SECRET ∞ thin ice.

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~ RAVEN ~

Meine Beine ließ ich lustlos runterbaumeln, meine Haut von Gänsehaut überzogen und mein ganzer Körper zitterte. Doch zitterte ich nicht wegen der Eiseskälte, die hier in der Nacht herrschte, sondern wegen etwas ganz anderem. Langsam hob ich eine Hand und fuhr mit dem Handrücken über meine Wange, um die letzten Tränen wegzuwischen.

Dies war ein Moment, in dem ich ein stark alkoholisches Getränk gebrauchen könnte.

Ein wirklich sehr starkes.

Oder ich bräuchte jemanden, mit dem ich über diese schrecklichen Alpträume reden konnte, die mich schon zum zweiten Mal heimgesucht hatten. Dieses Mal war es nur sehr viel schlimmer gewesen als das Mal zuvor.

Ich erinnerte mich an den dunklen Raum mit der zwielichtigen Beleuchtung und an den Stuhl, an dem ich festgebunden gewesen war. Das Tuch, welches man um meinen Mund gewickelt hatte, damit ich nicht sprechen konnte. Das Adrenalin, welches mir durch die Adern geschossen hat, weil die große Angst der Grund war.

Meine Eltern, die in diesem Alptraum direkt vor meinen Augen erschossen wurden sind.

Der Knall echote immer noch in meinem Kopf und ich sah das viele Blut, das sich auf dem Boden verteilte. Es war eine riesige rote Lache gewesen und inmitten dieser Lache hatten meine Eltern gesessen, tot, an einem Stuhl festgebunden, die Augen geschlossen.

Ich hörte die Stimme, die mit süffisanter Stimme „Game over" flüsterte. Ich spürte die Tränen, die an meiner Wange hinabgeflossen sind und ich spürte die Schluchzer in meinem Hals, die ich nicht herauslassen konnte.

Und dann ein erneuter Knall, erneut dieser weiße Raum, ehe ich schweißgebadet, mit einem panischen Ausdruck im Gesicht und zitternden Gliedmaßen aufgewacht bin. In meinem Kopf hallte der Schrei noch immer, den ich von mir gegeben hatte, als man meinen Eltern in den Kopf geschossen hatte.

Das war der schrecklichste Alptraum, den ich jemals hatte.

Ich hatte Angst wieder einzuschlafen und noch einmal dasselbe zu erleben wie beim letzten Mal. Das wollte ich nicht. Auch wenn ich todmüde war und lieber all den Schlaf aufholen würde wollen, wollte ich ein solch weiteres Erlebnis lieber nicht erleben.

In meinen Augen sammelten sich wieder Tränen, als ich an meine Eltern dachte.

Als ich bei dieser Sache eingestiegen war, hatte ich an die Konsequenzen gedacht, die damit entstehen würden. Eine Konsequenz war es, dass ich sie unwissentlich ebenfalls in Gefahr gebracht hatte. Das Schlimmste daran war, dass es mich in den ersten Tagen gar nicht interessiert hatte. Ich hatte nur Augen für mein Leben und für das von Niall und Leandro gehabt. Ich war eine Egoistin, das wurde mir nun klar.

Eine weitere Konsequenz war es, dass ich Dinge erfahren habe, die ich nicht erfahren sollte oder niemals wissen wollte. Wie zum Beispiel dass mein Cousin mir all die Jahre etwas vorgespielt hatte und nicht derjenige war, für den ich ihn all die Zeit hielt.

Es waren viel zu viele Lügen im Umlauf.

Noch schlimmer war es, dass all diese Lügen zu meinem Alltag gehört und ich sie für die Wahrheit gehalten hatte.

Doch nun war Schluss.

Ich hatte die Schnauze gestrichen voll von all den Lügen, die mir während meines Lebens aufgetischt worden waren. Ich war kein Tier, dass man mit irgendetwas füttern konnte und hoffte, dass es nicht daran verreckte. Ich war ein Mensch und ich hatte das Recht die Wahrheit zu wissen.

Mehr Tränen rannen meine Wange hinab. Ich hatte es aufgegeben sie wegzuwischen, weil es einfach viel zu viele waren.

Die letzten Wochen meines Lebens hatten mir Kummer bereitet, auch Spannung und neue Erfahrungen, aber am meisten Kummer. Ich hatte nicht versucht irgendjemanden zuhause zu erreichen.

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