24. Kapitel

2K 75 26
                                    

Völlig außer Atem kam ich am Astronomieturm an. Meine Hände auf die Knie stützend sah ich mich um. Das große, runde Fenster ließ ziemlich viel Licht in den Raum, doch dennoch wirkte es irgendwie beklemmend hier oben. Unterricht hatte ich hier selten gehabt, nur ein oder zwei Mal. Die Schränke waren verstaubt, die Karten an Wänden leicht vergilbt und am Lehrerpult stand ein großer Globus.
Angestrengt versuchte ich den roten Haarschopf von Lily zu erblicken, doch weder sah noch hörte ich irgendwas von ihr. Enttäuscht wollte ich mich gerade auf den Rückweg machen, als kleine Funken aus einer Ecke aufstoben. Sofort lief ich hin und sah Lily, zusammengekauert in der Ecke. Ihre Augen waren vom Weinen rot und geschwollen, wodurch das Grün ihrer Augen fast gruslig intensiv wirkte. Sie hielt ihren Zauberstab in den Händen und alle paar Sekunden flogen neue Funken, in allen erdenklichen Farben. „Hey Lily", sagte ich leise um sie nicht zu erschrecken. Tat ich wohl dennoch, denn sie richtete den Stab auf mich und riss verwirrt die Augen auf. Als sie mich erkannte, ließ sie den Stab sinken. Doch nicht nur das, ihre ganze Haltung schien irgendwie... einzubrechen. Ihre Schultern sackten herab, ihre Arme erschlafften und ihr Kopf stieß gegen die Wand. Sie sah fertig aus.

„Hi Lynn", murmelte sie mit heiserer Stimme. Etwas unbeholfen ließ ich mich vor ihr sinken und fragte: „Wie geht's dir?" Sie schnaubte. „Wunderbar." Ich verdrehte die Augen. „Es tut mir leid, was vorhin passiert ist. Alle suchen dich", versuchte ich es erneut. In ihren Augen schienen sich erneut Tränen zu bilden. „Sollen sie doch... Ich will nicht mehr runter, sollen sie sich doch ohne mich weiter streiten. Dann muss Potter nicht fast von einer Treppe zerquetscht werden und Severus liegt nicht in seinem Erbrochenen." „Aber das war doch nicht im Geringsten deine Schuld." Wieder schnaubte Lily. „Ach nein? Wenn ich nicht mit Severus befreundet wäre, hätte er nicht von einem Kronleuchter hängen müssen. Und wenn ich nicht James' Mobbingopfer wäre, würden er und Severus sich nicht ständig streiten." Ich zog die Augenbrauen hoch. Wie kam sie denn auf sowas? „Wieso bei Merlins Bart denkst du, dass James dich als sein Mobbingziel sieht?" „Warum sonst würde er mir ständig hinterher laufen, peinliche Dinge sagen und sich mit meinem besten Freund anlegen?" „Weil er ein Idiot ist und nicht weiß, wie er sonst mit dir umgehen soll. Ich glaube, James hat keine Ahnung wie man mit Mädchen umgeht und versucht, auf seine schräge Art, sich mit dir anzufreunden." „Das soll er bitte lassen." Mit diesen Worten stand sie auf und ich tat es ihr gleich. „Gehen wir jetzt zu den Anderen?"fragte ich. Sie nickte.

In unserem Schlafsaal sah es aus wie auf einer Müllhalde. Marlene und Dorcas hatten zusammen mit Alice angefangen ihre Koffer zu packen. Nur hatten sie dann auch wieder aufgehört, ohne es beendet zu haben. „Was ist denn hier explodiert?", fragte ich amüsiert, während ich um die Wäscheberge herum tänzelte und mich auf mein Bett warf. „Wir... wir wollten packen", antwortete Alice und deutete auf ihren sporadisch gefüllten Koffer. „Da seid ihr aber weit gekommen", meinte Lily. „Hey, da bist du ja wieder!", rief Marlene sofort und umarmte sie. „Wo warst du?", fragte Dorcas. „Im Astronomieturm, ich brauchte mal eine Pause", erwiderte die Rothaarige seufzend. „Aber das mit dem Packen ist gar keine schlechte Idee, morgen hab ich bestimmt keine Zeit mehr dafür." Und mit diesen Worten begann sie ihre Sachen in ihren Koffer zu sortieren. Schulterzuckend fing ich ebenfalls an, meine Kleidung zu ordnen.

„Freut ihr euch eigentlich auf zu Hause?"fragte Alice nach kurzer Stille. „Absolut nicht", antwortete ich sofort und meine Freundinnen schauten hoch. „Wieso das?", fragte Lily. „Sirius' und meine Familie ist nicht sehr... wie kann man das nett ausdrücken? Herzlich. Alles ist kalt und irgendwie unheimlich. Ganz davon zu schweigen, was die Mentalität unserer Familie betrifft. Und jetzt, wo wir ja nicht einmal nach Slytherin gekommen sind, sind wir am Grimmauld Place bestimmt nicht mehr sehr willkommen. So als Schande der Familie." Während meiner Schilderung war ich immer leiser geworden. Mir fiel jetzt erst ein, wie schrecklich es werden würde. Mutter und Vater werden an uns ihre Wut auslassen und Regulus wird daneben stehen und gar nichts tun. Ich schüttelte mich bei diesem Gedanken. „Du kannst mich in den Ferien gerne besuchen kommen", meinte Marlene und schaute mich mitleidig an. „Ja, mich auch!", sagte Alice und Dorcas nickte. „Wenn du mal eine Muggelfamilie live miterleben möchtest, kannst du auch zu mir kommen", bot Lily an und ich musste lächeln. Womit hatte ich so tolle Freunde verdient?

Zwei Tage herrschte muntere Aufbruchsstimmung. Im Gemeinschaftsraum liefen Schüler aller Altersklassen wirr durcheinander, riefen sich etwas zu oder suchten hektisch nach vergessenen Büchern. Ich schob mich vorsichtig durch die Masse in die große Halle, wo ich auf meinen Bruder und Remus traf. „Morgen", begrüßte ich sie und schaufelte mir einen Berg Rührei auf den Teller. „Wo sind James und Peter?", fragte Frank, welcher sich neben Remus gesetzt hatte und ebenfalls begann zu frühstücken. „Die packen noch. Ich weiß gar nicht, warum alle so gestresst sind. Zur Not kriegt man seine Sachen halt im September wieder", erwiderte Sirius und schlürfte Milch aus seiner Schüssel. „Ja, ich versteh den Stress auch nicht ganz. Ich meine, wir haben unsere Prüfungsergebnisse und noch ein letztes wunderbares Frühstück", meinte Remus und lächelte selig seinen Teller an. Und er hatte recht. Wir hatten unsere Prüfungsergebnisse bekommen, meine waren alle erstaunlich gut ausgefallen, bis auf Zauberkunst, wo ich nur ein Annehmbar bekommen hatte. Doch das war auch okay. Jetzt wollte ich einfach nur noch das letzte Essen hier genießen, bis ich in den Zug und schließlich nach Hause musste.

Die große Halle füllte und leerte sich wieder, doch Sirius und ich blieben noch sitzen. Wir aßen schon seit einer halben Stunde nicht mehr, doch wollten nicht aufstehen. „Die Kutschen kommen in fünf Minuten", erinnerte uns Marlene und rüttelte an meiner Schulter. Ich seufzte übertrieben laut und sah zu meinem Bruder. „Auf geht's", sagte er und schenkte mir ein halbherziges Lächeln. Wehmütig ließ ich meinen Blick noch ein letztes Mal durch die große Halle schweifen, bis ich schließlich doch aufstand und mit Sirius in Richtung der Kutschen ging. „Kopf hoch, es sind nur ein paar Wochen", meinte mein Bruder. Ich nickte. „Ja, aber ich bezweifel, dass die paar Wochen gut verlaufen. Oder schmerzfrei." Sirius verzog sein Gesicht und griff nach meiner Hand.

Einige Zeit später saß ich im Zug, neben mir Marlene und gegenüber von mir Remus und Peter. Sirius und James saßen auf dem Wagonboden und sortierten ihre Schokofroschkarten. „Ich vermiss unseren Schlafraum jetzt schon", stöhnte ich und Marlene lachte. „Keine Sorge, der läuft schon nicht weg. Du musst nur den Sommer überleben." „Das sagst du so einfach." „Ich schreib dir so oft, wie es geht. Dann kannst du dich zumindest ein bisschen ablenken." Ich umarmte sie. Marlene war mir so sehr ans Herz gewachsen, ich konnte es kaum glauben. „Ich sehe den Bahnhof!", rief Peter aufgeregt und wir drückten unsere Gesichter an die Fensterscheibe. Mein Herz wurde schwer. Jetzt waren wir fast wieder zu Hause. „Ich werde euch so vermissen", sagte ich und zog jeden Einzelnen in eine Umarmung. „Ach was, du hast doch noch mich", scherzte Sirius und ich war wirklich verdammt froh, zumindest ihn an meiner Seite zu haben. Ich wüsste nicht, wie ich ohne ihn diese Familie überleben sollte.

Schnaufend hielt die rote Lok am Bahnhof King's Cross an. Meine Augen suchten den Bahnsteig ab, doch Mutter oder Vater waren nirgendwo zu sehen. Stattdessen sah ich Creachers lange Ohren zwischen den Beinen einer älteren Dame. Ich wuchtete meinen Koffer von der Ablage und sah Sirius ernst an. „Los geht's."

🎉 Du hast She's a Black || • HP Rumtreiber FF • BEENDET • fertig gelesen 🎉
She's a Black || • HP Rumtreiber FF • BEENDET •Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt