20.

107 2 0
                                    


Mittlerweile befinde ich mich in der Umkleide von Victorias Secret. Vor mir liegt ein Stapel unterschiedlichster Dessous, die ich mir vorgenommen habe alle anzuprobieren. Aber irgendwie kann ich mich nun nicht mehr motivieren. „Kommen sie da drin zu recht oder kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?" Das war die brünette Verkäuferin, die mich vorhin so herzlich angelächelt hat. Wahrscheinlich wundert sie sich, was du solange hier in der Kabine treibst.     Ich glaube es sind schon ungefähr 15 oder 20 Minuten vergangen und ich habe kein einziges der Teile anprobiert. Ich stehe einfach nur da in meiner Unterwäsche, betrachte mich im Spiegel und weiß nicht, was ich eigentlich will. „Vielen Dank, aber ich kann mich nur nicht entscheiden." So wie fast immer.. „Das kenne ich, zur Not nehmen sie doch einfach alle." Und sofort fangen wir beide an laut loszulachen. Meine Anspannung löst sich langsam und der Frust fällt von meinen Schultern. Ich muss endlich anfangen das Leben und die dazugehörigen Miseren leichter zu nehmen. Es kann halt nicht jeder Tag der Beste in deinem Leben sein. Schlechte Tage muss es auch geben, damit wir die Guten erst richtig zu schätzen wissen. Vielleicht wird morgen ja einer von diesen guten Tagen.. Mit dieser stillen Hoffnung in mir entscheide ich mich endlich all diese tollen Dessous anzuprobieren. Letztendlich kaufe ich mir einen braunen trägerlosen Bikini, damit ich mir den von Liz nicht ausleihen muss und neue Spitzenunterwäsche. Den Laden verlasse ich mit einem Lächeln im Gesicht, Vorfreude im Bauch und einer Tüte in der Hand.  Nach einer Weile stehe ich schon im nächsten Geschäft und weiß nicht, was ich von alldem nicht anprobieren will. Nimm einfach alles was du toll findest, Clare. Aber die haben hier einfach viel zu viele wunderschöne Kleider, die es alle verdient haben getragen zu werden. Am liebsten würde ich sie einfach alle mitnehmen, aber das lässt mein Kontostand leider nicht zu. Schade aber auch. Am Ende stehe ich mit einem in zart-beige gehalten, trägerlosem Tüllkleid vor dem Riesenspiegel und sehe aus wie eine kleine Prinzessin. Das muss definitiv mit, keine Widerrede! Und mein Verstand gibt sich sofort geschlagen, denn auch er hat sich direkt in dieses traumhafte Kleidchen verliebt. In meiner Vorstellung stehe ich in diesem Kleid mit Chris vor dem Eiffelturm, Hand in Hand. Meine Gedanken gehen schon wieder zu weit und ich verbiete mir an sowas zu denken. „Sie sehen umwerfend aus.", eine weibliche Stimme holt mich Zurück ins Jetzt. Eine blonde, hübsche Frau, die ungefähr in meinem Alter sein muss, vielleicht zwei oder drei Jahre älter ist, schaut mich mit weit aufgerissenen Augen an. „Tut mir leid, dass ich sie einfach so anspreche, aber das Kleid steht Ihnen so ausgezeichnet, das musste ich Ihnen einfach sagen.", fügt sie noch hinzu und lächelt mich entschuldigend an. Ich nehme ihr den kleinen Kommentar sowieso nicht übel, im Gegenteil ich freue mich sogar sehr darüber und außerdem wirkt sie total sympathisch. „Wie lieb von Ihnen, wirklich. Das kommt wahrscheinlich etwas plötzlich, aber kann ich mich dafür bei Ihnen irgendwann mit einem Kaffee revanchieren? Ich habe das Gefühl, wir beide werden uns sehr gut verstehen" Mit einer zweiten Tüte in der Hand, einem neuem  Kontakt im Handy und einem richtig tollem Selbstwertgefühl mache ich mich auf den Heimweg. Kurz vor der Haustür bemerke ich, wie gut ich mich mit meiner kleiner Shopping-Sucht von dem Treffen mit Liam und seinem eiskalten Abgang abgelenkt habe. Nach seinem einfachen, einzigen und doch verletzenden Kommentar, "Schön", haben wir uns eigentlich nur noch angeschwiegen. Er hat mich die meiste Zeit nicht mal angeschaut. Sein Blick war hauptsächlich aus dem Fenster gerichtet. Und ich wusste einfach nicht mehr, was ich sagen sollte, um die Stimmung wieder aufzulockern. Also tranken wir einfach unseren Macchiato und ich fing irgendwann an Geschichten und Erlebnisse von Liz und mir zu erzählen, die er noch nicht kannte. Zwischendurch nickte er und gab mal ein, "Ach ja", oder "Achso, interessant" von sich, aber die meiste Zeit schwieg er nur und tat so als würde er zuhören, obwohl er eigentlich mit seinen Gedanken ganz wo anders war.  Und das konnte ich ihm nicht mal übel nehmen. Zum Abschied, entschuldigte er sich, er müsste ja noch was dringendes erledigen, umarmte mich dann nur ganz kurz und wünschte mir noch viel Spaß in Paris, als er aus der Tür ging. Ich blieb noch eine kurze Zeit lang am Tisch sitzen, schaute in meine Tasse, schaute auf die Straßen, beobachtete die Leute im Café, trank meinen Macchiato aus und dachte mir Geschichten aus, über jeden Gast, was er wohl alles heute erleben durfte oder auch ungewollt musste. Irgendwie fühlte ich mich dann besser, weil ich wusste das manch anderer gerade noch viel schlimmere Dinge durchmacht als ich. Und immerhin hatte ich Kaffee, der mir schon über so manche Krisen hinweghalf. Und das wird er auch jetzt. Ich glaube, ich mache mir oben gleich erstmal einen Kaffee. Das wäre dann der erste richtige Schritt in Richtung Krisenbewältigung. 

Stilles VerlangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt