„Rufen sie mich an, sobald sie sich entschieden haben", meinte die Dame freundlich und streckte mir lächelnd ihre Visitenkarte entgegen. Ich nahm sie mit einem halbherzig erwiderten Lächeln und verabschiedete mich mit demselben Satz, den ich bereits seit zwei Wochen runterleierte, wenn meine Wohnungssuche wenig erfolgreich ausgefallen war und ich einfach nur noch verschwinden wollte.
„Vielen Dank", sagte ich bemüht freundlich, um ihr meine eigentliche Gereiztheit nicht allzu offen zu demonstrieren – immerhin konnte die arme Frau ja nichts für meine äußerst ausgeprägt pingelige Ader. „Ich melde mich bald möglichst bei ihnen."
Die Visitenkarte ließ ich in meine Tasche zu den fünfzehn anderen gleiten, die da unten rumlagen, und trat seufzend auf die Straße hinaus. Ich streckte mein Gesicht der wärmenden Sonne entgegen und atmete tief durch, als mich auf einmal wieder eine Welle der Übelkeit zu überrollen drohte. Das war in den letzten Tagen schon öfters vorgekommen, allerdings hatte ich es nicht immer erfolgreich runterkämpfen können. Anfangs hatten Leslie und Raphael einfach nur gedacht das käme alles von dem Stress der letzten Wochen, und jedes Mal ging es mir nach der Kotzerei auf einmal wieder prächtig, als wäre nie etwas gewesen, weshalb ich einfach weiter an der Erklärung krallte, dass das am Stress lag.
Ich seufzte noch einmal tief und zog den kleinen Zettel mit den Adressen der Wohnungen heraus, die ich noch besichtigen wollte oder bereits gesehen hatte. Ein wenig erschrocken stellte ich fest, dass die nächste Wohnung die letzte auf meiner Liste war, die restlichen Adressen waren unordentlich durchgestrichen und mit dicken, traurigen Smileys markiert. Ich war doch tatsächlich seit gut zwei Wochen unterwegs um endlich eine halbwegs anständige Wohnung zu finden, weil ich Leslie und Raphael nicht mehr auf die Nerven gehen wollte (ich fühlte mich manchmal ehrlich gesagt irgendwie ein bisschen überflüssig), und war dann viel zu skeptisch und vor allem misstrauisch. Bisher hatte mich keine einzige der Wohnungen sonderlich umgehauen und überall waren mir die kleinsten Macken ins Auge gesprungen wie ein wildgewordener Dackel. Es war einfach nur zum verzweifeln. So schwer konnte es doch nicht sein, eine Wohnung zu finden!
Die nächste Wohnung lag nicht weit von der, die ich eben angeschaut hatte, in Chelsea, irgendwo in der Nähe der King's Road. Im Internet war gestanden, dass man von dort einen wundervollen Ausblick auf die [i]Saint Luke's Gardens[/i] hätte, aber abgesehen davon, dass man dort nur riesige Bäume sah, blieb ich nach den ganzen Versprechungen, die ich bereits gelesen und nicht bekommen hatte, ich erst einmal skeptisch. Zwar war es das letzte Apartment, das mir nach der Beschreibung halbwegs gefallen hatte, aber ich wollte einfach kein Risiko eingehen und meine Entscheidung am Ende bereuen.
Also ging ich den Weg zu der letzten Wohnung zu Fuß und kam schließlich vor einem großen Backsteinhaus an, vor dem ein paar Autos parkten. Eines davon sah aus wie der Mini von Gideon, aber von denen hatte ich bereits mehrere in London herumfahren sehen.
Mit einem letzten Hoffnungsschimmer ging ich auf die Glastür zu und stieß sie auf, null Ahnung davon, was mich gleich erwarten würde. Aber naja, die Hoffnung blieb trotz allem irgendwo in meinem Herzen und lauerte leise vor sich hin. Vielleicht kam sie ja doch noch irgendwann zum Vorschein.„Rufen sie an, wenn sie sich entschieden ha..."
„Ich habe mich entschieden", fiel ich dem Makler rasch ins Wort. „Ich nehme die Wohnung. Sie ist perfekt."
Der Mann in dem wahrscheinlich superteuren, maßgeschneiderten Anzug, der mich fast eine ganze Stunde lang durch die Wohnung geführt hatte, lächelte mich zufrieden, aber ein wenig überrascht an.
„Haben sie sich das auch ganz genau überlegt?", erkundigte er sich freundlich, aber eigentlich war das gar nicht nötig. Ich nickte heftig.
„Ja. Ich will sie auf jeden Fall." Die Hoffnung, die vorhin noch versteckt hinter ein paar Organen gesessen hatte, warf grinsend die Fäuste in die Höhe.
Diese letzte Wohnung hatte sich tatsächlich als absoluter Traum herausgestellt. Sie lag ganz oben im dritten Stock des Hauses und war modern, ordentlich, hatte eine wundervolle Dachterrasse, die ich mir zwar mit meinem Nachbarn teilen musste, mich aber trotzdem bereits genüsslich in der Sonne liegen sah, und die Aussicht war wie versprochen auf die [i]Saint Luke's Gardens[/i] ausgerichtet. Auch wenn man hauptsächlich Baumkronen sah, war das Panorama einfach nur atemberaubend und die Entscheidung mehr als nur simpel von Statten gegangen.
„Dann werde ich schnell den Mietvertrag holen", meinte der Makler grinsend und ging aus dem Wohnzimmer, das eindeutig der schönste Raum der ganzen Wohnung war. Es war für meine Verhältnisse riesen groß, mit viel Platz für ein gemütliches Sofa und einen Fernseher und die Fenster gingen bis hoch zur Decke, was mir eindeutig am Meisten gefiel, da man auch von hier die Bäume draußen beobachten konnten, wenn sie zart im Wind mitwiegten.
Ich sah glücklich nach draußen und beobachtete ein paar Vögel, die herumflogen, als mich erneut eine Welle der Übelkeit packte, die noch stärker war als vorher. So schnell es ging riss ich die Tür auf und trat auf die Dachterrasse, um ein wenig frische Luft in meine Lungen zu bekommen.
Einen Moment lang befürchtete ich, mich tatsächlich übergeben zu müssen, allerdings war die Aussicht, geradewegs auf die Straße unten zu kübeln, nicht unbedingt blumig. Also versuchte ich so gut wie möglich das Gefühl zu verdrängen und biss die Zähne zusammen, bis mein Magen sich endlich beruhigte und mir wieder Ruhe gab. Ich sollte in nächster Zeit wohl wirklich mal einen Arzt aufsuchen.
Neben mir kam auf einmal aus dem Nichts ein überraschter Laut, der mich wie von der Tarantel gestochen herumfahren und einen erschrockenen Satz nach hinten machen ließ. Geschockt starrte ich auf den Mann, der in der Tür zur Nachbarswohnung stand und mich überrascht ansah.
„Prinzessin", hauchte er verblüfft. „Was machst du denn hier?" Ich ignorierte einfach mal die Tatsache, dass er mich ohne weiteres mit [i]Prinzessin[/i] ansprach, ohne dabei ein blödes Grinsen auf den Lippen zu haben.
„Ich habe mir eben die Wohnung angesehen", antwortete ich nach einer Weile. Ich konnte vor Staunen kaum einen richtigen Satz hervor bringen. „Der Makler holt gerade den Mietvertrag."
„Heißt das du wirst hier einziehen?" Überrascht riss er die Augen auf. Ob vor Staunen oder Schreck wusste ich nicht so genau.
„Ähm... Ja. Offenbar schon."
Gideon stand vor mir. Das hieß, er war der Mieter des Apartments direkt nebenan. Das hieß, ich würde mir mit ihm die Dachterrasse teilen müssen. Das hieß, ich würde ihn in Zukunft sehr oft zu Gesicht kriegen. Das hieß, ich hätte in diesem Moment einfach nur kotzen können.
Der Makler kam in diesem Moment glücklicherweise mit wedelndem Vertrag und bat mich zurück ins Haus, um ihn gemeinsam auszufüllen. Er hatte wirklich keine Ahnung, wie sehr ich ihm in diesem Moment dankbar war, dass er mich vor weiteren Peinlichkeiten rettete.
Ich verabschiedete mich mit einem gemurmelten „Bis dann" von Gideon und ging eilig in die Wohnung zurück, wo ich mit dem Makler den Mietvertrag durchsprach und ausfüllte, allerdings hielt ich unten an der Zeile für die Unterschrift noch einen Moment inne.
Ich stand in einem absoluten Dilemma, aber hatte immer noch die Möglichkeit, einfach kehrt zu machen.
Einerseits war die Wohnung einfach nur wundervoll. Sie war meiner Ansicht nach genau das, was ich die ganze Zeit gesucht hatte. Aber andererseits war da der Nachbar, der mir bereits jetzt gehörig auf den Keks ging, obwohl ich ihn vorhin vielleicht 50 Sekunden lang gesehen hatte. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, Gideon als meinen Nachbarn zu haben. Wahrscheinlich würde er jedes Mal, wenn er mich sah, irgendeinen blöden Kommentar von sich geben oder seine dreckigen Schuhe vor meiner Haustür liegen lassen. Oder noch schlimmer: Was, wenn die Wände hier dünn waren, und ich ihn bei Frauenbesuch bei ihren Aktivitäten hören konnte? Es grauste mir bereits jetzt davor, in meinem Bett zu liegen und dem Stöhnen und Keuchen von Gideon zu lauschen. Aber vielleicht war er ja auch gar nicht so schlimm, wie ich ihn mir immer ausmalte. Möglicherweise stellte er sich irgendwann ja als netter – und vor allem echt heißer – Mann heraus, der ein friedliches Leben gleich neben meinem führte. Es konnte ja sogar sein, dass wir uns anfreundeten und gemeinsam auf der Terrasse herumsitzen und Wein aus Teetassen trinken würden, während wir uns über unsere schrecklichen Mitarbeiter und das ungesunde Essen, das wir unter Zeitmangel eilig in uns reinstopften, unterhielten. Es konnte die Gelegenheit werden, einen ersten, richtigen Kontakt in London zu knüpfen und mich gleichzeitig damit endlich von David, der mir leider immer noch viel zu oft im Kopf herumspukte, zu befreien. Allerdings... Wenn ich an Gideons anzügliches Grinsen und sein besserwisserisches Getue dachte, verschwamm diese Vorstellung einer friedlichen Nachbarsgemeinschaft gleich wieder.
Sollte ich es tatsächlich riskieren? Oder würde ich meine Entscheidung letzten Endes doch wieder bereuen?-------
Und es geht weiter mit einem Kapitel verfasst von meiner Ex Partnerautorin. Hoffe, es gefällt euch. Lasst doch mal bitte eure Meinung da!
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Life hates her
FanfictionGwendolyn, 25, sieht auf einer Party, wie ihr Freund David sie mit einer anderen betrügt. Gefrustet betrinkt sie sich und landet mit einem verboten gut aussehnenden Fremden (Gideon) im Bett. Ein paar Tage später zieht sie von New York zurück in ih...