6. Kapitel

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„David, bitte", flehte ich erneut, aber er wollte einfach nicht lockerlassen.
„Gwendolyn! Ich flehe dich an, verzeih mir!", bettelte er nun zum etwa tausendsten Mal am anderen Ende der Leitung. „Es war ein riesengroßer Fehler dich zu verlassen! Ich bereue jede einzelne Sekunde, die ich nicht bei dir verbracht habe!"
Ich seufzte einmal abgrundtief und stieß die Tür zum Café auf, um mir vor meinem ersten Arbeitstag einen Kaffee zu besorgen, und reihte mich hinten an die Schlange, die sich vor der Kasse aufgestaut hatte.
Seit dem Besuch bei meiner Familie waren bereits ein paar Tage vergangen, in denen ich mich in aller Ruhe bei Leslie und Raphael eingelebt habe, und das zum Glück ohne dem Kotzbrocken noch einmal über den Weg zu laufen. Ich hatte mich im Internet sogar schon nach einer Wohnung in der Nähe meiner Arbeitsstelle umgesehen, war bislang allerdings nicht wirklich auf meine Traumwohnung gestoßen.
Vorhin hatte dann unerwartet David angerufen, um mir sein Herz auszuschütten und mich um Verzeihung zu bitten. Vergeblich, versteht sich. Er heulte mir bereits die Ohren zu, seit ich aus Leslies Wohnung getreten war, aber ich brachte es nicht übers Herz, einfach so aufzulegen. Natürlich, er war ein verdammter Mistkerl, den ich eigentlich schon längst über Bord hätte werfen sollen, aber seine Bettelei verschaffte mir doch tatsächlich eine gewisse Genugtuung.
Leslie hatte mir von Anfang an eingeredet, dass ich ihm nicht erneut verfallen solle, falls er wieder angekrochen kam –was sie mehr als richtig vorhergesehen hatte. Dass mir sein Kriechen allerdings jemals solch ein Glücksgefühl bereiten könnte, das hatte ich alle mal nicht erwartet. Naja, anfangs zumindest. Inzwischen hing er mir schon seit fast einer Stunde in den Ohren und ich war drauf und dran zu spät zur Arbeit zu kommen, was meine Glückgefühle gleich wieder ein wenig drosselte und mein Stresspegel gefährlich anschwoll.
„Das hättest du dir vielleicht vorher überlegen sollen. Jetzt ist es zu spät", gab ich zum ebenfalls tausendsten Mal zurück. Wo es am Anfang noch ein wenig mitleidig geklungen hatte, war inzwischen nichts mehr als Stress rauszuhören. „Einen großen Cappuccino, bitte. Mit viel Schaum", murmelte ich dem Verkäufer hinter der Kasse zu, während mein Ex-Freund wieder seine Schuldgefühle zu beschreiben versuchte, was aber auch diesmal nicht viel brachte, da ich nicht in hundert Jahren daran dachte, wieder nach New York zurückzugehen.
Irgendwie musste sich das Gerede doch stoppen lassen!
Ich wühlte hektisch in den Schubladen des einfallsreichen Parts meines Gehirns nach einer passablen Ausrede, doch heute schienen die kleinen Arbeiter in meinem Hirn eine Pause eingelegt zu haben. Wie immer mit perfektem Timing.
„Wieso ist es zu spät?", fragte David traurig. „Du könntest wieder herkommen und einfach normal weiterleben so wie vorher! Was hält dich davon ab, wieder zurück nach New York zu kommen, Gwendolyn?"
[i]Die Tatsache, dass du ein verdammtes Arschloch bist, David.[/i]
Der Verkäufer schob mir meinen bestellten Kaffee über den Tresen und streckte die Hand nach dem Geld aus, das ich ihm dafür schuldete. Ich griff in meine Jackentasche, aber mein Portemonnaie war nicht da. In der anderen Jackentasche war es auch nicht, was mich dazu veranlasste, wie wild in meiner Handtasche herumzukramen, das Handy verzweifelt zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt.
Meine Hand irrte suchend durch die Tiefen meiner Handtasche, doch das weiche Leder meines Geldbeutels wollte sich einfach nicht ertasten lassen. Mein Stresspegel schwoll unterdessen noch mehr an.
