Kapitel 4

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"Oh Gott Dunya, ihr habt was am laufen!", kreischte Seher und ich wurde ernst.
"Bist du bescheuert? Das war doch nur ein Tag, den wir gemeinsam verbracht haben. Wir kennen uns nichtmal so richtig", demonstrierte ich, doch sie sah die Sache anders.
"Dunya, er hat dich zu seinem Boxkampf eingeladen. Das ist nicht einfach so ein Tag, den man zusammen verbringt und oh wie süß, er hat dich Glücksbringer genannt", schwärmte sie.
"Man hast du Glück ihn kennengelernt zu haben. Ich hoffe echt, ihr bleibt in Kontakt."
"Jetzt übertreibst du aber", verzog ich mein Gesicht. Es könnte niemals Freundschaft zwischen uns bestehen, denn Okan würde mich köpfen. Bald wäre ich verheiratet und so ehrenlos bin ich echt nicht, dass ich trotz einer Ehe mit einem anderen Mann unterwegs bin.
Spät am Abend klingelte es und ich sah fragend zu Seher, die ihre Schultern zuckte. Vom Loch erkannte ich Okan und öffnete die Tür leicht.
"Okan?", fragte ich verwundert und er schlug die Tür zur Seite, sodass ich nach hinten beinahe zu Boden fiel, doch mich rechtzeitig halten konnte.
Gewaltig packte er mich am Handgelenk und und schubste mich nach hinten.
"Wieso hast du so lange gebraucht he?!", schrie er und ich roch das Alkohol bis zu mir.
Ängstlich sah ich zu ihm.
"Wer bist du, dass du sie anfasst du Missit?", schrie nun Seher, die mit einem Kochlöffel kam und sich vor mich stellte.
"Als wäre es nicht schlimm genug, dass sie dich Kreatur heiraten muss und deine Gewalt neu dazu kommt. Hab deine Hände in Griff, bevor ich dich erziehen muss, wie man mit einer Frau umgeht!"
"Misch dich nicht ein!", machte er einen Schritt auf uns zu.
"Dunya komm mit."
"Nein sie bleibt hier bei mir. Sie darf entscheiden und geht sicherlich nicht mit dir mit."
"Halt deine Fresse bevor ich dir deine Fresse polier", taumelte er leicht.
"Dunya los!"
"Nein verdammt! Sie bleibt", fasste nun Seher meinen Arm.
"Okan lass uns morgen raus. Es ist viel zu spät", sagte ich kleinlaut.
"Verpiss dich!", schrie Seher und schubste ihn nach draußen. Schnell schloss sie die Tür ab.
"Bastard", murmelte sie wütend und ich takelte ihr hinterher.
"Danke", bedankte ich mich bei ihr und schmiegte meinen Kopf an ihre Schulter als wir uns hinlegten.
"Das ist selbstverständlich. Ich hasse diesen Hund", fauchte sie und ich musste lachen.
"Ich hab so Angst vor dem."
"Zeig ihm wo es lang geht Dunya. Lass dich von so einem wie dem nicht einschüchtern."
Nickend schlief ich auf ihrer Schulter ein.

Gähnend latschte ich ins Bad und putzte meine Zähne, bis es an der Tür klopfte. Seher schlief also schloss ich ihre Tür und machte die Tür auf. Okan. Mit Mitleid sah er mich an und ich ließ ihn rein.
"Tut mir Leid wegen gestern", murmelte er und wollte meine Hände in seine nehmen, doch ich entzog mich von seinen Händen. Ich ekelte mich vor seiner Nähe. Allein der Gedanke, das ich eines Tages eine Familie mit ihm gründen müsste, verschaffte mir Übelkeit.
Ich nickte nur und starrte den leeren Tisch an.
"Meine Eltern wollen, dass ich dich nach draußen mitnehme."
"Erzähl doch keinen Quatsch, du wolltest es selbst", sprach ich genervt und er spannte sich.
"Red gescheit."
"Ich hab nicht ewig Zeit Dunya. Mach dich schnell fertig."
Zügig wechselte ich meine Kleidung, schminkte mich leicht und verließ mit ihm die Wohnung. Seher schlief noch, also gingen wir schnell raus und setzten uns in sein Auto.
"Deine Freundin ist so eine Schlampe", spuckte er förmlich aus sich.
"Ich war gestern nicht in der Lage, ihr meine Meinung zu sagen, aber das Mädchen hat echt keinen Anstand."
"Ist doch egal jetzt", versuchte ich vom Thema zu lenken, da er wütend wurde und ich gleich alles abbekommen würde.
"Lass erst frühstücken", sagte er kalt und wir fuhren in die Innenstadt. Dort angekommen setzten wir uns in eine große Bäckerei und bestellten.
"Unsere standesamtliche Hochzeit findet in drei Wochen statt. Merk dir das", sprach er und ich nickte unter unauffälligen Tränen. Bald würde ich seinen Nachnamen tragen, wir wären Mann und Frau auf Papier.
"Was ist mit der islamischen?", fragte ich kleinlaut.
"Ich muss mich noch erkunden. War noch nicht in der Moschee. Wird noch bisschen dauern."
Ich hoffe, dass es jahrelang dauert oder irgendwas dazwischen kommt, dass wir nicht islamisch heiraten können. Ich würde alles dafür geben, dass ich ihn nicht heiraten muss, wirklich alles, denn in meiner Zukunft mit ihm sehe ich nur schwarz für uns. Dieser Mann würde mich Nächte verprügeln, vergewaltigen, beleidigen und mich wie der letzte Stück Dreck behandeln. Als wäre ich das wertloseste dieser Welt. Vor Wut ballte ich meine kleine Hände unter dem Tisch zu Fäuste und presste meine Zähne zusammen. Wie gern würde ich einfach meine Meinung sagen, alles loswerden.
Die Bestellung kam und wir frühstückten. Danach brachte er mich in die Shishabar und ich fühlte mich gezwungen, drei Stunden da zu hocken und so zu tun, als wären wir ein glückliches Paar. Dabei ging es mir so elend, mir wurde schlecht bei diesem Gedanken. Er machte sich nicht die Mühe, mich nach Hause zu fahren, nein, er ließ mich in der Innenstadt allein und meinte, ich solle selbst zurecht kommen.
Gedankenverloren ging ich an der Polizeistation vorbei. Was wohl Burak macht? Bestimmt arbeiten.
Vor meiner Wohnung öffnete ich die Tür und sah Seher mit Armen vor ihrer Brust verkreuzt zu mir schauen. Als sie meine feuchten Augen sah, lockerten sich ihre ernsten Gesichtszüge zu besorgten und sie kam zu mir.
"Hey was ist los?", fragte sie.
"In drei Wochen bin ich standesamtlich verheiratet", brachte ich aus mir und spürte ihre Arme um mich. Weinen tat ich nicht, sondern sah einfach nur zu Boden. Ich musste durch. Weinen würde nichts bringen, denn es würde sich doch nichts daran ändern.
Wütend fuhr sie sich durch die Haare und zog sich ihre Schuhe an.
"Wohin?", fragte ich, doch sie zog mich sauer mit und wir stiegen in ihr Auto.
Dauernd murmelte sie irgendwelche Schimpfwörter um sich herum. Als ich das Haus erkannte, weigerte ich mich sofort, auszusteigen, doch sie zerrte mich förmlich aus dem Auto. Öfters klingelte sie, bis meine hochnäsige Tante uns die Tür öffnete und Seher reinspazierte.
"Wo ist dein Onkel?", fragte sie durch die Gegend. Wie auf Kommando kam er ins Wohnzimmer.
"Ich weiß ja nicht, für was ihr beide euch hält. Ich meine ihr habt keine Kinder und müsstest Dunya als eins ansehen, aber ihr tut total das Gegenteil. Klärt mich auf. Wieso darf das Mädchen nicht selbst über ihr Leben entscheiden? Von mir aus müsst ihr keinen Cent für die Hochzeit zahlen, das kriegen wir auch selbst hin, aber habt ihr kein Stück Mitleid?! Dass sie von klein auf in Heimen und Pflegefamilien aufwachsen musste? Dass sie niemanden an ihrer Seite hat, der ihr Hilfe leistet, Geschweige denn ihr einfach beisteht?! Verdammt wo bleibt euer Herz, das ihr auf eine Zwangsheirat eingeht? Sie ist am Ende, aber hält aus Respekt ihren Mund. Ist das nicht zu viel?", schrie sie meinen Onkel an, der seine Blicke auf mich gerichtet hatte, während ich mich an Seher festhielt und weinte.
"Ihr seid so in meinen Augen!", schrie sie und bildete mit ihren Fingern einen kleinen Schlitz.
"So Repekt ich auch gelernt hab, ihr seid es nicht wert. Ihr lässt Träume eines Mädches platzen, die grad mal 18 geworden ist und etwas aus ihrer Persönlichkeit machen will! Okan ist ein Hund, der sie schlägt und wer weiß wie oft schon angefasst hat! Und das ohne ihrer Erlaubnis!"
"Wer bist du, dass du dich in unser Leben einmischst?", zischte meine Tante.
"Wer sind Sie, dass sie über das Leben meiner Schwester bestimmen können?!", gab Seher von sich.
"Merkt euch eins, die Hochzeit wird nicht stattfinden und ihr braucht Dunya erst garnicht zu beschuldigen. Ich hab sie hier her gezwungen. Trotz, dass ihr sie zwangsverheiratet, hat sie Respekt gegenüber euch."
Kurz sah sie in beide Augenpaare, ehe sie meinen Handgelenk packte und das Haus verließ. Beide Münder waren vor Schock offen. Sie hatten so eine Reaktion meinerseits garnicht erwartet, doch ich dankte Seher, dass sie beide angeschrien hatte, was sie schließlich verdient hatten.
"Danke Seher", schluckte ich.
"Die haben das verdient. Ich hoffe meine Ansage hat deren Gehirne endlich angeschaltet."
Plötzlich fingen wir beide an zu lachen und konnten uns nicht mehr halten.
"Dein Gesicht. Du warst so rot", lachte ich laut und hielt mich an Bauch fest.
"Vallah innerlich hatte ich voll Schiss vor deinen Onkel!", schrie sie schon fast und wir lachten wie zwei Verrückte.
Nachdem wir und beruhigt hatten, beschlossen wir nach Hause zu fahren. Zuhause legte ich mich in die Decke und Seher fuhr zu sich nach Hause.
"Komm uns morgen besuchen. Anne vermisst dich", waren ihre letzten Worte ehe sie ging.
[...]
"Bist du grad in deiner Schicht?", fragte ich ihn und er nickte.
"Heute ist nichts los", sprach er und sah herunter zu mir.
"Was machst du hier?", fragte er.
"Musste paar Sachen kaufen", antwortete ich.
"Lass mal ein Stück gehen", sagte er und wir spazierten außerhalb der Innenstadt herum.
"Wie läufts mit Okan?", fragte er und meine Farbe im Gesicht wurde blass.
"Er ist kompliziert."
"Genau deshalb hatte ich noch nie etwas mit ihm zu tun gehabt", lachte er, doch mir war nicht lachen zumute.
"Tut er dir immernoch was?"
"Nein", log ich.
"Dich bedrückt etwas. Du bist keine gute Lügnerin", sagte er und stellte sich vor mich hin.
"Jetzt mal im ernst, wie fühlst du dich eigentlich bei der Sache?", fragte er und ich könnte schwören, dass meine Tränen wie eine Bombe explodieren wollten. Einfach nur losweinen. Das wärs jetzt.
"Weißt du Burak, ich hab nie gewollt, dass es soweit kommt", flüsterte ich und er hörte mir aufmerksam zu.
"Erzähl. Was bedrückt dich denn so?", fragte er sanft und wir ließen uns auf eine Bank nieder.
"Ich möchte mein altes Leben zurück, auch wenn ich in Heimen gelebt habe, hasse ich die Zeit, als mein Onkel mich gefunden hat. Sie erwarten von mir, dass ich einen fremden Mann heirate, der mich eigentlich hasst und mich wie ein Spielzeug benutzt. Und gleichzeitig fühle ich den Druck, wie alle um mich herum stehen und darauf warten, dass ich irgendwas mache, dass ich irgendwas sage, durchdrehe, schreie oder weine und ich würde das Spiel gerne mitmachen. Ich will einfach meinen Text aufsagen, ihnen meine Meinung ins Gesicht klatschen, sie kalt machen. Aber weißt du, sie nehmen keiner meiner Worte ernst. Sie verzichten auf meine Meinung. Es sind nurnoch drei Wochen, bis ich standesamtlich verheiratet bin. Ich werde nach der Hochzeit zu Grunde gehen Burak", sprach ich mit Tränen in den Augen und sah sofort zum Himmel, um keine Träne zu vergießen. Kälte umhüllte meinen Körper und die Gänsehaut zeigte sich wie Hühnerhaut. Ich spürte nurnoch Kälte.
Laut atmete er aus und sah zu Boden.
"Du könntest sie fertig machen, doch du tust es aus Angst einfach nicht."
"Du hattest die Chance ihn anzuzeigen, was du immernoch machen kannst. Du könntest sie wegen der Zwangsehe anzeigen und ihnen Probleme machen, doch du traust dich diesen Schritt nicht."
"Weil es so ein großer Schritt für mich ist, den ich nicht wagen kann Burak."
"Was ist mit deiner besten Freundin?"
"Sie hat meinen Onkel fertig gemacht, aber es hat sich nichts an deren Meinung geändert."
Schon traurig. Neben mir saß ein Polizist, den ich gradmal seit paar Tagen kannte und schon musste ich ihn mit meinen Problemen belasten. Ich kam mir plötzlich total dämlich vor. Was dachte ich mir bloß, mich bei ihm auszuweinen? Ihm meine Situation zu schildern und zu hoffen, dass er mir weiterhelfen könnte?
"Ich komm mir total dämlich vor Burak. Vergessen wir es", sprach ich seufzend und stand auf, doch spürte seine Hand an meinem Handgelenk.
"Ist doch nicht schlimm Dunya. Setz dich. Es gehört sich zu meinem Job dir zu helfen."
Irgendwie tat es mir innerlich weh, dass er mir nur half, weil es sein Job war und es nichts persönliches zwischen uns war, doch was soll ich mir dabei denken? Dass er Interesse an mir hat und mir deshalb hilft? Doch er hatte Recht. Er trug seine Uniform und war irgendein Polizeibeamter, der mir half. Es könnte auch ein anderer sein. Traurig aber war.
"Dunya!", hörte ich hinter mir schreien und drehte mich um. Seher.
Umarmend knutschte sie meine Wange ab.
"Hallo ich bin Seher", gab sie Burak lächelnd die Hand, der sich ebenfalls vorstellte.
"Was macht ihr hier?", fragte sie grinsend.
Ich machte ihr ein Zeichen, das sie bloß nichts falsches sagen solle.
"Nichts, zufällig getroffen", sprach ich und sah zu Burak, der mich ansah.
"Dunya hat mir schon einiges über dich erzählt."
"Ach hat sie das?"
"Ja, du bist auch Boxer oder? Ich meine du bist nicht grad irgendein Boxer, sondern ziemlich berühmt."
Seher du Stalkerin, mach es noch offensichtlicher.
"Ja kann man so sagen", lächelte er.
"Und kriegst du das auch beides hin?"
"Zur Zeit ja, weil meine Schichten regelmäßig sind."
"Krass. Du hast bestimmt vieles mit Morden zu tun gehabt. Hast du den Mord um die Ecke mitbekommen? Wo dieser Mann seine Frau umgebracht hat? Oh Gott, meine Eltern kannten die, schon krass", ratterte sie den Text herunter.
"Ich glaube mir sollten jetzt gehen Seher."
"Wieso?"
"Ich hab Hunger und muss noch kochen, los!"
"Man sieht sich", sagte Burak und ich lächelte zu Abschied.
"Ciau Polizeibeamter!", rief Seher und ich schlug ihr unauffällig auf den Oberarm.

Der charmante PolizistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt