Kapitel 6

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"Wie konntest du he?!", schrie mein Onkel und rüttelte an mir.
Emotionslos sah ich in seine Visage und spannte meinen Kiefer.
"Ich hab doch garnichts getan verdammt!", schrie ich und seine Griffe wurden lockerer.
"Denkst du wir wissen nicht, wo du dich aufhälst? Wer war der Junge?"
"Das war ein stinknormaler Polizist!", zischte ich vor Wut und es stauten sich Tränen in meinen Augen.
"Du bist so ehrenlos Dunya. Ich fass es nicht", schüttelte er fassungslos seinen Kopf.
"Was dein Vater sich wohl denken würde, wenn er erfahren würde, was aus seiner Tochter geworden ist", sprach er und es wurde mir zuviel. Dieser Satz traf mich mitten ins Herz und war unterste Schublade. Es war verletzend.
Mir kullerten bereits meine Tränen herunter. Mit gesenktem Kopf sah ich zu Boden und konnte kein Wort über meine zitternden Lippen bringen.
Fest schubste er mich nach hinten, doch ich konnte mich rechtzeitig halten, um nicht den kalten Boden unter mir zu spüren.
"Verschwinde Dunya. Geh und unternehme wieder was mit ihm, aber denk daran, dass deine Eltern von oben alles sehen", sprach er seine Worte hart und ich verschwand.
Taumelnd lief ich die Straße entlang, doch weiter schaffte ich es nicht, denn meine Beine gaben auf. Weinend setzte ich mich auf eine kleine Treppe und fing an meine Sorgen frei zulassen. All die Wut und Trauer ließ ich an meiner Weinerei raus, obwohl es schweinekalt war und ich kaum was zum Anziehen hatte. Seine Worte waren so schmerzhaft und verletzend gewesen. Sowas hätte er nicht sagen sollen.
"Entschuldige?", hörte ich vor mir und nahm meine rechte Hand vom Gesicht, um die Person anzuschauen. In seiner Hand hielt er ein Taschentusch, was ich dankend annahm und mir die Tränen damit wegwischte.
"Alles gut?", fragte der junge Mann im Anzug vor mir und ich nickte schwer.
"Sieht nicht danach aus", sprach er nun und kniete sich zu mir.
"Wo wohnst du?", fragte er besorgt.
"In der Reinesstraße", stotterte ich mit heftigen Zittern.
"Soll ich dich nach Hause bringen? Es ist dunkel und zu Fuß ist das nicht grad ein kurzer Weg."
"Das ist echt großzügig von dir, aber ich schaffe es. Trotzdem Danke", lächelte ich ihn unter Tränen an.
"Sicher?", hakte er nach.
"Sicher", versicherte ich ihm und er ging nach langem Zögern. Er hatte es anscheinend eilig, denn er ging schnell weg.
Schweratmend schaffte ich es bis nach Hause und griff zu meinem Asthmaspray, den ich normalerweise nie benutze, doch mir fiel plötzlich das Atmen schwer, weswegen ich diesen zu meinem trockenen Mund führte und der Sauerstoff mir einen Weg zum Atmen schenkte.
Panisch klingelte jemand an der Tür und ich öffnete diese.
"Man Dunya, du gehst auf meine Anrufe garnicht dran!", meckerte Seher und bemerkte erst im Nachhinein meine rote Augen.
"Was los?", fragte sie.
"Stress mit Onkel, alles gut", lächelte ich. Sie hakte nach, doch ich machte ihr klar, dass es eine Kleinigkeit war.
"Lass uns in die Shishabar, bitte", schmollte sie.
"Guckmal wie ich aussehe Seher. Ich hasse solche Orte und du doch normalerweise auch. Also wieso willst du dauernd dahin?", fragte ich sie und sie verstummte.
"Sag schon, wegen wem willst du dahin?", fragte ich mit einem leichten Grinsen. Ich wusste es, dass es jemanden gab, weswegen sie sich dort rumtreibte.
"Okay also da ist so ein Junge, den ich in der Bar begegnet war und der ist voll süß. Bis jetzt haben wir uns einmal getroffen und ich will ihn öfters sehen. Bevor du ausrastest, wieso ich dir nichts erzählt habe: Ich wollte mir sicher gehen, dass es ernst ist", sprach sie mit einem zuckersüßen Lächeln und ich umarmte sie vor Freude.
"Schon okay, aber ich will ihn sehen", mahnte ich sie und sie nickte sofort.
Nachdem ich mein Gesicht gewachen hatte, schminkte ich mich dezent, doch machte mir dunkelroten Lippenstift dran. Zuletzt zog ich mir bequeme Kleidung an und machte mir einen Dutt. Seher hingegen peppte sich auf, als würde sie zu ihrer eigenen Verlobung gehen.
"Du bist echt krank", verdrehte ich meine Augen und wir fuhren los. Bereits draußen vor der Bar standen haufenweise Menschen, die rauchten oder sich mit Freunden unterhielten.
"Ich hab keine Lust", zögerte ich, doch sie zerrte mich rein. Da die Bar orientalisch eingerichtet war, fühlte ich mich wohler und wir setzten uns zu alten Schulfreunden.
"Da ist er", zeigte sie auffällig und aufgeregt zu einem Mann, der auf uns zukam und ich mir schon vorstellte, in welcher Kategorie er reinpassen könnte. Er war ein absoluter Player.
Grinsend kam er auf uns zu und stellte sich vor.
"Ich heiße Emre", sprach er mit einem Hauch von Höflichkeit und küsste den Handrücken von Seher, die beschämt zu Boden sah.
Beide sprachen, während ich gelangweilt umher sah und da ich auch keine Shisha rauchte, war es mir doppelt langweilig. Eine bekannte Stimme hörte ich hinter mir und drehte meinen Kopf nach hinten zur Ecke, wo ich Burak mit seinen Freunden hocken sah. Auch er bemerkte meine Blicke und lächelte, was ich sofort erwiderte. Kurz gab er seinen Freunden Bescheid und kam in meine Richtung. 
"Hey", umarmte er mich und ich erwiderte es nervös.
"Was macht ein Polizeibeamter in einer Shishabar?"
"Was macht ein Mädchen wie dir hier in einer Shishabar?", stellte er mir eine Gegenfrage und grinste frech.
"Bin wegen Seher hier", lächelte ich. Wissend nickte er und sah zu Seher, die vertieft in Emres Gesprächen war.
"Nadann man sieht sich", sprach er und verschwand auch wieder. Mir war so langweilig.
[...]
Meine Blicke schweiften durch den Raum. Die Emotionslosigkeit war in meinen Augen geschrieben, aber ich musste durch. Momentan fühlte ich reingarnichts, denn ich hatte verloren. Dunya Aydin hat das Spiel gegen ihren Onkel verloren, denn in nur wenigen Sekunden heiße ich Dunya Karabulut.
Schluckend sahen meine Augen in die Richtung von Burak,  der schräg gegenüber von mir stand und ausgerechnet er den Trauzeugen von Okan spielen musste. Hinter uns standen die Verwandten von Okan und mal wieder wurde mir klar, wie wichtig jedem die Hochzeit von Okan und mir war. Die langweilige Rede der Frau machte mich müde und ich machte mir auch keine Mühe ihr zuzuhören, bis der Punkt kam, andem wir beide das Ja Wort geben mussten. Es fiel mir so verdammt schwer, das Wort über die Zunge zu bringen. Ein Wort, was aus zwei Buchstaben bestand. Ein Wort, was mein Leben verändern würde.
"Hiermit erkläre ich sie zu Mann und Frau. Herzlichen Glückwunsch. Sie dürfen ihre Frau jetzt küssen", ertönte die Stimme der älteren Frau und ich sah bedrückt zu Boden. Niemand, der an meiner Seite war, bis auf Seher.
Okans Lippen berührten meine Stirn und es wurde geklatscht. Meine standesamtliche Hochzeit ohne meinen Vater und ohne meine Mutter. Kein Familienmitglied, nichts. Meine Stimmung war wie an einer Beerdigung, schwarz und kalt. Ich wollte hier weg. Mein Hals schmerzte, da ich schrecklich schluchzen musste, doch ich unterdrückte es. Mittlerweile war ich ein Meister darin, meine Trauer zu verstecken.
Es wurden Fotos geschossen, mir wurde beglückwünscht und am Abend fuhren wir meinem Onkel. Mein Onkel hasste Seher, doch es war mein Wunsch, das wenigstens sie anwesend ist und ich durch ihr ein wenig Kraft gewinne. Auch sie fühlte sich unwohl, denn sie hatte alles versucht, um diese Hochzeit zu canceln. Es hatte jedoch nicht gereicht und sieh nun an. Mein Name lautet Dunya Karabulut. Nun trage ich reingarnichts von meiner Familie mehr bei mir. Ich wurde einer anderen Familie übergeben, dessen Sohn ich kaum kannte und er mich wie die Pest verabscheute. Er war ein Psycho, vor dem ich mich fürchtete. Und dann gab es noch Burak. Ich wusste nicht, wo ich beginnen soll, da er mir in den letzten Wochen ans Herz gewachsen war. Wir waren gute Freunde, doch es wurde Begegnung zu Begegnung immer mehr, was uns beide es schwer zu schaffen macht. Er half mir und hatte mit seinem Vater geredet, doch auch diese Variante schlug fehl. Es war vorbei. Auch den Kontakt zu Burak hatte ich halbwegs abgebrochen, denn ich war nun verheiratet. Es könnte nichts weiteres mehr werden.
Im Wohnzimmer aßen und trinken wir. Still saß ich in meinen eigenen Gedanken versunken, sprach nur, wenn sie mich etwas fragten, hielt meinen Mund und wartete, bis die Zeit vergeht.
Nach etlichen Stunden bekam ich Kopfschmerzen, doch um Punkt acht Uhr standen sie auf und verabschiedeten sich von uns. Vom Blickwinkel sah ich, wie Burak sich mir näherte und mich umarmte.
"Es tut mir Leid. Ich komme dich heute besuchen", flüsterte er dicht an meinem Ohr. Seine weichen Lippen berührten meinen Ohr und ich bekam dicke Schichten Gänsehaut auf meinem Körper. Kurz nickte ich und schon waren sie fort. Mit Seher verließ ich die Wohnung und sie fuhr mich nach Hause. Normalerweile wollte sie, dass ich bei ihr wohne, da sie Angst wegen den Briefen hatte, doch ich wollte niemandem eine Last bereiten und hatte sie überredet. Sie sprach mit mir, doch bemerkte, dass ich keine Kraft zum Reden hatte.
Zuhause riss ich mir förmlich das weiße schlichte Kleid vom Leib und schminkte mich ab. Meinen Ring schmiss ich in die Schublade und räumte meine Wohnung auf. Zügig nahm ich eine heiße Dusche und machte mich schlafbereit mit einer Jogginghose und einem weißem Shirt. Die Tür klingelte und ich erkannte vom Loch, das es niemand weiteres als Burak war.
"Komm doch rein", lächelte ich und er setzte sich auf die Couch.
"Du kannst nicht einfach den Kontakt abbrechen", sprach er plötzlich.
"Es geht nicht Burak. Du kennst Okan."
"Ich hab doch nicht Angst vor einem wie dem."
"Es geht nicht darum. Es würde scheiße rüberkommen. Du bist sein Verwandter."
"Dunya. Die islamische Hochzeit hat noch Zeit und bis dahin stoppe ich es. Tu du mir nur den Gefallen und halt dich fern von ihm so gut du kannst."
"Ich bin durcheinander. Ich versteh nicht was ich tun soll", sprach ich verzweifelt und stützte meinen Kopf in meinen Armen.
Seine Hand rutschte auf meinem Rücken und strich kurz darüber.
"Was denkst du?", fragte er.
"Ob wir es stoppen sollen oder nicht. Wenn ich alles aufhalte, wird mich mein Onkel samt deine Verwandtschaft hassen. Zwar kann ich meinen Onkel nicht leiden, aber er ist der einzige Kontakt, den ich noch habe. Der einzige Mensch, der meine verstorbenen Eltern kennt."
Am Ende brach ich ab, als meine Sicht durch meine Tränen verschwommen war. Ich befand mich in einer schrecklichen Zwickmühle.
"Also mein Vater ist normalerweise selbst dagegen, aber seine Meinung hat nicht viel gebracht."
"Wir können doch irgendwie durch deinen Onkel herausfinden, ob du mehrere Onkel oder vielleicht einen Opa oder eine Oma hast und sobald wir das getan haben, redest du mit denen darüber."
"Die wissen nicht mal von meiner Existenz", lachte ich ironisch. Mein Inneres schmerzte.
"Vertrau mir. Es ist besser, wenn du alles aufhälst. Denk daran Dunya, du wirst dein Leben lang leiden, wenn du dich auf die Worte deines Onkels einhälst", sprach er und ich schluckte.
Leiden.
Lebenlang.
Einhälst.
Er hatte Recht. Ich war so naiv.
"Ich bin sogar bereit dir zu helfen", sprach seine raue Stimme.
[...]
Nervös klingelte ich an der Tür und wartete zappelig, bis mir jemand die Tür öffnet. Eine Dame öffnete mir die Türe und ich lächelte.
"Ist Burak da?", fragte ich höflich.
"Ja, komm ich führe dich zu ihm", sprach sie sanft und ich folgte ihr. Ein schickes Haus mit wunderschönen Farbtönen. Sein Vater besaß viel Geld, das merkte man. Vor dem Zimmer ließ sie mich und ich klopfte drei mal. Ich betrat den Raum und sah mich irritiert um. Statt, dass sich hier ein stinknormales Zimmer befand, standen hier lauter Fitnessgeräte und am Boxsack sah ich Burak, der sein Gesicht zu mir drehte und mir die Röte ins Gesicht stieg, da er obenrum nichts trug und ich mal wieder seinen sonnengeküssten trainierten Oberkörper zu Gesicht bekam.
"Sorry", murmelte ich verpeilt und wollte raustreten, doch er machte Schritte in meine Richtung und hielt mich auf.
"Warte", lächelte er amüsant, da er diese Situation in vollen Zügen genoss.
Seine Arme schmiegte er um mich zur Begrüßung, was ich nur leicht erwiderte und mich von seinen muskulösen Armen löste. Anscheinend hatte er erst vor kurzem angefangen, da er kaum schwitzte.
"Ich geh kurz duschen und dann gehen wir, okay?", fragte er und ich nickte zu Boden sehend.
In seinem Zimmer angekommen setzte ich mich auf sein Bett und bewegte mich keines Weges. Mein Gesicht brannte mittlerweile wegen der Wärme und ich fühlte mich aufeinmal so schlapp. Nach genau zehn Minuten kam er frisch ins Zimmer und sah mit seinen nassen Haaren zum Anbeißen aus.
"Wir können", sprach er, nachdem er sich die Haare geföhnt hatte und nach seinem Autoschlüssel griff.
"Burak?", hörte ich eine männliche Stimme von jemand Unbekanntes und sah panisch zu Burak.
"Wer ist das?", flüsterte ich unter Schock.
"Mein Vater", sprach er gelassen.
"Was, wenn er uns sieht?"
Erst dann fiel ihm ein, dass ich Okans Frau bin und der Vater falsch denken würde. Schnell rannte er zum Schrank und zeigte dahin.
"Geh da rein", sprach er hektisch und ich passte darein. Es roch so verdammt gut hier. Sein Geruch war im Schrank verteilt, was ich in mich inhalierte und nicht genug davon bekam.
"Ja Baba?", fragte er, als sein Vater herein trat und ich sie vom Schlitz beobachtete.
"Ich dachte du bist beim Fitness?"
"Hatte beschlossen, Zuhause zu trainieren", sprach Burak und ich musste zugeben, dass Vater und Sohn sich ziemlich ähnelten. Plötzlich fiel ich nach vorn und die Tür öffnete sich. Auch ich fiel auf dem Boden und richtete meine Haare. Beide Augenpaare sahen zu mir.
"Oh mein Gott, tut mir Leid", flüsterte ich schon fast und fühlte mich ertappt. Scheiße, wir waren dran und das, weil ich so verpeilt war. Meine Lippen trockneten plötzlich und ich sah einfach nur vor Scham ergriffen zu Boden.

Der charmante PolizistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt