IV

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Tyler
Die frische Nachtluft tut gut.
Ich sitze auf dem Balkon und lasse meine Arme vom Geländer hängen. Morgen früh werden wir zurück nach Amerika fliegen und ich werde eine leere Wohnung vorfinden. Ich weiß, ich werde nicht alleine sein, denn da gibt es Josh und all meine anderen Freunde, die ich während der Tour so schrecklich vermisst habe. Außerdem werde ich die ersten Wochen bis Thanksgiving bei meiner Familie verbringen und dass ein Stuhl dieses Jahr leer bleiben wird, wird mir kaum auffallen. Aber ich kann das Gefühl, dass ein wichtiger Teil meines Lebens fehlt nicht ignorieren.

Nachdem es draußen nach und nach immer unerträglicher wird, geh ich zurück in mein Hotelzimmer. Ich bin alleine und nur die Nachttischlampe ist angeschaltet. Ich schließe die Balkontür hinter mir und taste nachdem Lichtschalter. Ich kann keinen finden, also bahne ich mir einen Weg durch die Koffer in Richtig Zimmertür. Ich bin kurz davor, den Lichtschalter am anderen Ende des Zimmers zu erreichen, da verliere ich meinen Halt und lande fluchend auf dem Boden. Und obwohl mein Kopf schmerzt, erkenne ich auch in dem schwachen Licht, dass ich nicht einfach so umgefallen bin. Vor der Tür liegt ein Stapel Handtücher und eine zerknüllte Zeitung, auf der ich anscheinend ausgerutscht bin. Ich stütze mich an der Bettkante ab und betätige den Lichtschalter. Erst im Licht kann ich erkennen, dass man mir die Zeitschrift nicht einfach so ins Zimmer gelegt hat.
Das Bild, dass das Cover der Zeitschrift ist, wurde vor einigen Monaten von Jenna und mir während einer Spendengala gemacht. Mir wird schlecht, denn ich bin nicht davon ausgegangen, dass es so schmerzhaft sein würde sie wiederzusehen. Ich kann die Zeitung nicht lesen, weil sie auf einer anderen Sprache geschrieben ist, aber das will ich auch gar nicht, denn was sollte schon spannendes in einem Klatschblatt stehen. Außerdem ist der Strich der durch Jenna und mich gezogen würde mehr als nur eindeutig. Auch die vier ungelesenen Nachrichten, die ich kurz darauf auf meinem Handy entdecke, lassen sich damit erklären. 3 sind von meiner Mutter und eine ist von einem alten Kumpel, den ich seit gut einem Jahr nicht mehr gesehen habe und beide fragen, ob man dem glauben kann was überall im Internet steht oder nicht. Es wundert mich nicht, dass alle schon darüber berichten, denn bereits heute morgen habe ich Bilder davon, wie Jenna alleine in einen Flieger einsteigt, auf Instagram gesehen.

Ich liege schon lange im Bett und versuche zu schlafen, doch mit den Gedanken bin ich bei Jenna. Auch Joshs lachen, welches ich durch die dünne Trennwand hören kann, als wäre es direkt neben mir hält mich wach. Als ich gerade darüber nachdenke, ob ich Jenna jemals loslassen kann, werden die Stimmen im Nebenraum leiser und die Tür geht auf und schließt sich wieder. Jetzt höre ich nur noch das Rauschen der Heizung.
Jetzt wo es endlich so still ist, wie ich es mir die ganze Zeit lang gewünscht habe, hält es mich nur noch mehr wach. Es ist, als würden meine Gedanken schreien. Vielleicht tun sie das wirklich, denn plötzlich klopft jemand an die Tür und fragt in die Stille: "Alles okay bei dir Ty?", es ist Josh. Ich antworte nicht, denn der Kloß in meinem Hals hindert mich daran.
Ich merke, dass er in mein zimmer tritt.
"Nein", flüstere ich schließlich und rutsche ein bisschen an die Seite. Josh lässt sich zögerlich aufs Bettende fallen und streckt seine Hand nach meiner Stirn aus. "Du bist total heiß." Josh sieht mich entsetzt an. "Warum trägst du überhaupt einen Pullover? Die Heizung läuft auf der höchsten Stufe." Ohne etwas zu sagen, ziehe ich meinen Pullover aus und lasse mich zurück ins Bett fallen. Tatsächlich geht es mir gleich viel besser, als ich die frische Luft auf meinem nackten Oberkörper spüre.
Trotzdem fange ich plötzlich an leise zu weinen. Dieses mal kommt Josh ohne Zögern zurück an mein Bett, schiebt sich neben mich und umklammert mit seinen starken Armen meinen Körper. Er hält mich so fest, dass ich seinen Atem an meinem Hals spüre und bemerke, dass er ebenfalls kein tshirt trägt. Seine Hand liegt auf mir und er streicht vorsichtig über meinen Bauch. Ich spüre jede einzelne Stelle meines Körpers, als würde ich in Flammen liegen.
Obwohl mein Kopf schreit, dass es falsch ist und ich nicht in den Armen meines besten Freundes liegen sollte, fühle ich mich gleichzeitig so gut und sicher, dass ich Sekunden später einschlafe und kein einziges mal mehr an meine beinah Verlobte gedacht habe.

Nobody Thinks What I Think  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt