Das hilflose, zerbrechliche kleine Mädchen

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Der weiche Waldboden gab meinen Schritten angenehm nach. Mit Tränen in den Augen rannte ich durch den Wald. Ich sah mich nicht um, hatte kein Ziel. Ich wollte einfach weg. Weg von dem Biest, weg von dem Gelände auf dem wir gastierten, weg von dem Kerl, der laut Geburtsurkunde mein Vater war. Weg von allem, was mich an seine Worte erinnerte. Mittlerweile hatte ich es aufgegeben gegen die Tränen anzukämpfen. Sie liefen wie Wasserfälle meine Wangen hinunter und ich schluchzte laut. Hier würde mich sowieso niemand hören, also warum nicht den Gefühlen freien Lauf lassen? Dank einer Wurzel, die ich übersah kam ich ins Stolpern und fiel der Länge nach hin. Wütend auf mich selbst trommelte ich auf den Boden und vergrub mein verheultes Gesicht schließlich hinter meinen Armen. Schluchzend lag ich mitten im Wald und heulte mir die Seele aus dem Leib. So ein widerliches Arschloch! Wieso tat er mir das an?! Er wusste, dass mich solche Worte mehr verletzten als alles andere. Er wusste, dass ich bei sowas empfindlicher war als andere. Er wusste es! Ich versuchte meine Gefühle zu kontrollieren, doch scheiterte kläglich. Ich war traurig, enttäuscht, wütend und frustriert gleichzeitig. Enttäuscht von Max, enttäuscht von mir selbst. Enttäuscht davon, dass ich geglaubt hatte, ich könnte ihm mein Leben in die Hände legen. Enttäuscht davon, dass ich ihm begonnen hatte zu vertrauen. Enttäuscht von seiner Art, von seinen Worten, aber die größte Enttäuschung galt immer noch mir selbst. Wieso hatte ich das getan. Wieso hatte ich weitergekämpft? Wieso hatte ich damals nicht einfach aufgegeben. Damian hatte es auch gekonnt, warum also ich nicht? Warum war es mir verwehrt geblieben zu sterben? Die Worte von Max huschten durch meinen Kopf. Bilder der letzten Tage und Wochen spielten sich vor meinem inneren Auge ab. Und immer wieder diese Worte. Die Worte, die mein Herz zum Stillstand gebracht hatten. Die Worte, die mein Herz zerfetzt hatten. Die Worte, die es im Dreck liegen ließen, bis es endgültig starb. Ich schluchzte lauter und als ich auch das letzte bisschen Schamgefühl losgeworden war schrie ich. Ich schrie mir all den Schmerz, den ich empfand, von der Seele. Ich schrie meine Enttäuschung hinaus. Ich schrie meine Wut hinaus in die Welt. Ich konnte nicht schon wieder schweigen. Jeder sollte wissen wie schrecklich es Jacky Diehn ging. Jeder sollte hinter die Maske blicken können. Jeder sollte das können, was sie noch nie zugelassen hatte. Ihr wahres Gesicht sehen. Das hilflose, zerbrechliche kleine Mädchen, das nur jemanden brauchte, der ihr Halt gab. Das Mädchen mit dem Herz voller Trauer und Leid. Das Mädchen, das sich schon längst hatte befreien wollen. Doch es sah niemand. Niemand sah mein wahres Ich. Weil niemand da war. Niemand war weit und breit und hatte mich hören können. Das war mir bewusst und in diesem Moment wünschte ich mir sehnlichst, dass es jemand mitbekommen hätte. Egal wer. Einfach jemand der mich in den Arm nahm und schwieg. Mich einfach so nahm wie ich war. Es kam mir vor als vergingen Stunden bis Rico und Tuko mich fanden, dabei waren es nur wenige Minuten gewesen. Die Leere hatte mich bereits eingenommen und ich redete mir krampfhaft ein, dass Max mir egal war. Dass ich einfach ohne ihn weiterlebte und er mir nicht wichtig war. Dass er mir nie wichtig gewesen war. Dass er nie existiert hatte. Doch ich konnte es nicht. Ich konnte nicht aus diesem Teufelskreis entfliehen, der geprägt war von dem Wechsel zwischen Trauer, Wut und Leere. Tuko bellte überglücklich als er mich sah und legte sich direkt neben mich. Rico lief keuchend den leichten Abhang hoch und wischte sich den Schweiß von der Stirn, bevor er erleichtert durchatmete. „Ich dachte schon, wir finden dich gar nicht mehr." Ich reagierte nicht, sah ihn bloß an. Nein, eigentlich sah ich durch ihn hindurch als wäre er ein Geist. Mein Blick war von Leere getränkt und ich war dem Aufgegeben in diesem Moment einen Schritt näher gekommen. Ich fühlte nichts. Und doch wusste ich, dass die Gefühle die auf mich warteten nur negativer Art waren. Was war wohl angenehmer. Die Wut oder die Trauer? Im Endeffekt verblieb sowieso die Enttäuschung. Die Enttäuschung vom Leben. Die Enttäuschung von mir und ihm. Und das war das Schlimmste. Ich war enttäuscht. Ich war wütend, weil ich enttäuscht war. Ich war traurig, weil ich enttäuscht war und Enttäuschung tat schrecklich weh. Selbst wenn dich die Leere eingenommen hat, spürt man die Enttäuschung. Man spürt wie sie langsam in dein Herz kriecht und sich dort breit macht. Und bis das Gefühl verschwunden war dauerte es. Nicht ein paar Tage, nein. Wochen, wenn nicht sogar Monate. „Jacky?" Rico fuchtelte mit seiner Hand vor meinem Gesicht herum und riss mich damit aus meinen Gedanken. „Er hat es sicher nicht so gemeint." Ein Schauer lief mir über meinen Rücken. Wieder diese Worte von Max in meinen Gedanken. Wieder sein abwertender Blick. Wieder die schrecklichen Sekunden nachdem er mir klar gemacht hatte, dass ich Ballast für ihn bedeutete. Die Sekunden, die sich wie eine Ewigkeit angefühlt hatten. „Er ist einfach durcheinander und dann deine Aussage gegenüber Vanessa." Ich ballte meine Hände zu Fäusten und sprang auf. „Weißt du was, Rico? Sei einfach still." Der Schwarzhaarige stand auf und schüttelte energisch den Kopf. „Du solltest darüber reden, dann geht es dir besser." Eine Träne rollte mir über die Wange. „Nein, es gibt nichts was man dazu sagen könnte. Und besser geht es mir danach auch nicht!" Rico ließ immer noch nicht locker was ich ihm in einem anderen Moment sicherlich hoch angerechnet hätte. „Ich bin für dich da. Jetzt nimm meine Hilfe gefälligst an." Er versuchte es möglichst witzig, aber mit dem nötigen Ernst in der Stimme rüberzubringen, doch auch das brachte nichts. „Du hättest mir bei dem Biest helfen können! Ich bin die Einzige, die ihre Meinung offen sagt. Vielleicht etwas zu grob, aber das ist besser als den Schwanz einzuziehen, so wie du es gemacht hast. Und jetzt lass mich allein." Rico sah mich einfach nur an. Ich konnte keinerlei Emotionen in seinen Augen erkennen. Er brauchte einen Moment um zu akzeptieren, was ich gesagt hatte, atmete tief durch und ging. Tuko ließ er bei mir, wofür ich ihm dankbar war, obwohl der Pitbull mir wahrscheinlich sowieso nicht von der Seite gewichen wäre. Ich brauchte Abstand. Abstand von allem und jedem. Auch von mir selbst. Und wenn mir da etwas bei helfen konnte, dann waren es die Spaziergänge mit Tuko. Und diese Art von Therapie konnte ich gebrauchen um einen klaren Kopf zu fassen. Zu überlegen was ich als nächstes tat. Oder vielleicht auch einfach mal einige Minuten gar nicht denken.

Heute kamen drei Kapitel, die ich auch heute geschrieben habe, weil ich mir das einfach von der Seele schreiben musste. Da das wahrscheinlich in den nächsten Tagen auch so sein wird, kommen die Tage wohl mehrere Kapitel!

Mein Vater der Rapper und der Hund namens TukoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt