Erinnerungen

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JackyPOV:

„Wow, was ein Arsch!" Ich nickte Pia zustimmend zu und erhob mich von meiner Sporttasche. „Ich mein, warum ist der überhaupt aufgetaucht, wenn er so sorglos mit seiner Tochter umgeht?!" Wenn ich bessere Laune hätte, würde ich vermutlich über Pia schmunzeln, doch ich hatte nun mal keine gute Laune. Wie auch? Mein Leben ging wieder einmal steil bergab und ich wusste nicht was mir das lehren sollte. Alles was passiert hat einen triftigen Grund, hatte ich gedacht. Tja, falsch gedacht. So war das Leben Jacky, so war das Leben. Es war grausam und demütigend. „Hau raus, was ist dein Plan." Pia stand mittlerweile ebenfalls und verschränkte entschlossen die Arme vor der Brust. „Ich habe keinen." Gab ich ihr flüsternd zu verstehen und biss mir auf die Unterlippe. Alles was ich wusste war, dass ich hier weg wollte. Über alles weitere hatte ich nicht nachgedacht. Ich hatte nicht einmal Geld. Toll Jacky! Du hast wieder eines deiner Vorhaben an die Wand gefahren. Hast du ja super hingekriegt! Aber zurück, was mir der einzig schlüssige Ausweg zu sein schien, konnte ich nicht. Das ging nicht. „Okay, hör zu. Der nächste Zug zu mir fährt in einer dreiviertel Stunde. Den nehmen wir." Ich wollte etwas erwidern, doch Pia unterbrach mich. „Auf meiner Fahrkarte kann ich dich mitnehmen, die Polizei würde dich früher oder später aufgabeln und zurück zu Max schicken, also hast du keine andere Wahl, als zu mir zu fahren. Und bei mir überlegen wir dann weiter, okay?" Seufzend nickte ich. „Glaubst du der Mistkerl sucht dich hier?" Fragend sah Pia sich um. Ich zuckte mit den Schultern, nickte dann jedoch vorsichtshalber, auch wenn ich nicht glaubte, dass er sich die Mühe machen würde. „Gut, dann geh du schon mal aufs Gleis. Ich besorge uns was für unterwegs." Ehe ich etwas erwähnen konnte war Pia schon in der Menschenmenge verschwunden, die sich durch den Bahnhof drängelte und ich tat was sie sagte. Erschöpft von dem weiten Weg hierher, den hunderten Gedanken in meinem Kopf und den letzten Tagen ließ ich mich auf meiner Sporttasche, am Ende des Gleises nieder. Mit Tränen in den Augen fuhr ich mir durch die Haare. Ich kam mir plötzlich so verloren vor. Wo gehörte ich hin? Was hatte Gott mit mir vor, wozu war ich hier? Ich war nicht gläubig, gewiss nicht, aber irgendetwas musste es doch geben, was uns auf diese Reise schickte, oder? Ich vergrub mein Gesicht hinter meinen Händen. Wahrscheinlich war es nur die Hoffnung, dass wir für irgendetwas bestimmt waren. Vermutlich war unser Leben völlig bedeutungslos. Oder zumindest meins. Ich ging mein Leben von Geburt an durch, als würde ich im Sterben liegen, lief es vor meinem inneren Auge ab. Die Schreie, die Schläge, die Stunden getränkt mit Tränen und Verzweiflung. Die Hoffnung, die Damian mir zurückgab. Ein Lächeln schlich über meine Lippen. Die wunderschönen Momente mit meinem besten Freund. Dem ersten und einzigen Menschen, dem ich mein Herz voll und ganz schenkte. Leise schluchzte ich, als die Nachricht über seinen Tod vor meinem inneren Auge ablief. Es war, als wäre ich wieder dort. Das kleine, zerbrechliche Mädchen, dass den letzten und wichtigsten Halt in ihrem Leben verlor. Langsam in die Knie ging, ihr Gesicht hinter ihren Händen versteckte und bitterlich anfing zu weinen. Während mir die vorherigen Erinnerungen wie Sekunden vorkamen, spielte sich diese Erinnerung in Minuten ab. Nicht nur meine Augen tränten, nein, ich hörte mein Herz weinen und schreien, so weh tat es daran zurück zu denken. Und doch beendete ich diese Welle der Erinnerungen nicht.Ich schluchzte noch einmal leise und dann folgten die nächsten Erinnerungen. Die ersten Tage im Heim. Die schreckliche Routine. Die zerreißende Leere meines Herzens. Und doch gab es auch dort Menschen, die mich nicht aufgaben. Job hin oder her, Feli war immer ein Ansprechpartner gewesen und ob Nervensäge hin oder her, Pia hatte es wenigstens versucht mir ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern. Und was sie nun für mich tat, war selbst für beste Freunde keine Selbstverständlichkeit. Und dann erst Recht nicht für ehemalige Zimmergenossen. Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer, als die gemeinsamen Erinnerungen mit Tuko aufflammten. Der kleine Kerl hatte mir nicht selten den Arsch gerettet. Hätte mir jemand damals erzählt, dass ich diesen Hund jemals vom ganzen Herzen lieben würde, hätte ich ihm wohl den Vogel gezeigt. Und nun? Saß ich hier und dachte an die Zeit mit ihm zurück und schluchzte auf, als mir klar wurde, dass ich ihn nie wieder sehen würde. Auch Max würde ich nicht wieder sehen. Ob es der richtige Schritt war? Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich ihn nicht schon immer geliebt hatte. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, er hätte nicht hunderte Pluspunkte bei mir gesammelt, bei den nervenaufreibenden Diskussionen, die wir geführt hatten. Mit niemandem zuvor hatte ich so oft diskutieren können. Niemand hatte mir so die Stirn geboten. Niemand hatte solange durchgehalten wie er es hatte. Hatte. Ja, das war Vergangenheit. Und es versetzte mir einen schrecklich stechenden Schmerz, als ich die jetzige Situation vor mir sah. Vater und Tochter. Das waren wir, das konnte niemand leugnen. Aber das musste nicht heißen, dass wir miteinander klar kamen. Das musste nicht heißen, dass wir gemeinsam durch dick und dünn gingen. Das hieß nur, dass sein Blut in meinen Adern floss. Entschlossen biss ich die Zähne aufeinander. Ja, nichts weiter hieß es. Nichts weiter! Wir hatten nichts gemeinsam. Und selbst wenn man die ein oder andere Gemeinsamkeit fand, trug das nicht zur Linderung der Geschehnisse bei. Ich atmete tief durch und versuchte mein Schluchzen zu unterdrücken. Den kleinen Einbruch der Trauer hatte ich hinter mir, nun brach eine Welle, auch wenn es nur eine kleine war, der Wut über mich ein. Einen Vater, der mich wie Dreck behandelte, sobald irgendein dahergelaufenes Flittchen ankam brauchte ich nicht. Mein Leben bestand schon genug aus Trümmern und Staub, da brauchte ich nicht einen weiteren Menschen, der mir zeigte wie wertlos ich war. Das wusste ich schon selbst, das musste mir niemand mehr zeigen. Niemand. Und so jemanden brauchte ich nicht. Vater hin oder her.

Mein Vater der Rapper und der Hund namens TukoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt