Kapitel 23

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Der Sand drückt sich durch den Freiraum meiner Zehen durch, als Nathan und ich gerade nach dem Privatkonzert für Nathan im Sand des Strandes entlang gehen. Hand in Hand spazieren wir immer weiter Richtung Meer und kaltes Wasser berührt nun meine Füße.

„Der Sonnenuntergang ist schon verschwunden, oder?", fragt Nathan nach einer Weile.

„Ja. Es ist schon stockdunkel.", erzähle ich.

Ich drehe mein Gesicht, um ihn anschauen zu können. Ich bin überglücklich, dass Nathan sich in mich verliebt hat. Ich habe früher oft darüber nachgedacht, da kein Junge Interesse an mir zeigte, ob ich irgendeinen Schaden habe. Ob ich vielleicht komisch auf andere Menschen wirke. Ob ich meine Art verstellen sollte. Doch Nathan hat sich in mich verliebt, wie ich, wie immer war. Bei ihm war und bin ich einfach normal.

Doch trotzdem habe ich Angst. Angst vor Morgen und meiner Zukunft. Was wird passieren, wenn Nathan morgen abreist?

Was wird aus uns werden?

Aber diese Fragen möchte ich lieber verschieben. Verschieben auf Morgen. Heute möchte ich noch einen schönen Abend mit Nathan verbringen und Morgen erst über die Zukunft reden.

„Harper?"

„Ja?"

„Hast du eigentlich ein Muttermal in deinem Gesicht oder ein anderes Merkmal. Oder hast du sonst irgendwas, was nur du an dir hast?", fragt Nathan mich.

Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, weil diese Frage mehr als herzzerreißend ist.

„Ich habe nur ein Muttermal am ganzen Körper und selbst das ist so minimal, dass nicht einmal ich es richtig erkennen kann."

„Und wo befindet es sich?", will Nathan wissen und dreht seinen Kopf zu mir.

„An meinem Hals."

Nathan sagt eine Zeit nichts mehr bis er dann zögernd fragt: „Darf...darf ich es...berühren?"

Mein Herzklopfen setzt wieder ein und mein Atem stockt mir.

„Du wirst zwar nichts spüren, aber du darfst, Nathan.", bringe ich aus meinem Mund.

Ich greife nach seiner Hand, wähle seinen Zeigefinger aus und lege ihn auf die Stelle, wo sich ein kleiner brauner Punkt befindet.

Seine Berührung löst ein Gefühl in mir aus, dass nur Nathan bezwecken kann.

„Ich werde es mir merken, Harper." Nathan nimmt seine Hand wieder zu sich und lächelt mich liebevoll an.

„Hast du sonst noch etwas Außergewöhnliches an dir?", fragt Nathan.

„Ich habe eine Narbe.", fällt mir ein.

„Wo und wie ist es passiert?" Nathan bleibt stehen und setzt sich in den Sand. Er deutet mit seiner Hand, dass ich mich neben ihn setzten soll. Ich gehorche ihm und setzte mich, ehe ich zu erzählen beginne: „Als ich noch kleiner war, waren Rutschen für mich großartig. Ich fand sie faszinierend. Deshalb bin ich alles hinuntergerutscht, wo es ging. Damals hatten wir zu Hause eine Bepflanzung, die steil nach unten ging. Mein Vater hat um das Beet herum ein Pflaster gebaut. Große Marmorplatten. Da sie steil nach unten gingen, konnte mich keiner aufhalten dort zu rutschen. Und es ging auch super. Ich habe es öfters gemacht, doch einmal war ich zu schnell dran und landete dann nicht mit meinen Füßen unten am Teer, sondern krachte mit meinem Gesicht dagegen. Das hinterließ dann leider eine kleine Narbe direkt an meinem Scheitel. Aber sie verblasst von Jahr zu Jahr mehr."

„Wo ist sie genau, Harper?", fragt Nathan und hält mir seinen Finger vor die Nase.

Ich ergreife ihn und führe ihn zu meiner Narbe. Dieses Mal streicht Nathan leicht darüber und kommt mit seinem Gesicht näher, um mir einen Kuss auf die Narbe zu platzieren. Scharf ziehe ich die Luft ein.

„Mehr besondere Kennzeichen habe ich nicht. Und du?", frage ich Nathan, da ich seine besonderen Merkmale ebenso kennenlernen will.

„Such sie, Harper.", fordert Nathan mich mit einem Grinsen auf.

Ich muss auflachen und lasse dann meine Augen über seine Haut wandern. An seiner Hand entdecke ich kleine Muttermale. Ich fahre mit meiner Hand darüber.

„Ich fühle, du hast sie gefunden." Nathan richtet seine Augen auf meine und glatt könnte man meinen, er kann sehen. Doch in Wirklichkeit sieht er nichts außer Dunkelheit. Dunkelheit, die ich nur nachts erblicke und vor der sich die meisten Menschen fürchten. Fürchtet Nathan sich auch von der Dunkelheit?

„Kann ich dich was fragen?" Ich nehme meine Hand von seinem Arm.

„Natürlich, Harper."

„Wie ist das so, wenn man nichts sieht. Ich meine, wie kommst du mit der Dunkelheit zurecht?"

Einige Sekunden schweigt der Junge mit den haselnussbraunen Haaren, scheint über meine Frage nachzudenken, sich eine Antwort zurechtzulegen.

„Am Anfang hatten die Ärzte Angst, ich könnte durchdrehen. Doch irgendwie habe ich es geschafft, mit diesem ewigen Schwarz zu leben. Ich habe gelernt mit der Dunkelheit umzugehen. Habe versucht die Dunkelheit mit einer anderen Farbe zu tauschen, aber es funktioniert nicht. Doch-." Nathan hört auf zu reden und neigt seinen Kopf zu Boden.

Ich will es aber wissen, was er noch zu sagen hat.

„Doch was, Nathan?"

Nach kurzem innehalten sagt er schließlich mit zärtlicher Stimme: „Doch dann kamst du in mein Leben, Harper. Du hast die Dunkelheit in mir vertrieben ohne es zu merken. Ich fühle mich nun nicht mehr mit Schwärze gefüllt, sondern mit Liebe. Deiner Liebe, Harper."

Tränen. Ich kann sie nicht aufhalten, rollen schlicht meiner Wange hinunter. Aber diese Tränen zeichnen keinen Schmerz oder Traurigkeit aus, sondern Freude und Liebe. Nathan hat mir gerade gesagt, dass ich in sein Leben wieder Farbe bringe. Damit hat er mir die größte Freude der Welt bereitet, durch seine Ehrlichkeit.

„Ich liebe dich, Harper.", haucht Nathan auf meine Lippen und wischt mir meine Tränen weg.

„Ich hoffe diese Tränen sind etwas Gutes." Sein Atem streift meine Lippen und hinterlassen eine Gänsehaut auf meinem Körper.

„Das sind sie." Ich umfasse mit meiner Hand seine Wange, um ihn noch näher an mir heranzuziehen.

„Ich liebe dich auch, Nathan."

Nathan zeigt mir seine Liebe, indem er mich küsst. Küsst, als würde die Welt untergehen.

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Love Is Stronger (ABGESCHLOSSEN)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt