▷The Acid - Basic Instinct ◁
Drei Monate.
Drei verdammte Monate soll ich in diesem Höllenhaus verbringen, vor dessen Türen ich nun stehe. Meine Eltern stehen hinter mir und ich lege angespannt den Kopf in den Nacken. Es regnet. Der erste Regen seit Wochen und ich atme den Duft erleichtert ein. Die drückende Schwüle der letzten Tage war kaum auszuhalten - und wir haben gerade mal April.
"Lia. Öffne die Tür. Oder willst du hier festwachsen?" Die Stimme meines Vaters ist schneidend und kalt. Ich kann seine Enttäuschung über mich direkt spüren. Sie friert mich ein wie Eis. Nicht wie Speiseeis, nein, eher wie die Kälte der Antarktis.
Seufzend lege ich meine Hand auf die Türklinke und schließe kurz die Augen.
Vielleicht sollte ich etwas mehr Verständnis für die Sorge meiner Eltern haben. Doch das kann ich nicht. Ich wollte weg aus diesem Leben. Raus. Entkommen. Stattdessen stehe ich jetzt hier, höre das aufdringliche Atmen meines Vaters, den ungeduldig tippelnden Fuß meiner Mutter und die Regentropfen, die fallen. Ich wünschte, ich könnte mich darin ertränken. Oder mich darin auflösen.
"Mensch, Mädchen." Unsanft schiebt mich mein Vater zur Seite und öffnet schwungvoll die Eingangstüre. Ich verkrampfe mich und ziehe die Schultern hoch. Es gibt nichts, das beschissener ist, als wenn man viele fremde Menschen treffen und sich in eine bereits bestehende Gruppe integrieren muss. Und da ich sowieso keinen Bock auf eine Besserung meines Gemüts habe, habe ich mich entschlossen, nicht großartig an der Therapie mitzuwirken.
Das müssen meine Eltern ja nicht wissen. Was sie nicht wissen, macht sie nicht heiß. Oder so. Gut, das hat sich nicht gereimt. Aber man weiß ja, was gemeint ist. Ich bin an einem Punkt im Leben, an dem ich realisiert habe, dass das Leben keinen Sinn macht. All dieses Geschwafel, dass es besser wird und, dass nach der dunklen Nacht auch wieder der Morgen kommt löst meinen Würgereiz aus. So ein Bullshit. Als würde es je jemals besser werden.
"Thalia, jetzt komm schon!" Die schrille Stimme meiner Mutter bohrt sich in meine Ohren. Meine Mutter weigert sich seit jeher, mich bei meinem Spitznamen zu nennen. Die beiden stehen bereits im Foyer und Papa hält mir mit ungeduldigem Gesichtsausdruck die Tür auf.
Mit den Augen rollend betrete auch ich endlich das riesige Haus und schrecke zusammen, als die Tür krachend ins Schloss fällt.
"Roll nicht so mit deinen Augen, junge Dame." Vaters Worte zerren an mir.
"Entschuldigung", entgegne ich leise und ziehe die Schultern hoch.
"So, wir sollten jetzt den Empfang suchen." Meine Mutter betritt den Gang, der nach links führt. Im Foyer befinden sich einige Sitzgelegenheiten, auf denen ein paar Leute sitzen. Manche stricken, manche reden und alle zusammen mustern uns argwöhnisch. Schnell sehe ich wieder weg.
"Der Empfang ist im Nebenhaus", teilt mir eine ältere Frau mit, die mit ihren Stricknadeln etwas strickt, das aussieht wie eine Socke. Dankend lächle ich sie an und wende mich zum linken Gang, in dem meine Mutter gerade geschäftig die Türschilder liest.
"Mutter, der Empfang ist im Nebenhaus. Wir müssen nach nebenan."
Mit verbissener Miene sieht sie mich an und mustert mich von oben nach unten. Als wäre ich der Ekel in Person. Vielleicht bin ich das ja auch mit meinen 103 Kilo und dem, entgegen den Wünschen meiner Mutter, leider doch vorhandenem Doppelkinn und den eher langweiligen Haaren. Ich werfe einen Blick auf meinen Vater und erwarte einen ähnlichen Blick, doch er sieht mich nicht einmal an.
"Gut, dann gehen wir nach nebenan. Vielen Dank", erwidert er leise in die Richtung der sitzenden Gruppe, ist sich aber auch zu fein, um sie anzusehen.

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NOAH | ✓
General Fiction»Manche Menschen sind ein Geschenk, andere eine Strafe.« »Dann bist du eindeutig das ätzende Fegefeuer, Kugelfisch.« »Und du Pest und Cholera, Noah!« »Halt die Schnauze!« Nach einem gescheiterten Selbstmordversuch gibt es für Lias Eltern nu...