8. Kapitel

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Der nächste Tag war für mich ein bisschen ruhiger als der Vorherige. Dies lag vor allem daran, dass ich keine Strafarbeit zu verrichten hatte. Dennoch war er aufwühlend.

Ich wachte ganz normal auf, okay nein, ich wurde ganz normal von Marlene mit Wasser geweckt. Aufstehen war einfach nicht so meins. Beim Frühstück sah ich, dass Remus immer noch ziemlich krank aussah, sogar noch schlimmer als gestern. ,,Remus, geht's dir gut?"fragte ich ihn vorsichtig. Langsam ließ er von seinem Brötchen ab und schaute mich genervt an. ,,Es. Geht. Mir. Gut", knurrte er gereizt. ,,'Tschuldigung", meinte ich und hob beschwichtigend die Hände. ,,Lass ihn mal, er ist heute ziemlich gereizt. Keine Ahnung, warum", flüsterte Sirius mir zu. ,,Wo ist Lily?"fragte James, welcher es geschafft hatte, von seinem Kürbissaft wegzukommen. Ich schaute mich um, er hatte recht. Neben mir saßen nur Marlene, Alice und Dorcas, unsere Lily fehlte. Alice sah sich ebenfalls suchend nach ihr um. ,,Da ist sie", sagte schließlich Frank. Er hatte sich um 180° gedreht und schaute zum Slytherintisch. Dort, zwischen all den Menschen in dunklen Umhängen, saß Lily, Ihre roten Locken stachen einem sofort ins Auge und ich wunderte mich, warum wir sie nicht gleich gesehen hatten. ,,Was will sie da?"fragte Dorcas verwundert und reckte ihren Hals, um besser sehen zu können. ,,Die ift bestimmt bei diefen Schfleimer", sagte Sirius und nieste. ,,Schn-hatschi!-ape", nieste er und schmatzte weiter vor sich hin. Peter lachte auf. ,,Wie hast du ihn genannt? Schleimer Schniefelus?"fragte er und hustete ein Apfelstück aus seinem Hals. ,,Nein, hat er nicht gesagt. Aber das ist besser", begeisterte sich jetzt James und begann ebenfalls zu lachen. Schleimer Schniefelus, was für ein Spitzname. Der arme Junge. Lily war mittlerweile wieder zu unserem Tisch gekommen und schaute verwirrt zu den lachenden Jungs und dem genervten Remus. ,,Wie war's bei Schniefelus?"fragte James. Ich schlug mir innerlich gegen die Stirn. Wie konnte dieser Junge nur so taktlos sein? Seit wann tat der innerliche Schlag eigentlich so weh? An den Blicken der Anderen konnte ich schlussfolgern, dass es vielleicht doch nicht so innerlich sondern viel mehr äußerlich war. ,,Oh", machte ich leise und beobachtete, wie Lily James verachtend anstarrte. ,,Wie hast du Severus genannt?"giftete sie. Oh James, du armer Idiot. Wie konntest du nur? Genannter zuckte jedoch lediglich mit den Schultern, rückte seine Brille zurecht und... sah verdammt überheblich und großkotzig aus. Er hatte wohl nicht ganz verstanden, dass er überhaupt etwas falsch verstanden hatte. Bevor jedoch auch nur ein weiteres Wort über die Lippen der Streitenden kommen konnte, flogen unzählige Eulen herein. "Oh, die Post", sagte Marlene um das Thema zu wechseln. Eine Eule steuerte genau auf mich zu. Er wurde direkt vor mir fallen gelassen. Sirius hatte denselben bekommen. Verwirrt schauten wir uns an. "Rennt raus! Sofort!"rief Dorcas, die unsere Post besorgt gemustert hatte. Ich fragte gar nicht wieso, instinktiv wusste ich, dass sie recht hatte. Ich rannte so schnell ich konnte mit dem Brief in der Hand aus der großen Halle. Immer weiter, planlos an Türen vorbei. Schließlich war ich draußen angelangt. Der Brief schien zu explodieren. Nicht nur wortwörtlich, aber die keifende Stimme zerriss die natürliche Stille. "DU SCHANDE EINER TOCHTER! WIE KONNTEST DU ES WAGEN, DU MISSGEBURT! NICHT EINE SACHE KANNST DU RICHTIG MACHEN! WIESO MUSST DU MEINE TOCHTER SEIN? MEIN FLEISCH UND BLUT? DAS ICH NICHT LACHE! SCHANDE! DU BESUDELST DIE FAMILIENEHRE MIT DEINER EKELHAFTEN ANWESENHEIT! KOMM MIR ERST MAL NACH HAUSE! ICH SCHWÖRE DIR, DAS WIRD KONSEQUENZEN HABEN! ICH HABE JA NOCH GENUG ZEIT; UM MIR GENÜGEND STRAFEN AUSZUDENKEN! WEIßT DU WAS? KOMM JA NICHT WIEDER!"

So apprupt wie die Stimme erklangen war, verschwand sie auch wieder. Ich hatte den Brief fallen gelassen, starrte ihn geschockt an. Das war meine Mutter gewesen. Aber woher wusste sie das? Ich wusste nicht, was ich tun sollte und fühlte mich zum ersten Mal schutzlos dem Zorn meiner Familie ausgeliefert. Ich war zusammengesunken und kauerte im knöchelhohen Gras. Ohne es zu merken hatte ich begonnen zu weinen. Mir wurde mit einem Schlag bewusst, was ich genau mir mit Hogwarts und Gryffindor eigentlich passiert war und was das für schreckliche Auswirkungen hatte. Vorher war ich froh, mich von meiner Familie abgespalten zu haben, doch jetzt? Jetzt war ich ein Häufchen Elend. Von meiner eigenen Mutter als Missgeburt betitelt. Sie wollte eine andere Tochter. Ich wollte eine andere Mutter. Das Leben war so unfair. Ich ließ mich flach auf den Boden fallen und meine Haare verdeckten mir die Sicht. Mein Körper schüttelte sich ab und zu und ich schluchzte leise.

Ich wusste nicht wie lange ich dort schon lag, doch irgendwann hörte ich eine Stimme. "Lynn?"fragte sie zaghaft. Es waren nicht Marlene oder Sirius, wie ich erwartet hatte. Es war Remus. Ich hob den Kopf und drehte mich zu ihm. "Ja?"schniefte ich leise. Er setzte sich neben mich und sah mich unbeholfen an. Erstaunlich, wie ruhig er jetzt war. "Die Anderen suchen dich schon. James ist bei Sirius und Marlene und Lily sagen McGonagall Bescheid, dass ihr nicht zu Verwandlungen kommen konntet... Was-was hat der Heuler gesagt?" Ich war Remus so dankbar dafür, dass er gerade hier war. Mühsam raffte ich mich auf. "Er war von meiner Mutter. Sie, sie hat mich beschimpft und mir gedroht... Sie hat gesagt, dass ich eine Schande und eine Missgeburt bin und dass sie lieber eine andere Tochter hätte." Meine Stimme brach und wieder rollten mir ein paar Tränen über die Wange. "Sie hat dich Missgeburt genannt?"hakte Remus geschockt nach. Ich nickte. Er kramte in seinem Umhang herum und zog schließlich die angebrochene Tafel Schokolade hervor. Wortlos gab er sie mir. Dankbar brach ich etwas davon ab und aß langsam die Süßigkeit. Kurz darauf hatte ich tatsächlich das Gefühl, es würde mir ein bisschen besser gehen. Schokolade schien ein Allheilmittel zu sein.

"Geht's?"fragte Remus mich. "Ja, danke. Schokolade hilft gegen alles", sagte ich und versuchte zu grinsen. Er grinste zurück. Mir wurde in diesem Moment bewusst, dass Remus und ich wohl ziemlich gute Freunde werden würde. Und obwohl er noch immer sehr blass und krank aussah, stand er auf und hielt mir die Hand hin. Ich ergriff sie und ließ mich hochziehen. Den Brief nahm ich mit. Langsam und schweigend liefen wir nebeneinander her zu unserer nächsten Stunde. Jetzt würden wir zum ersten Mal Kräuterkunde haben. Das Gewächshaus lag ein bisschen außerhalb und so konnten wir weiterhin draußen über die Ländereien schlendern. Vor dem kleinen Häuschen standen Sirius und James. Mein Bruder sah ebenfalls ziemlich geknickt aus. Als er mich erblickte sah ich in seinen Augen denselben Schmerz, den ich fühlte. Wir wussten beide, irgendwie waren wir inoffiziell verstoßen worden. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis es offiziell sein würde. Er lief auf mich zu und... umarmte mich. Und diese Umarmung tat mir so gut, dass ich hoffte, sie würde nie enden. Einfach bei Sirius stehen und den Rest ausblenden. Doch aus den Augenwinkeln sah ich James und Remus, die sich beide leise unterhielten. Und dann dachte ich an Marlene und die anderen Mädchen. Wir waren nicht mehr nur auf uns gestellt. Hier waren Leute, denen wir vertrauen konnten und die uns helfen würden. Und ich war ihnen genau dafür unendlich dankbar!

She's a Black || • HP Rumtreiber FF • BEENDET •Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt