▷ Message to Bears - You Are a Memory ◁
Mein Herz setzt aus. Für eine ganze Sekunde. Oder für eine ewige Minute. Ich weiß es nicht. Mein Kopf ist wie leer gefegt. Wie ferngesteuert laufe ich zu der Stelle, an der wir gerade noch standen. Und was mich erwartet, treibt mir die Galle in den Mund. Das komplette Häuschen ist zerstört, als wäre etwas Großes hindurchgerauscht. In der Ferne sehe ich einen Sattelschlepper, der langsam zum Stehen kommt. Mein Puls rast.
Noah. Ich muss Noah suchen.
Mit zittrigen Händen fege ich die zersplitterten Holzteilchen aus dem Weg und rufe seinen Namen. Immer wieder. Ich rufe und schreie mir die Seele aus dem Leib, bis mich jemand von dem Chaos wegzieht. Ich wehre mich mit Händen und Füßen.
Es ist nicht Noah der mich festhält. Es ist ein fremder Mann, ein Mann, dem der Schock ins Gesicht geschrieben steht. Ich weiß, er meint es nur gut, aber ich kann es nicht ertragen, seine Hände an mir zu spüren. Es ist nicht Noah, der mich hält. Es ist nicht Noah. Ich halte die Luft an. Schwärze umhüllt mich, doch ich kämpfe mich ans Licht. Ich muss zu Noah. Ich muss Noah finden. Ich stoße den Mann von mir und falle auf die Knie, suche in der zerstörten Bude nach einem Lebenszeichen von ihm. Ein Schluchzen bricht aus mir und meine Sicht trübt sich ob der Tränen, die sich nun ihren Weg in die Freiheit bahnen.
Noah. Ich muss Noah suchen.
Dann. Ein leises, sanftes Wispern der tiefen, rauen Stimme, die ich überall wiedererkennen würde. Es ist so laut um uns, dass sie fast nicht zu hören ist. Aber ich höre sie. Schnell stehe ich auf und schiebe die Bretter beiseite. Ich bin auf alles gefasst. Auf komisch abstehende Gliedmaßen, auf Blut, auf gebrochene Knochen, auf alles. Aber nicht darauf, Noah blass wie eine weiße Wand vor mir liegen zu sehen. Seine Klamotten sind nass und ich erkenne nicht, ob es der Glühwein ist, den er gerade noch in der Hand hielt oder ob es eine Körperflüssigkeit ist, die ich nicht beim Namen nennen möchte. Ich weigere mich das zu tun. Ich falle auf die Knie und suche seine Hand. Sie zittert. Ich sehe in seinem Gesicht, dass er Schmerzen hat, doch er will es mir nicht zeigen. Er will mir keine Angst machen.
"Noah", wispere ich und drücke ihm einen Kuss auf die Stirn.
Er atmet schnell, unkontrolliert.
"Dalí, mir ist kalt." Er hustet. Er hat Blut an den Lippen. Mir wird schummrig und ich habe plötzlich große Angst. Angst um ihn. Um uns. Er darf nicht gehen. Nicht so. Nicht heute.
Ich ziehe meinen Mantel aus und lege ihn über ihn. Sofort nehme ich wieder seine Hand.
"Vorsicht, nicht so fest drücken, du brichst mir noch meine Hand." Er versucht zu lachen und lustig zu sein. Aber an der ganzen Situation ist nichts lustig. Er verschluckt sich und hustet mehr Blut.
Ich sehe mich um. Uns umgibt ein Trümmerfeld. Überall liegen Menschen die verletzt sind, die von anderen Menschen umgeben sind. Schreie durchbrechen die Luft, zerbrechen sie, bis sie in Splittern auf den Boden fällt. Splitter, die sich in mein Herz bohren.
"Okay, Noah. Du schaffst das. Jemand hat die Kontrolle über den LKW verloren, aber du bist nicht so stark verletzt. Ich-"
"Dalí", unterbricht er mich. "Ich liebe dich." Er zittert, seine Atmung geht noch immer unkontrolliert. Ein erneutes Husten durchfährt seinen Körper.
Ich kann nicht mehr. Ich kann nicht verhindern, dass sich die Panik in mir breitmacht und aschgraue Angst meine Hoffnung frisst. Ich weine.
"Ich liebe dich auch, Noah." Meine Stimme bricht.

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NOAH | ✓
General Fiction»Manche Menschen sind ein Geschenk, andere eine Strafe.« »Dann bist du eindeutig das ätzende Fegefeuer, Kugelfisch.« »Und du Pest und Cholera, Noah!« »Halt die Schnauze!« Nach einem gescheiterten Selbstmordversuch gibt es für Lias Eltern nu...