„Ich... Also...", stotterte ich unbeholfen und wühlte weiter wie verrückt in allen möglichen Winkeln und Ecken meiner Handtasche, um das erlösende Leder endlich zu finden. „Es gibt einen Neuen, okay?"
„Was?"
[i]Was?[/i] Von all den Ausreden nahm mein Kopf ausgerechnet diese. Verdammt.
Der Kassierer wackelte ungeduldig mit seinen Fingern und beobachtete mich mit genervter Miene, ich glotzte entschuldigend zurück und betete im Stillen zu meiner Handtasche.
Oh Geldbeutel, wo bist du nur?
„Du bluffst!", brüllte David auf einmal. „Niemals hast du schon jetzt einen Neuen!"
Verzweifelt griff ich meine Tasche bei den Henkeln und war drauf und dran sie einfach auf den Boden zu pfeffern, als mich jemand vorsichtig beiseite schob.
„Einen kleinen Kaffee, schwarz bitte", flötete auf einmal die wunderschöne, dunkle Stimme dieser Person. „Ich zahle für die Dame mit."
Erschrocken riss ich meinen Kopf herum, um den Besitzer der Stimme entgeistert anzustarren. Mein Handy viel krachend zu Boden, gefolgt von meiner Tasche und dessen Inhalt, welcher sich kunterbunt auf dem Boden des Cafés verteilte.
Ich hörte David aus dem Telefon am Boden brüllen, aber plötzlich war er mir egal. Das selbstgefällige Grinsen und die glitzernden Augen vor mir zogen mich in ihren Bann, als wollten sie mich mit Absicht dazu bringen, wie ein vollkommener Idiot dazustehen. Was ich auch mit Erfolg tat.
[i]Beweg dich, Gwendolyn![/i], rief mein Unterbewusstsein warnend. [i]Steh' doch nicht so doof in der Gegend rum![/i]
Mit hochrotem Kopf kniete ich mich auf den Boden und sammelte hastig den Inhalt meiner Tasche und mein Handy wieder zusammen, aus dem immer noch Davids Stimme keifte.
Als ich langsam wieder hochkam, war der Verkäufer bereits dabei dem nächsten Kunden Geld abzuknöpfen und Gideon hielt mit spöttisch hochgezogener Augenbraue zwei Kaffeebecher in den Händen.
„Ist das dieser Daniel, wegen dem du hergezogen bist?", fragte er und deutete mit einer Kopfbewegung auf das Handy in meiner Hand. Ich nickte bloß stumm, es hatte mir vor Fassungslosigkeit glatt die Stimme verschlagen.
Gideon drückte mir einen der Kaffeebecher in die Hand, hob die Stimme ein wenig an und sagte schließlich so laut „Schatz? Wer ist denn da am Telefon?", dass selbst das Pärchen am anderen Ende des Cafés aufmerksam wurde. Ich glotzte bestimmt ziemlich einfältig drein, als er mir mit einem Grinsen das Handy aus der Hand nahm und es sich selbst ans Ohr drückte. Was sollte das denn jetzt werden?
„Hallo? Wer ist denn da?", fragte er ruhig und wartete kurz. Dann nickte er und sah mich eindringlich an, was mich noch röter werden ließ. „Ach, ich bin Gid... Gundolf. Gwendolyn hat ihr Handy fallen lassen. War wohl mein Fehler, ich kam gerade nach einer ausgiebigen Dusche aus unserem gemeinsamen Badezimmer und habe sie ein wenig erschreckt. Die Nacht gestern war wunderschön, aber fürchterlich anstrengend, auf die Dauer. Kein Wunder, dass sie so empfindlich ist heute", erklärte er und lachte, als hätte er eben den Witz des Jahrhunderts gerissen.
Ich starrte Gideon fassungslos an, was er allerdings nur mit einem zufriedenen Grinsen auf seinen perfekt geschwungenen Lippen quittierte. Hatte er da eben meinem todunglücklichen Ex-Freund tatsächlich vorgelogen, dass ich gestern mit ihm –Gundolf, wie er sich nannte- geschlafen hatte?
Bei diesem Gedanken musste auch ich ein wenig grinsen, aber komisch war es irgendwie trotzdem. Das war typische David-Manier, so kurz nach der Trennung mit jemand anderem in die Kiste zu steigen, aber dieses Mal ließ ich es einfach mal zu und beobachtete weiter fasziniert Gideons wohlgeformten Mund, der sich langsam zu einem zufriedenen Lächeln verzog. Immerhin ist es ja irgendwo auch mein Fehler gewesen.
Ob es an Gideon selbst oder den kleinen Rachegedanken in meinem Hinterkopf lag wusste ich nicht so genau, aber als er mir mein Handy mit einem spöttischen Lächeln entgegen streckte, verpufften all meine Gedanken bereits mit dem nächsten Atemzug.
„Hat aufgelegt. Wieso muss ich dich eigentlich immer retten, Dornröschen?", meinte er und nippte an seinem Kaffee.
„Niemand zwingt dich dazu", gab ich ein wenig zu scharf zurück und entriss ihm mein Handy. Da war er wieder, dieser arrogante Kotzbrocken, der sich für Gott höchstpersönlich hielt. Aber er hatte mich gerettet. Vor David und dem Kassierer, der mir wahrscheinlich jeden Moment an die Gurgel gesprungen wäre. „Und das Geld für den Kaffee bekommst du zurück."
„Nicht nötig", meinte er achselzuckend. „Du könntest es aber anders wieder gut machen."
„Und wie?"
„Das überlege ich mir noch." Mir grauste es bereits jetzt davor. „Kann ich dich noch ein Stück begleiten? Oder hast du es eilig?"
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich in zehn Minuten bei meiner neuen Arbeitsstelle anwesend sein musste, zu Fuß brauchte ich von hier aus aber mindestens zwanzig Minuten.
„Verdammt!", stieß ich erschrocken aus und ließ beinahe erneut meine Sachen fallen. „Das schaffe ich nie in zehn Minuten! Verdammt, verdammt, verdammt!"
„Hey, hey, nicht so garstig, Prinzessin", meinte Gideon grinsend und hob beschwichtigend seine freie Hand.
„Ich muss in zehn Minuten bei der Arbeit sein, aber brauche mindestens zwanzig zu Fuß!", gab ich verzweifelt zurück und schnaubte wütend. „Also komm mir nicht mit Prinzessin du Dorftrottel!"
„Na komm, du kleine Kratzbürste." Ohne Vorwarnung griff er nachmeiner Hand und zog mich einfach aus dem Café heraus, bevor ich überhaupt Zeit hatte, um zu reagieren. Meine Hand kribbelte angenehm, allerdings war das ein wenig irritierend. Was sollte denn das auf einmal?
„Ich fahre dich", erklärte Mr Dorftrottel gelassen und zog mich ein Stück die Straße entlang, bis wir vor einem kleinen Wagen stehen blieben.
Ehe ich's mir versah, saß ich in dem putzigen Mini, der mich bereits vor ein paar Tagen vom Flughafen zu Leslies Wohnung transportiert hatte. Bei der Vorstellung, wie Gideon mich schwerfällig aus seinem Wagen hievte, wurde ich ein wenig rot.
„Also", meinte er und unterbrach damit meine Gedanken. Er saß neben mir am Steuer und glitzerte mich mit seinen Wackelpuddingaugen erwartungsvoll an. „Wenn Dornröschen sagen würde, wo es hingeht, könnte werter Prinz Charming zur Rettung auf seinem edlen Ross ansetzen."
Ich starrte ihn verblüfft an, erklärte ihm aber kurz den Weg zu meiner neuen Arbeitsstelle, ehe er das Gaspedal durchdrückte und eine betretene Stille zwischen uns entstand. Ich betete, dass diese Autofahrt möglichst schnell umging.


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Hallo ihr lieben,
Diesmal habe ich wieder ein Kapitel von NeverLand für euch. Hinterlasst doch mal bitte eure Meinung zu der Geschichte bisher!
Alles Liebe

Life hates herWo Geschichten leben. Entdecke jetzt