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Bei so einem Miesen Wetter war man froh, wenn man alle Einkäufe erledigt hatte und sich bis zum Beginn der Arbeit vor dem Kamin aufwärmen konnte.

Seit dem meine Oma vor drei Jahren verstorben war, war ich in diesem Haus komplett allein. Meine Eltern starben bei einem Autounfall als ich fünf Jahre alt war, daher hat meine Oma mich großgezogen und war extra von Spanien hier her in die Alpen gezogen.

Ich hatte nach ihrem Tod meine Ausbildung als Verkäuferin beendet und war Dank meines damaligen Chefs jetzt bei der Tankstelle im Ort zur Spätschicht angestellt. Meine beste Freundin Mary arbeitete ebenfalls mit mir dort.

Ich zog mich schnell um und kämmte mir mit den Fingern durch meine dunkelblonden schulterblattlangen Haare, band sie zusammen und trug in meinem herzförmigen Gesicht etwas Makeup auf.  Meine grünen Augen waren recht groß, mein Mund eher klein und schmal. Aber alles in allem passte es zu meiner zierlichen, kleinen Gestalt. Als ich fertig war, ging ich zur Küche herüber, aß noch einen Joghurt und machte es mir mit einem Buch vor dem Kamin gemütlich.

Draußen hatte es aufgehört zu regnen und ich hoffte trocken zur Arbeit zu kommen.

Ich musste mir dringend eine neue Winterjacke zulegen, die alte ist einfach viel zu kalt für diese Wetterverhältnisse. Ich räumte auf, zog mich an und schnappte meine Schlüssel und meine Handtasche von der Kommode. Es war Ende Oktober und draußen war es inzwischen etwas dunkler als noch vor ein paar Wochen. Um 17h war Schichtbeginn, ich brauchte etwa zehn Minuten, also würde ich auf jeden Fall pünktlich kommen. Ich ging den Weg zur Arbeit schon seit Jahren und die Dunkelheit machte mir überhaupt nichts aus. Die Straßenlampen beleuchteten die wenig befahrene Straße.

Als ich zur Tür rein kam, hatte Mary schon den Schichtwechsel hinter sich und sortierte Waren in die Regale ein. Es war Freitag, das hieß, dass Mary am Abend wieder mit unserem Kumpel Ray feiern gehen würde. Er und Mary waren die einzigen aus unserer Schule, die hier in der Heimat geblieben waren. Alle anderen waren zum studieren in die Großstädte gezogen

"Hallo Sophie, Ray schmeißt nachher noch eine Party,  kommst du mit? " freudestrahlend kam Mary mir entgegen gelaufen. Ich nahm sie in den Arm und lehnte aber dankend ab.

"Ich möchte gleich noch zum meinen Lieben, tut mir leid " sagte ich. Ausserdem hatte ich seit Omas Tod keine große Lust an großen Menschenansammlungen.

"Kein Problem, ich erzähl dir dann am Montag wie es war. " erklärte sie und zwinkerte mir zu.

Sie war damals für mich da gewesen, hatte sich um mich gekümmert, mich versucht aufzuheitern und auch heute unternahmen wir noch oft etwas zusammen neben der Arbeit. Mary war so eine liebe Person. Ihre blonden zum Bob geschnittene Haare und die  braunen Knopfaugen passten super zu ihrem ovalen Gesicht und ihrer wunderbaren Figur. Sie war etwas größer als ich und jede Kurve war am richtigen Platz.

Der Abend verlief ruhig und ausser zwei betrunkenen pöbelnden Männern nicht sonderlich spannend. Da Mary ja noch zu ihrer Party wollte, schickte ich sie eine viertel Stunde eher nach Hause damit sie sich noch fertig machen konnte. Ich schloss derweil ab und zog meine Jacke enger um meinen Körper. Die Luft war wunderbar, ein wenig Nebel hing tief über den Häusern und ich machte mich auf den Weg zum Friedhof. Er lag etwa 15 Gehminuten von meiner Arbeit entfernt, ich klammerte meine Finger um die Blumen, die ich mitgebracht hatte und beeilte mich. Mir war kalt und ich fragte mich, ob ich nicht doch lieber vor dem warmen Kamin hätte bleiben sollen. Das große schmiedeeiserne Tor des Friedhofes quietschte als ich es auf drückte und ich marschierte geradewegs auf das Grab meiner Lieben zu. Es war durch eine große Laterne beleuchtet und ich konnte in Ruhe alles erledigen. Ich sortierte die verblühten Blumen aus, legte die frischen dazu. Dann zündete ich noch eine neue Kerze an und stand auf. Ich wählte extra diese Zeit um hierher zu gehen. Anfangs hatte ich vor der Arbeit versucht ein wenig Ruhe hier am Grab meiner Liebsten zu finden. Doch ständig sprach mich jemand an, wie traurig und furchtbar es doch ist, dass ich nun allein war. Irgendwann war ich es Leid und habe mich dazu entschieden, spät, wenn alle schliefen, her zu kommen. Aus irgendeinem Grund hatte ich Nachts auch keine Angst hier zu sein, ich fühlte mich unglaublich sicher.

Ich erzählte meinen Eltern in Gedanken noch von der vergangenen Woche und sah über den Wald hinweg. In der Ferne konnte man durch den Nebel getrübte Lichter erkennen, die zu einem alten Herrenhaus gehörten. Mein Blick fiel kurz wieder auf das Grab meiner Liebsten und dann wandte ich mich zum Gehen. Es war ziemlich kalt und ich fror in meinem zu dünnen Wintermantel.

Heute wählte ich den Weg am Wald entlang in dem ich als Kind immer mit meinen Mitschülern spielte. Meine Oma hatte immer gesagt, dort sei es gefährlich und ich solle mich lieber fernhalten, aber hier lang ging es einfach schneller nach hause. Ich lief den kleinen Schotterweg entlang, der direkt auf die Straße zu meinem Häuschen führte. Kleine Laternen zierten den Wegesrand und ließen das alles total idyllisch wirken.

Plötzlich hörte ich hinter mir Schritte. Ich drehte mich um, um zu schauen ob mich jemand verfolgt. Konnte aber nichts sehen und schob den Gedanken wieder beiseite. Ein paar Schritte später bildete ich es mir wieder ein, aber es war weit und breit niemand zu sehen. Langsam wurde ich nervös und blickte öfter hinter mich. Mein Herz raste wild in meiner Brust. Nochmal meinte ich hinter mir etwas gehört zu haben und versuchte mir einzureden, dass es mein viel zu lauter Puls sein musste. Doch dann kamen die Schritte wieder auf mich zu und ich wurde automatisch schneller. Ich hatte einen Verfolger, der sich meinem Tempo anpasste und langsam ergriff mich Panik. Ich fing an zu rennen und wählte instinktiv den Weg zum Wald hoch. Hier konnte man zwar nicht viel sehen, aber man konnte jemanden besser abhängen. Das hoffte ich zumindest. Hinter mir hörte ich das Stapfen durch feuchte Blätter und ich rannte immer schneller bis hinter den nächsten Baum. Dort versuchte ich mich zu beruhigen und horchte in den Wald hinter mir. Meine Füße brannten, das nasse Laub brachte Feuchtigkeit in meine Schuhe und das Pochen meines Herzens trübte meine Sinne. Das Rascheln des Laubs und das Knacken der Äste, wenn sie unter dem Gewicht dieser Person nachgaben, ich hörte es immer noch. Wieder rannte ich so schnell ich konnte, Zweige und Blätter schlugen mir ins Gesicht und es wurde immer anstrengender den Büschen und Sträuchern am Boden auszuweichen. Immer mehr Angst stieg in mir auf und mein Atem ging inzwischen rasselnd. Er war so laut,  dass ich nicht mehr hören konnte, ob ich überhaupt noch verfolgt wurde. Meine Kehle brannte und vor meinen Augen verschwamm das Bild. Auf einmal lag auf meinem Weg ein Baumstamm und ich schaffte es nicht darüber hinweg zu springen.  Ich fiel der Länge nach in die nassen Blätter und schürfte mir Hände und Knie an herumliegenden Steinen auf. Den Schmerz spürte ich schon garnicht mehr, denn gleich würde die Person mich erreichen und ich konnte mir nicht ausmalen, was passieren würde. Meine Gedanken kreisten nur darum, fort zu kommen, weit weg von der Person hinter mir. Ich versuchte wieder mit müden Muskeln aufzustehen, rutschte aber erneut auf dem nassen Laub aus und landete mit dem Kopf auf einem Stein. Ein stechender Schmerz zog durch meinen Kopf und dann wurde der eh schon dunkle Wald um mich herum schwarz.

"Sooophiiieee..." ich hörte leise flüsternd meine Mutter sprechen. Meine Mutter? Warum war meine Mutter hier? Sie war doch längst tot. "Oh. Mama wo bist du? Hilf mir doch bitte" rief ich ihr in Gedanken zu, die Panik und Angst immer noch in meinem Körper. Ich versuchte sie zu entdecken, doch ich fand sie nirgends. Kopfschüttelnd versuchte ich meine Augen so weit wie möglich zu öffnen um mit dem Blick der Stimme zu folgen, doch sie war nirgends zu sehen.

"Sophie, dein schwarzer Engel ist unterwegs und rettet dich...."

Aber, was sollte das bedeuten? Was meinte sie mit einem schwarzen Engel? Und warum meiner? Ich malte mir alles mögliche aus.

Dann war auch ihre Stimme verschwunden.

Ich hörte im Hintergrund nur ein Schnauben, fast wie das eines Pferdes, danach nahm ich noch einen maskulinen, seltsamen Geruch wahr, dann waren auch meine Gedanken völlig dunkel.

Der schwarze Gral -Blutrausch- Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt