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Josh
Wir gehen schweigend die Treppe zum Bühnenaufgang hoch. Meine Beine zittern. Nicht vor Aufregung sondern weil es mich so verletzt hat was Tyler mir in der Kabine gesagt hat.
"Das hier ist es, das mir Angst macht."
Das ist gleichbedeutend zu: "Ich weiß das du mich liebst, aber ich möchte dass du damit aufhörst." Und ehrlich gesagt kann ich ihn verstehen, denn ich bin auch nicht glücklich mit der Situation. Aber was ich möchte interessiert ihn anscheinend nicht.

"Bist du bereit?",fragt Tyler mit der Hand am Türgriff. Am liebsten würde ich jetzt einfach wegrennen und niewieder kommen. Dann hätte diese Qual endlich ein Ende gefunden und Tyler würde schon einen anderen Schlagzeuger finden. Ich schweige weiter.
"Josh" Tyler nimmt seine Hand wieder von der Türklinke. Ich merke die genervten Blicke von Mark, des Tontechnickers und des Managers der Konzerthalle. Alle warten darauf, dass wir uns endlich trennen, da ich von rechts auf die Bühne komme und Ty von links.
"Das ist es doch was wir immer wollten." Tyler spricht so leise, dass nur er und ich es hören können.
"Aber es hat sich etwas geändert." Ich schlucke.
"Ich weiß." Er zupft seinen Kragen zurecht. "Aber wir sollten kein großes Ding daraus machen. Es ist passiert, dass bedeutet nicht dass wir nicht weitermachen können wie zuvor." Er versucht zu grinsen, damit Mark und die anderen nicht mitbekommen worüber wir sprechen.
Leicht empört sehe ich ihn an,"du willst also für immer so weitermachen?"
"Warum nicht?" Er sagt es so, dass ich ihm sogar abkaufe, dass er mein Problem nicht versteht.
"Ach weißt du was," Ich gehe langsam in den Gang Richtung Bühnenaufgang 1, "du kannst gerne so weiter machen, ich kann es jedenfalls nicht."

Und als ich jetzt vor dem Aufgang stehe und auf mein Zeichen warte, zittern meine Beine noch viel mehr, denn ich muss immer wieder an Tylers verletzten Gesichtsausdruck denken.
Aber letztendlich ist es die Musik und die Fans die mich auf die Bühne locken und weil niemand von Ihnen weiß in welcher Beziehung wir wirklich zu einander stehen, fällt es mir viel leichter meine unerwiderte Liebe zu verbergen. Und wie ich es vermutet hatte, tobt die Menge, als sie uns auf die Bühne kommen sieht. Ich fühle mich unglaublich frei.
Jeder Schlag elektrisiert meinen Körper, sodass ich nicht still auf meinem Hocker sitzen bleiben kann. Auch Tyler scheint wie beflügelt von der Musik, die wir beide spielen. Sein ganzer Körper schüttelt sich und seine Worte füllen den Raum wie Licht.
Ich betrachte die Bühne, die Menschen, Tyler alles so als würde ich es gerade zum ersten Mal sehen.
Es ist ein sehr großer Saal. Ehrlich gesagt zu groß. Niemals hätte ich gedacht, dass unsere Musik genug Menschen gefällt um einen Saal von 12 tausend Menschen zu füllen. Niemals hätte ich gedacht, dass wir so weit kommen und niemals hätte ich gedacht, dass ich irgendwann mal an meinem Schlagzeug sitze und Tyler mit Tränen in den Augen dabei beobachte, wie er auf seiner Ukulele spielt.
Rechtzeitig für meinen Backflip fange ich mich wieder. Normalerweise genieße ich es für ein paar Sekunden bei Tyler auf dem Klavier zu stehen und die Fans aus einer anderen Perspektive zu sehen, aber heute stehe ich so weit wie möglich am Rand und versuche Tyler nicht an zu starren. Tyler hingegen lächelt mich zweimal an. Er versucht bestimmt sich so zu entschuldigen, aber das bringt nichts weil ich nicht sauer auf ihn bin, ich bin einfach nur traurig, dass mein Leben gerade in so eine super falsche Richtung abdriften.

Inzwischen befinden wir uns bereits  in der zweiten Hälfte des Konzertes und langsam bin ich echt aus dem Atem. Ich schwitze und kann an nichts anderes mehr denken, als an das Ende von "Ride", wenn ich zurück auf die Bühne komme und ein paar Minuten Zeit habe, um zu trinken.
Und als Tyler eine Ansprache hält und ich daneben mit meiner Wasserflaschen sitze, kann ich nicht aufhören Tyler an zu starren. Nicht weil er Oberkörperfrei da steht, sondern, na ja doch irgendwie, aber eigentlich nur weil seine linke Brust völlig schwarz ist. So wie auch sein Hals und seine Hände.
Nur dass ich die Geschichte hinter seinen Händen und seinem Hals kenne, aber dass er sich auch seine Brust anmalt ist neu für mich.
Tyler ist sehr selbstkritisch manchmal sogar ängstlich, was Sachen die er mit seinen Händen spielt oder Songs, die er schreibt betrifft. Dasselbe gilt für seine Stimme, daher die Bemalung seines Halses.
Verwundert sehe ich zu ihm hoch.

"Das ist es, das mir Angst macht."

Nobody Thinks What I Think  Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt