so vieles.
»Warum bist du so traurig?«
»Warum magst du dein Leben nicht?«
»Warum bist du so unglücklich?«
»Warum bist du nicht zufrieden?«

Ihre Münder bewegen sich und alles, was dabei herauskommt, sind diese Fragen. Ich sehe die verhaltene Neugier, die sie vor mir zu verbergen zu versuchen. Doch mittlerweile sind alle verstummt, jegliche Aufmerksamkeit liegt auf mir. Es sind nicht mehr als fünf Personen im Raum, und doch fühle ich mich unbehaglich.
Könnt ihr euch denn das nicht denken?, frage ich mich.

In meinem Inneren trieft und tropft alles nur so vor Bedauern für euch.

Ihr glaubt alles über mich zu wissen. Mich und meine Persönlichkeit zu kennen. Glaubt euch in Sicherheit und Gewissenheit wiegen zu können, mich einzuschätzen zu können. Meine Gedanken erahnen zu können.

Doch niemand sieht es.

Denn wisst ihr was? Manchmal sehe ich es noch nicht einmal selbst. Die Dunkelheit, die sich langsam in meinen Kopf schleicht und in einer finsteren Wolke den Wahnsinn verschleiert und verhüllt. Und dann passiert etwas, bei dem ich mich über mich selbst erschrecke.

Aber niemand außer mir und der Stille selbst, die in meinem Kopf herrscht, sieht es. Keiner sieht, an wen oder was ich denke. Keiner nimmt Notiz von meinen Sorgen oder davon, wie ich stumm vor mich hinstarre. Sie denken, ich sei müde, sonst nichts.

Das bin ich tatsächlich.
Müde vom Leben.
Lebensmüde.

Ich solle für dieses Leben dankbar sein. Ich habe »Familie«. Habe ich das?

Manchmal bilde ich mir ein, den Begriff, die Bedeutung dieses Wortes vergessen zu haben. Das mir das Gefühl dazu entfallen ist. Aber wenn die glauben, dass sich eine Familie dadurch definieren lässt, dass man (noch) beide Elternteile hat, dann tun sie mir leid.

Ich habe ein Dach über dem Kopf, muss nicht in der klirrenden Kälte vor mich hinschlottern, wie so viele andere Obdachlose.

Ich habe es ja so gut. Habe ich das?

Was spielt es schon für eine Rolle, wenn man über all diese Dinge verfügt und sich nichtsdestotrotz fühlt, als besäße man nichts?

Richtig. Gar keine!

Wie hoch wird der Wert dieser Dinge, oder diese Sache an sich, eingeschätzt, wenn ich an Depressionen leide?

Und genau das frage ich euch. Wie es wäre, wenn jemand trotz all dieser Dinge an Depression leiden würde. Um zu überprüfen, wie ihr all das dann betrachten würdet.

Ihr lasst ein leises Lachen hören, verdreht spielerisch genervt die Augen, im Glauben, ich habe nur ein harmloses Beispiel gegeben.

Als nächstes bekomme ich »Du hast aber keine Depression!« zu hören.
Habe ich das nicht?

Und erneut leben sie in der Illusion, mich zu kennen ...

Aber mir fährt währenddessen geradewegs ein Stich ins Herz, gräbt sich ein und vergräbt sich in den Tiefen der dort vorhandenen Trümmer. Ich lache, innerlich, schüttele den Kopf, innerlich, und erkenne ein weiteres Mal, in welch einem trügerischen Schein ein jeder leben kann.

Wenn du einem Menschen begegnest, der alle materiellen Gegenstände sein nennen kann. Der eine Tochter hat und einen geschiedenen Ehepartner. Dieser Mensch kann sich alles auf der Welt leisten, alles was er begehrt, kann er haben. Nur sein intaktes Familienleben nicht. Du fragst ihn, warum er so unglücklich sei, wenn er doch alles habe, und er erklärt dir seinen Grund. Du verfügst über keines dieser Dinge, aber bist trotzdem zufrieden mit dem, was du hast. Denn du hast eine Familie. Du bist glücklich.

Würdest du dein glückliches Dasein ohne jegliche Wertgestände oder Geld aber mit Familie gegen ein unglückliches tauschen, mit reichlich Geld und Gegenständen?

Denn allein darum geht es doch nur im Leben. Man kommt auf die Welt, man lebt, oder glaubt es zumindest, man stirbt.

Aber um ein glückliches Leben zu führen, braucht man gewisse Lebensstandards. Oder nicht?

Nun - manche mehr, manche weniger.

Denn es gibt Leute, die sich mit viel wenigerem begnügen können, als andere.
Andere dagegen sind wiederum habgierig.

Deswegen kann man keinen verurteilen, wenn er sich schlecht fühlt?!

Ich denke an die Leute, die sich mitten in einem Kriegsgefecht befinden oder an dem Ort aufhalten müssen, wo dieser erfolgt. Ich denke daran, wie sie zunächst alles verlieren, was ihnen wichtig ist. Familie, Zuhause, Hab und Gut. Und wie ihr Leben dann ein trauriges Ende findet, entweder durch den Entschluss eines feindlichen Gegners ihm dieses zu rauben, oder aber durch die stetig währende Blase aus Bedeutungslosigkeit und Leere, in der man nur noch umhertreibt.

Aber letztendlich läuft es auf dasselbe hinaus. Alles läuft aufs Gleiche hinaus. Und ob jemand nun mehr oder weniger leidet spielt auch keine Rolle, angesichts der Tatsache, dass man überhaupt leidet.

Der Fakt, dass ihr glaubt, ich sei jemand anderes, schnürt mir die Kehle zu. Oder besser gesagt der Gedanke daran, erneut erkennen zu müssen, das ich euch eigentlich überhaupt nicht mehr kenne und ihr mich ebenso wenig. Das Gefühl der Einsamkeit verstärkt sich um ein Vielfaches. Aber ich will dieses Thema endlich fallen lassen.

»Manchmal weiß man es nicht. Manchmal ist man traurig, ohne das man es sich selbst erklären kann, geschweige denn anderen. Manchmal kann man einfach nichts dafür.«

Natürlich habt ihr die indirekte Andeutung nicht verstanden, die sich dahinter verbarg. Wie denn auch. Ihr mustert mich komisch, gebt aber keinen weiteren Kommentar dazu ab. Trotzdem weiß ich, was ihr denkt. Ich kann es deutlich an euren Augen ablesen. Ihr verurteilt mich, seid der Meinung, ich habe keine Gründe für meinen Hass auf die Welt.

Aber die wahren Gründe nannte ich euch natürlich nicht, also könnt ihr sie selbstverständlich auch nicht wissen ...

Erneut hochgeladen - 5.05.2017 - Freitag [19:25 Uhr]

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