Kapitel 5

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Solch eine große Freude als ich ihn wieder im Speisesaal sah, hatte ich zuvor noch nie empfunden. Nicht einmal im Kindesalter, wenn man ein Spielzeug geschenkt bekommt. Es ist nicht einmal annähernd ein Vergleich. Es war, als würde man mir die ganze Welt schenken. Die Welt und dazu Nathan.

Gerade sitze ich auf einer Bank mit Mary, Nathan und Robert, seinem Freund. Und ich kann es immer noch nicht glauben, dass Nathan wirklich hier ist. Er ist ebenso wenig wie ich auf unser Wiedersehen vorbereitet. Wir beide wissen einfach nicht, was wir uns sagen sollen. Gibt es überhaupt etwas zu sagen?

Ich werde aus meinen Gedanken gerissen als Mary sagt: „Robert, hättest du Lust mit mir am Strand entlang zu gehen?"

Ich weiß nicht ob ich ihr dafür danken oder sie anschreien soll. Natürlich ist es nett von ihr mich mit Nathan alleine zu lassen, doch ich weiß absolut nicht, was ich zu dem Grünäugigen sagen soll.

„Äh, gerne. Ist das in Ordnung für dich, Nathan?" Robert lächelt Mary verlegen zu. Ich wette Mary fängt im Urlaub etwas mit Robert an. Ich muss mir ein Schmunzeln unterdrücken.

„Natürlich." Nathan lächelt vor sich hin, weil er nicht weiß, wo Robert steht. Ein Kribbeln macht sich in meinem Bauch bemerkbar als mir bewusst wird, dass der Grünäugige immer weiß wo ich stehe. Vielleicht spürt er mich ja wirklich.

Letztens habe ich ein Buch gelesen wo zwei miteinander verbunden waren. Gedanklich als auch körperlich. Sie konnten immer die Anwesenheit des anderen spüren. Sogar den Schmerz, den einer fühlte, übertrug sich auf den anderen. Ich kann jetzt noch dahinschmelzen, wenn ich an dieses Buch denke.

„Bis später." Und schon ist Mary mit Robert in den Sand gelaufen und spazieren Richtung Meer.

Auf der Bank sitzen also nur noch ich und der Junge mit den haselnussbraunen Haaren. Unruhig rutsche ich auf meinem Platz hin und her und spiele dabei mit meinen Fingern. Meine Nervosität steigt von Sekunde zu Sekunde.

„Glaubst du an Schicksal, Harper?", reißt mich die raue Stimme von Nathan aus meinen Gedanken. Natürlich überkommt mich wieder eine Gänsehaut und lässt mich kurz zittern.

Ob ich an Schicksal glaube? Gute Frage.

„I...ich weiß es um ehrlich zu sein nicht. Sowas passiert eigentlich nur in Büchern.", stottere ich vor mich hin.

Oh Gott!

Jetzt stottere ich auch noch vor Nathan. Der Typ bringt mich eindeutig aus der Fassung.

„Du hast recht, dass passiert normalerweise nur in Büchern. Aber ich bin so überrascht dich hier wieder zu treffen, dass ich nicht mehr weiß was ich glauben soll. Ich meine es gibt hier auf der Insel tausende Hotels. Das ist echt Wahnsinn!" Nathan lächelt mich an und wieder weiß er, wo ich mich befinde.

„Woher weißt du eigentlich immer wo ich stehe oder sitze?", frage ich ihn direkt. Ich weiß, dass ich das Thema jetzt auf seine Blindheit lenke, aber ich bin zu neugierig mehr über den Grünäugigen herauszufinden.

Sein Gesichtsausdruck verändert sich von einem lächelnden Gesicht zu einem zärtlichen.

„Ich spüre- Nein, das klingt total bescheuert.", unterbricht sich Nathan selbst.

„Nein, bitte. Sag es."

„Aber danach hältst du mich für noch verrückter als ich eh schon bin." Nathan schüttelt den Kopf und verzieht seien Mund zu einer nachdenklichen Grimasse.

So schlimm kann es doch gar nicht sein. Ich habe mich schon deutlich mehr zum Affen gemacht als er. Schließlich war ich diejenige, die zum Abschied bei der Gepäckausgabe sagte, dass er die schönsten Augen hat, die ich jemals gesehen habe. Ich glaube das kann er nicht toppen.

„Bitte Nathan.", versuche ich es noch einmal.

Sieg breitet sich in mir aus als Nathan mich wieder zärtlich anschaut. Genau wie gerade eben. Sein Gesicht ist nur noch ein paar Zentimeter von meinem entfernt.

Wahrscheinlich atmen wir gerade dieselbe Luft ein. Wie die ganzen anderen Menschen auch, aber naja...

„Das erste woran ich dich erkenne ist dein einzigartiger Duft. Du riechst nach einer Wiese voller Blumen, aber auch nach der Waldluft. Es ist unmöglich dich nicht zu riechen, daran erkenne ich dann auch wo du dich befindest. Außerdem spüre ich deine Anwesenheit. Ich weiß, es klingt total bescheuert. Aber es ist die Wahrheit. Als ich im Speisesaal am Tisch saß, wurde ich nicht durch deinen Namen auf dich Aufmerksam sondern durch deine Nähe. Oder vielleicht dein Duft." Nathan sagt es mit so einer Ruhe in der Stimme und blickt mir dabei immer in meine Augen, obwohl seine leer sind. Leer von seiner Sehkraft. Aber nicht leer von Farbe und Emotionen.

Er spürt es also auch. Er spürt mich. Und ich spüre ihn.

Love Is Stronger (ABGESCHLOSSEN)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt