Kapitel 11

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Heute hatte ich Frühschicht und beendete somit meine Arbeit. Noch kurz verabschiedete ich mich von jedem. Zuhause angekommen wechselte ich meine Kleidung und stieg in die Dusche. Heute war mal wieder viel los und ich hatte keine Minute zum Atmen.
In der Küche sah ich, dass mein Vater gekocht hatte und aß den Kartoffelauflauf. Er war, wie gewohnt, arbeiten. Es war so langweilig, um die Zeit totzuschlagen schrieb ich mit meinen Freunden in der Gruppe, bis die Tür klingelte und Seher vor meiner Tür stand.
"Hey?", sah ich sie fragend an und sie platzte herein. Okay? Sie schien wütend zu sein.
"Du lässt mich jetzt ausreden. Wir müssen Dunya und dieses Tier unbedingt auseinander bringen. Ich hab sie angerufen, weil wir uns verabreden wollten und dann nimmt der Idiot ihr Handy und sagt unser Treffen ab. Meine Sicherungen platzen gleich, ich bin so wütend Burak! Ich könnte Okan den Hals verdrehen!"
"Uffff", seufzte ich und steckte ihre Worte erstmals ein.
"Eigentlich wollte ich mit dir über etwas anderes reden", wurde sie ruhiger und wir gestellten uns in der Küche.
"Sprich", forderte ich sie auf und sah in ihre Augen.
"Ich weiß nicht, wie ich beginnen soll, aber du und Dunya. Ich schwöre, ich werde ihr nicht von unserer Konversation erzählen, aber läuft da was?"
"Nein", gab ich wie eine Rakete, die in die Luft gejagt wurde, von mir.
"Lüg nicht. Es läuft was zwischen euch und ihr seid kurz davor euch zu verlieben. Burak, Dunya ist verheiratet und Okan wird das Mädchen nicht ruhen lassen. Wer weiß, vielleicht liebst du sie schon. Deshalb musst du mir helfen, Dunya von dort zu befreien. Das ist nicht alles. Sie bekommt immernoch Drohbriefe und es wird Zeit, auf der Spur zu gehen. Ich hab das Gefühl, das jemand ein Geheimnis kennt, was Dunya noch nicht kennt und er sie mit Briefen bedroht."
Ich hatte die Briefe völlig vergessen. Doch dafür hatte ich keinen Kopf.
"Wir sind Freunde", versuchte ich ihr klar zu machen, doch sie schüttelte ihren Kopf.
"Eine Freundschaft zwischen Mann und Frau kann nicht exestieren. Es verliebt sich immer einer der Beiden!"
Seufzend legte ich meinen Kopf in den Nacken und sah zur Decke.
"Was willst du Seher?", fragte ich sie klar und deutlich, weil ich genervt war, obwohl sie Recht hatte.
"Tu nicht so, als würde ich lügen", verschränkte sie ihre Arme vor die Brust.
"Ich will sie auseinander bringen, aber tu mir den Gefallen und halt dich fern von Dunya. Okan wird-
"Du denkst doch nicht einfach, dass ich Angst vor Okan hab?!", erhob ich meinen Kopf.
Ein belustigender Moment. Okan war im Gegensatz zu mir Nix.
"Er wird sich an dich rächen, wenn er erfährt, dass du dich mit Dunya triffst."
"Naund? Wer ist er, dass er ein Mädchen zur Heirat zwingen kann und sie dann nichteinmal normale Freundschaften führen darf."
[...]
Mein Hemd saß fest, während ich mir den Sakko darüber zog und durch meine gegelten Haare strich.
"Bist du bereit Baba?", rief ich aus meinem Zimmer und mein junger Vater kam zum Vorschein.
"Lass uns fahren", sprach er und ich war stolz, mein Aussehen von meinem Vater getragen zu haben.
"Ich bleib aber nicht lange, habe morgen schließlich einen Kampf."
"Kein Problem, sieh nur zu, dass du nach Hause kommst."
"Sirac wird auch auf der Hochzeit sein. Er bringt mich dann nach Hause."
Wir stiegen in meinen Wagen und fuhren zur Hochzeit.
Nach langem Suchen fand ich einen Parkplatz und parkte vorsichtig rein, weil mir das Auto zu sehr ans Herz lag.
"Geh du schonmal rein", sprach ich und er nickte.
Hinter der Halle rauchte ich schnell eine und sah zum Parkplatz, auf dem Okans Auto parkte.
Auch Dunya stieg aus und meine Augen weiteten sich. Ihr Kleid. Ihre Haare. Sie sah einfach nur hübsch aus, zu hübsch. Sie hakte sich an Okan und sie betraten die Halle. Nachdem ich zu Ende geraucht hatte, folgte ich dem frischen Paar und suchte meinen Vater, der ein wenig bedrückt an einem Tisch mit seinem guten Freund saß.
"Baba?", fragend sah ich ihn an und sah, dass er mit seinen Fingern spielte.
"Was ist los?", fragte ich skeptisch.
"Es ist nichts. Ich hab dich nur gesucht", versicherte er mir mit einem Lächeln und ich nickte einfach, da ich ihn später fragen würde.
Es wurde viel getanzt, doch ich konzentrierte mich eher auf mein Handy und die Konversation mit meinem besten Freund Sirac, der an unseren Tisch saß. Danach aßen wir und wieder wurde getanzt, bis mein Vater mich anstupste und er seit zwanzig Minuten nach Hause wollte, aber Sirac uns aufhielt.
"Baba was ist denn los, dass du so schnell nach Hause willst?", fragte ich ihn genervt.
"Deine Mutter ist hier."
Das Besteck fiel mir aus den Händen und ich sah gerade aus. Meine Ohren fühlten sich so an, als würde ich mich im Wasser befinden, ich hörte nicht viel. Ruckartig sah ich mich in der riesen Halle um und entdeckte die Kröte meines Lebens, meine Erzeugerin. Glücklich und lachend tanzte sie mit der Braut und ich zog meine Braue in die Höhe.
"Bist du deswegen die ganze Zeit so bleich im Gesicht?", fragte ich ihn, doch er gab keine Reaktion von mir.
"Ist der Bastard auch da?"
Sirac sah sich um und er zeigte unauffällig zu dem Mann, der mir das Leben ruiniert hatte.
"Als ob deine Mutter ihn ernsthaft mitgebracht hat?", fragte mich Sirac, doch ich schüttelte fassungslos meinen Kopf.
"So eine Schlange", lachte ich falsch.
"Lasst uns gehen. Die Hochzeit ist eh gleich zu Ende", stand Sirac auf, als er meine Wut sah.
"Wir bleiben hier extra. Als ob ich wegen denen gehe", demonstrierte ich stur und hielt meine Aggression unter Kontrolle, noch.
Mein Herzschlag schlug so schnell wie nie. Ich hatte diese Furie seit langem nicht zu Gesicht bekommen. Meinem Vater ging es nicht besser, doch Menschen wie diese konnten uns nicht einschüchtern.
"Sie hat euch gesehen", sprach Sirac.
Fest hielt ich den Pappbecher in meiner Hand, der zerknüllt wurde und das Wasser über meine Hand floss.
Ich sah zum Tisch und bemerkte ihre Blicke auf mir. Mit Tränen in den Augen sah sie mich an. Jaja, ein auf unschuldig.
Mit meinen Augen sah ich selbstbewusst in ihre.
Plötzlich erhob sie sich vom Stuhl und kam in meine Richtung.
"Tut mir Leid Babam, aber sie muss wohl eine Ansage bekommen. Anders lernt sie nicht."
Vor uns stand sie nun und lächelte.
"Was?", fragte ich desinteressiert, während mein Vater sich schlecht fühlte, dass sie aufgetaucht war.
"Sirac und Baba, fährt ihr schonmal los. Ich muss leider meine Zeit an dieser Frau vergeuden."
Überraschenderweise hörte mein Vater auf mich und verschwand mit Sirac.
"Ich wollte dir Hallo sagen. Burak..Du hast mich nie ausreden lassen und tust es immernoch nicht. Wird es nicht Zeit, zusammen zu reden? Es tut mir so Leid, wirklich."
"Was ist los? Brauchst du jemanden, der dir das Geld in den Arsch schieben kann du möchtegern Shoppingqueen?"
Ich hatte meinen ganzen Respekt gegenüber dieser Frau verloren, den ganzen.
"Geh zu deinem Macker. Verpiss dich bevor meine Sicherungen platzen."
Von meinem Platz stand ich auf und wollte mich umdrehen, bis ernsthaft ihr Macker vor mir stand und sich breit fühlte.
"Wie redest du mit meiner Frau?"
Kurz lachte ich.
"Wie konntest du eine vergebe Frau unter dir haben?"
Schmerzerfüllt verzog ich mein Gesicht und die Musik im Saal stoppte. Jeder sah zu uns, aber mir blieb nicht Zeit, denn das war eindeutig eine Aufforderungen, mich mit ihm anzulegen.
Er hatte mir eine geboxt.
Ich würde mein Versprechen gegenüber meinem Vater brechen.
Fest holte ich aus und schaffte es, ihm mit einem Schlag zum Boden zu bekommen.
"Du Wichser!", brüllte ich so laut wie nie und trat in seinen Magen.
"Burak!", schrie jeder und nur eine Stimme hallte in meinem Kopf. Dunyas.
"Was denkst du dir dabei he?!", schrie ich und boxte ihn weiter ins Gesicht.
"Fass mich nicht an!", schrie ich meine Erzeugerin an, die mich am Handgelenk packte.
"Nimm deine dreckigen Finger von mir! Wag es nicht!", schrie ich sie an und sie wurde weich. Sie weinte.
Noch nie in meinem Leben war ich so aggressiv. Er war dem Umkippen nahe, doch ich hörte nicht auf.
"Burak!", schrie Dunya und ich spürte ihre kleinen Hände, die mich von hinten umarmten und ich weich wurde.
Auch Okan griff mit ein und sie schafften mich raus.
"Hast du ein Auto?", fragte ich ihn und er nickte. Ohne ein Wort zu sagen stieg ich in den Wagen und wusch mir das Blut von meiner Faust weg. Meine Brust erhob sich und sank in so schneller Zeit. Dunya saß hinten neben mir und versuchte mich zu beruhigen, doch ich war immernoch Wutgeladen.
"Diese verdammte Schlampe und dieser verdammte Bastard", raufte ich mir die Haare.
"Beruhig dich Bruder. Gib ein Scheiß auf beide. Ich versteh nicht, wie sie ihn zur Hochzeit gebracht hat. Ich dachte du hast mit denen abgeschlossen.
"Seit Jahren halte ich die Wut in mir. Was erwartest du? Ich habe in dem Moment einen Scheiß auf meinen Beruf gegeben."
"Der wird nicht zur Polizei gehen. Deine Mutter wird alles dafür tun."
"Tu mir den Gefallen und red einfach nicht", sprach ich zu Okan, der verständlich nickte und ich zu Dunya sah, die wie im Trauma war.
"Schlaf bei uns. Deine Wunde ist offen", sprach Okan und ich fuhr mir über die Lippe.
"Ist schon gut."
"Nein bleib lieber hier. Es ist besser, wenn Amca nix erfährt."
Kurz nickte ich. Ich wollte einfach nur allein sein.
Dunya zeigte mir ein Zimmer für mich und ich setzte mich auf das Bett. Wie konnte sie nur? Was will die erreichen verdammt? Ich wollte so laut schreien, alles rauslassen, aber wieso? Ich hätte abschließen sollen, doch ich will beide anschreien. Ich bin handgreiflich geworden.
"Ich hole dir ein Kühlpäckchen", hörte ich Dunya und ich nickte einfach nur.
Ich beruhigte mich ein wenig, als Dunya das Zimmer betrat und meine Wunde säuberte.
Mir fiel es so schwer, sie so zu sehen, weil sie so gut aussah. Sie war mit ihrem Gesicht so nah an meinem, dass ich alles um mich vergaß.
"Wo ist Okan?", hauchte ich leise vor Müdigkeit.
"Er duscht."
Mit einem Male erhob ich meine Hand und nahm ihren Handgelenk. Die Tür schloss ich und drückte sie dagegen.
"Du siehst heute zu gut aus, weißt du das?", hauchte ich gegen ihre Lippen und sie sah schüchtern zu Boden.
"Okan könnte gleich kommen Burak. Dir gehts nicht gut. Du solltest dich hinlegen", stotterte sie, doch mein Herz schlug rot.
Ich spürte ihren Atem an meiner Unterlippe vorbei streifen und näherte mich ihr. Sie sah so heiß im hellen Mondlicht aus.
Dass sie engelsgleich in meine Augen sah, erschwerte mir die Situation umso mehr.
Unsere Lippen berührten sich, bis Okan durch die Wohnung nach Dunya rief und ich mich sofort aufrappelte.
"Hadi geh", sprach ich zu ihr, doch küsste davor ihren Mundwinkel, was ihre Wangen erröten ließ. Sie verließ den Raum mit dem Gefühl der Reue. Ich verstand sie. Sie war an der Ehe mit Okan gebunden und war es nicht gewohnt, trotz Zwang die Treue zu brechen. So war sie nicht. Ich schon, denn ich ging weit über die Grenzen. Ich hatte beinahe ihre Lippen geküsst, ihre Mundwinkel mit meinen Lippen berührt. Ich habe eine verheiratete Frau berührt, sie beinahe zum Fremdgehen angestiftet. Doch eins wurde mir bewusst. Aus uns wurde mehr als Freundschaft. Mal wieder ein Grund, dass die Freundschaft zwischen Mann und Frau scheitert. Vielleicht hat sie es aber zugelassen, weil ich so aufgewühlt wegen meiner Erzeugerin war. Und wieder überkam mich die Wut. Ich würde meinen Beruf riskieren, um beiden eine Lektion zu erteilen. Wie kann eine Frau, eine Mutter bloß so aufs Geld fixiert sein? Wie?
Ich würde ihr nichteinmal verzeihen, wenn sie sterbend und hinkniend mich um Verzeihung bitten würde. Niemals.
Ich hasste sie nicht einmal. Ich war ihnen gleichgültig. Nichteinmal meinen Hass hatten sie verdient.
Auf dem Balkon zündete ich mir eine Zigarette an und suchtete förmlich an der Nikotinbombe, dessen Stoff sich in meine Lunge lagerte und ich kurz meine Augen schloss.
Sie hatte mir den Kopf verdreht.
Unerwartet spürte ich eine Hand an meiner Schulter und die Person stellte sich neben mich.
"Ich wollte nach dir schauen Bruder", sprach die Stimme meines Bruders und ich drehte meinen Kopf zu ihm.
"Was soll mit mir sein Sirac? Wie gehts meinem Vater?"
"Er ist bisschen bedrückt, aber er hat mit deiner Mutter-
"Erzeugerin Sirac", zischte ich.
"Er hat mit ihr abgeschlossen. Er hat das Buch geschlossen. Sie ist ihm egal geworden und es wird Zeit, das du ihr auch aus dem Weg gehen kannst, ohne sie anzuschreien oder aggressiv zu werden. Kardesim, er ist ein Hurensohn und ich an deiner Stelle würde genau so reagieren, aber weißt du. Die Sache ist Jahre her. Du hast sie zum ersten Mal so richtig angeschrien. Und ich fühle auch, dass du wie eine tickende Zeitbombe bist. Bald wirst du platzen und ich kann jetzt schon voraussehen, dass das eine Katastrophe sein wird. Du wirst sogar deine Engsten verletzen und davor hab ich Angst. Ich als dein Bruder sage dir, versuch dieses Thema aus dem Kopf zu bekommen."
"Ich war noch ein Jugendlicher Sirac. Ich war dabei, mich hochzuarbeiten. Sie hat mich in den wichtigsten Jahren verletzt und wenn mein Vater nicht da wäre, wäre ich kein Polizist. Mag es schwul klingen, aber es ist einfach so gewesen. Schließlich bin ich auch ein Mensch. Es ist doch nicht normal, seine Mutter als Schlampe anzusehen. Was hat die sich getraut ihren Macker auf der Hochzeit zu bringen? Sie hat den Ruf meines Vaters sowieso schon beschmutzt, indem sie ihn verlassen hat."
"Du weißt, dass mein Vater durch diese Furie krank geworden ist und er seelisch nicht mehr belastbar ist."
"Du belastest ihn bald selbst Burak."
Fragend sah ich ihn an.
"Dunya und du."
"Fang nicht damit an, aber wenn du die Antwort hören willst, ich habe ihre Lippen fast geküsst, eher ihren Mundwinkel."
Statt mich zu beschimpfen, grinste er.
"Er spannt einfach Okan seine Frau aus."
"Ist doch sowieso Zwang. Wenn ich sie erobert habe, wird sie alles versuchen, sich von ihm zu trennen."
"Danke Sirac Bruder für alles", sprach ich nur schwer, da man es nicht oft aus meinem Mund hörte. Er verabschiedete sich von mir und ging. Von Dunya hörte ich den Abend nichts mehr . Okan brachte mir Kissen und Decke. Schlafen tat ich nicht, dachte eher nach.
Am nächsten Tag wartete der Boxclub auf mich, da ich heute einen Kampf haben würde. Am Nachmittag müsste ich zur Arbeit.
Relativ früh ging ich aus Okans Haus und fuhr zu meinem Vater, der jedoch wohl oder übel arbeiten war, da Zuhause keine Spur von ihm war. Zuhause duschte ich, machte mich kampfbereit und fuhr eine halbe Stunde lang zur Halle. Miro, Sirac, Fero als auch Ali erschienen, um mich zu unterstützen.
Ich schaffte den zweiten Platz.
Nach der Preisverleihung und den langweiligen Reden ging ich schnell mit meinen Jungs Döner essen.
Danach folgte die Arbeit. Viel zu tun gab es nicht. Eher saß ich mit Ramazan im Büro und wir schrieben haufenweise Anzeigen.
Er warf mir eine kalte Wasserflasche, aus der ich trank und mich nach hinten lehnte.
"Was ein Tag", sagte ich müde.
"Vallah", erwiderte er und spielte an seinem Handy herum.
[...]
"Machs gut Michael", verabschiedete ich mich von meinem Kollegen und fuhr am späten Abend nach Hause.
Zuhause erwartete mich weder Essen, noch mein Vater. Besorgt zuckte ich mein Handy heraus und rief meinen Vater an, der abhob.
"Wo steckst du?", fragte ich leicht panisch.
"Bin auf def Arbeit-
"So spät?"
"Ich musste Überstunden machen, weil es momentan viel zu tun gibt", meinte er.
"Du bist dein eigener Chef, also erzähl mir nicht, dass du Überstunden machen musstest. Deine Firma läuft gut und du hast soviele Mitarbeiter, die deine Arbeit erledigen. Ich komme dich abholen."
"Nein Burak. Das ist nicht nötig. Ich bin sowieso auf dem Weg."
Und schon legte er auf.
Solange zog ich mir eine bequeme Jogginghose an und zockte Fifa.
Als er ankam, sah ich sein erschöpftes Gesicht. Fragen tat ich nicht, denn er würde sowieso nicht mit der Wahrheit rausrücken. Ich machte uns Spaghetti und wir spielten gemeinsam Fifa, da mein Vater ebenfalls Fifa als Vorliebe empfand.
Ich gewann und sah ihn grinsend an.
"Du wirst alt Babacim", grinste ich verschmitzt und lehnte mich mit dem Kopf an der Lehne.
"Deswegen laufen mir immernoch die Frauen hinterher nh?", fragte er ernst und ich geriet ins Lachen.
"Würden die wissen, was für ein Loser du in Fifa bist", lachte ich und er bewarf mich mit einem Kissen.
"Einmal Sieger heißt nicht immer Sieger."
"Schau, jetzt fängst du sogar an wie ein Poet zu reden. Wie ein alter Sack auf einem Stuhl und neben ihm sein Tisch mit langweiligen Büchern."
Erneut bewarf er mich mit einem Kissen.
"Halt den Mund jetzt", sprach er genervt.
[...]
Zum dritten Mal klingelte ich und hörte Schritte. Wenig später wurde die Tür geöffnet und ich bekam eine wandbleiche Dunya, mit Tränen in den Augen zu Gesicht.
"Was ist los?", fragte ich sie und schloss die Tür hinter mir.
Sie jedoch erwiderte nichts auf meine Frage. Stattdessen spürte ich ihre dünnen Arme um meinen Bauch und ihren Kopf an meiner Brust. Und dann nahm ich ihr Schluchzen wahr.
"Mir gehts so scheiße. Ich halte das nicht mehr aus", flennte sie und ich drückte sie fest an mich. Sie klang, als wäre etwas schlimmes geschehen. Aber was? Erst dachte ich Okan hätte sie wieder geschlagen, doch sie trug keine Wunden und er war auch nicht Zuhaus. So blieb ich einfach zehn Minuten stehen, Arm im Arm mit Dunya, die leicht zitterte.
"Ich will meine Eltern haben! Jemanden, der sich wie eine Mutter um mich kümmert, wenn es mir scheiß dreckig geht und ich zu nichts in der Lage bin!"
"Pscht", versuchte ich sie zu beruhigen, doch sie wurde immer lauter und weinte immer heftiger.
"Ich will zu Mama und Papa Burak", hörte ich ihre hilflose und verletzte Stimme und drückte sie fester an mich. Man könnte bei ihrem Anblick mitheulen. Wie Leid sie mir tat, keine Eltern zu haben, eine Waise zu sein.
Vorsichtig löste ich mich von ihr und sie fasste sich an ihren Bauch. Sie hatte tatsächlich mein halbes Shirt nass geweint. Leicht besorgt sah ich sie an.
"Soll ich dich zum Arzt bringen?", fragte ich, doch sie schüttelte ihren Sturkopf.
Danach wusch ich ihre warmen Tränen aus dem Gesicht.
"Was hast du Dunya?", fragte ich sie, als sie schweigend den Boden anstarrte.
"Ich-
Sie unterbrach sich. Sie kam mir schüchtern rüber.
Kurz sah ich zu ihrer Hand, die weiter nach unten gerutscht war zum Unterleib.
"Hast du deine Tage?"
Traurig nickte sie und ich musste mir mein Lachen verkneifen. Und ich dachte es ist was schlimmes passiert.
"Ohh verstehe. Leg dich erstmal in dein Bett."
Ich begleitete sie und sie ging echt so, als hätte ihr jemand in den Unterleib geschossen. Zwar hatte ich eine Frau noch nie während ihrer Periode erlebt, doch ich hätte niemals geahnt, dass man so heftige Schmerzen hat. Wie dem auch sei. Ich half ihr ins Bett, worin eine dünne Decke drunter lag. Wahrscheinlich damit sie nicht ausläuft. Und daneben lag eine Wärmeflasche, die ich ihr gab und sie es auf ihrem Bauch platzierte. Sie lag seitlich zusammengekauert, zog ihre Knie an ihre Brust und kuschelte sich an ihre Decke.
"Du weißt schon, wenn Okan kommt, dass du geliefert bist", hörte ich ihre piepsige Stimme und strich kurz über ihre Haare.
"Mir egal", gab ich von mir und es war ihr ins Gesicht geschrieben, dass sie mit ihren Schmerzen kämpfte.
"Ich halte das echt nicht mehr aus", sprach sie.
"Ich glaub Tee wird helfen. Soll ich dir einen machen?"
Sie jedoch schüttelte ihren Kopf.
"Ich hasse Tee."
"Doch ich mach dir einen mit Zucker."
Ich spazierte in die Küche. Ich fühlte mich echt schwul. Nachdem ich ihr den Kamillentee fertig auf ein Tablett mit Zwieback serviert hatte, zwang ich sie diesen zu trinken. Sie sah schon viel besser aus und starrte mich an.
"Weißt du was so schlimm in dieser Zeit bei mir ist?", fing sie an und ich sah sie fragend an.
"Meine Beine tun immer so schrecklich weh. Ich hab schlimmere Beinschmerzen als Unterleibschmerzen und das sind keine normalen Schmerzen. Das sind total komische Schmerzen."
"Warst du schonmal beim Arzt?"
"Ja, es gibt keinen Ausweg. Man sagt, dass das nach dem ersten Mal oder nach einer Geburt gelindert wird, aber ich kenne soviele Personen, bei denen das nicht der Fall ist. Jedesmal frag ich mich, wieso Allah so etwas erschaffen hat."
Genervt verdrehte sie ihre Augen. Sie war wütend und verärgert, doch das war viel besser, als das sie Schmerzen hat.
Ich nahm die Decke von ihren Beinen und fasste an ihr linkes Bein.
"Wo hast du Schmerzen?"
Ein wenig erschrocken sah sie mich an, als hätte sie Geister gesehen.
"Sag schon. Ich massiere nur", lachte ich und sie sagte mir, wo sie Schmerzen hatte.
Sie setzte sich aufrecht hin, während ich ihre ganz verspannten Beine massierte und ich sah, dass es ihr gefiel.
"Danke Burak echt", sprach sie lächelnd und ich strich über ihren kleinen Kopf.
"Wann kommt Okan?"
"19 Uhr. Wahrscheinlich geht er heute noch in die Shishabar, dann noch später."
"Raus kannst du nicht ne?"
Sie schüttelte ihren Kopf.
"Was sollen wir hier machen? Schlag was vor. Wir machen alles außer Bollywoodfilme gucken."
"Okay dann lass uns Sadece sen schauen", lächelte sie verschmitzt und ich willigte nach einem Seufzer. Der Film war sowieso kurz. Ich setzte mich neben ihr aufs Bett und schloss den Fernseher per Bluetooth an das Handy an. Danach startete ich den Film und holte der Madame Süßigkeiten aus der Küche und eine Eispackung. Ich musste zugeben, dass sie niedlich beim Essen aussah und auch daneben kleckerte, doch ich ließ es dabei und sah den langweiligen Liebesfilm an. Heimlich schrieb ich mit den Jungs in der Gruppe und spürte plötzlich nach einer halben Stunde ihren Kopf an meiner Schulter. Sie war eingeschlafen.
Vorsichtig legte ich sie ins Bett und deckte sie vernünftig zu. Sie sah aus wie ein Engel, ein reiner Engel. Der Gedanke, das sie Okan gehören könnte oder vielleicht schon gehörte scheiterte mich immer und immer dran, in ihre Nähe zu sein, aber aus einem unerklärlichen Grund konnte ich nicht. Sie bedeutete mir etwas eigenartiges, was ich zuvor noch nie richtig kennengelernt habe. Sie war wie ein sechster Sinn in mir.

Der charmante PolizistWo Geschichten leben. Entdecke jetzt