22.

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„Hey." Das ist alles, was er sagt. „Was willst du ?", frage ich einfach direkt, ich habe keine Lust auf langes Rätselraten. „Ich stehe unten vor deiner Tür, kommst du raus?" Vor deiner Tür. Warum denn genau jetzt. Versucht mir das Schicksal gerade irgendwas klar zu machen? So auf die Art, hier hast du ein ‚Wink mit dem Zaunpfahl'. „Wir gehen nur ein bisschen spazieren und reden Clare, nichts Dramatisches versprochen." Nichts Dramatisches, das will ich auch hoffen.. Naja, ein kleiner Spaziergang klingt doch schon ein bisschen verlockend. Also, warum nicht? „Gut, ich komme gleich. Aber denk an deine Worte, kein Drama." Mit diesen Worten lege ich auf, höre noch sein Grinsen am anderen Ende des Hörers und schau Liz mit einem ‚Was ist das nur für ein Leben' Blick an. „Na, wer von deinen Verehrern war es nun?" Also Verehrer kann man Chris nun nicht betiteln. Er ist einfach mein Chef und ich möchte ihn nicht durch so einen Ausdruck unter mich stellen. „Liam, er ist da und will mit mir reden oder vielleicht will er mich auch nur anschweigen und spazieren gehen, wer weiß. Ich werde es zumindest gleich herausfinden." Liz macht ein verurteilendes ‚Uuuuuuuuh' Geräusch, „Na ist da etwa schon eine männliche Begleitung für das Dinner in Sicht?", dabei zwinkert sie mir so deutlich zu, wie es nur machbar ist. Manchmal will ich Liz echt ihren vorlauten Mund verbieten, aber dann fällt mir doch immer wieder ein, dass er mir irgendwann fehlen würde. „Mach dir keine Hoffnungen.", sage ich mit gespielt finsterer Miene. „Ist es denn in Ordnung für dich, wenn ich kurz runter gehe?" 

„Aber klar doch, solange du wieder hochkommst." Sie lacht nur und nimmt mich in den Arm. „Du machst das schon, Süße." Mit Liz's aufmunternden Worten im Kopf schnappe ich mir meine Lederjacke, nehme Schlüssel und Handy mit und mache mich dann etwas nervös auf den Weg nach unten.  Liam steht da mit seinen Händen in den Hosentaschen und einem leeren Blick, als er mich bemerkt wird sein Gesichtsausdruck wärmer, er kommt langsam auf mich zu und nimmt mich einfach fest in den Arm. Ich bin erleichtert, dass er nicht sauer auf mich ist, zumindest wirkt er nicht so. Langsam löst er sich wieder von unserer Umarmung und ich merke, wie gut mir das gerade tat. „Lass uns ein Stückchen gehen, in Ordnung?", fragt er mich mit sanfter Stimme. Wie könnte man da ‚Nein' sagen? „In Ordnung", antworte ich und steuere uns in Richtung des Parks. Wie oft wir früher abends spazieren gegangen sind, wir haben uns oft auf eine Bank gesetzt und einfach nur geredet, gelacht und uns geküsst. Es war so unbeschwert mit uns, zumindest wenn er sich seiner Sache gerade mal sicher war. Wenn nicht, dann war alles eher kompliziert, anstrengend und schmerzhaft für mich. Clare, komm zurück in die Gegenwart. Und da bin ich wieder, Liam und ich laufen nebeneinander die Straße entlang. „Vermisst du mich auch?" Mit dieser Frage bringt er mich kurz aus der Fassung. Ich bleibe sofort stehen, schaue ihn mit großen Augen an und das Erste, was mir in den Sinn kommt sprudelt nur so aus mir heraus. „Klar, schon irgendwie." Ich weiß nicht aus welchem Grund, aber wir beide müssen einfach anfangen zu lachen. „Also ich meine deine Anwesenheit ist jetzt nicht gerade unerträglich, sondern eher sehr angenehm." Und wir beide lachen noch lauter und völlig ausgelassen. Irgendwie fällt mir ein Stein vom Herzen, weil Liam mir die ganze Sache anscheinend nicht mehr böse nimmt. Wir laufen weiter und ich sehe schon den Park vor uns. „Deine Anwesenheit verzaubert mich immer wieder und ich lerne leider jetzt erst, es zu schätzen mit dir Zeit zu verbringen. Früher war das für mich immer selbstverständlich.." Seine Ehrlichkeit überrascht mich, aber auf eine wirklich positive Art und Weise. „Du hast so viel für mich getan, mich immer unterstützt. Du hast mit mir gelernt, mir Kaffee gemacht, wenn ich welchen brauchte, du warst bei jedem meiner Football-Spiele, du hast am Wochenende Frühstück gemacht für uns beide, weil du weißt, dass ich immer lange schlafe und du hast mich gelassen und irgendwann, wenn dir zu langweilig war und du zu hungrig warst, hast du mich mit Küssen geweckt. Du hast so oft für mich gekocht und dir ständig kleine Überraschungen für mich ausgedacht und ich Idiot habe nie wahrgenommen, was für eine Glück ich hatte. Was für eine wahnsinnig, tolle, atemberaubende Frau ich an meiner Seite hatte. Vor allem war ich so dumm und naiv. Ich habe ernsthaft gedacht, ich könne machen, was ich will, dass du sowieso bei mir bleibst. Ich hab jetzt erst begriffen was für ein bescheuerter Idiot ich war. Ich hätte dir jeden verdammten Tag zeigen sollen, wie wundervoll du bist. Viel zu oft habe ich es nur leise gedacht und nie zu dir gesagt, wie dankbar ich war, dich zu haben und wie sehr ich dich liebe. Und das tut mir einfach so leid, Clare." Wow. Ich merke jetzt erst, dass ich wie angewurzelt stehen geblieben bin. Er schaut mir tief in die Augen und hält meine rechte Hand fest. Seine Augen sind glasig und seine Hand zittert. So habe ich ihn noch nie erlebt, so emotional war er noch nie vor mir. Vor allem hat er so etwas noch nie zu mir gesagt. Seine Ehrlichkeit haut mich um. Seine Hand ist warm und ich fühle mich so geborgen.. Ich bekomme kaum mit, was mein Körper tut. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und dann spüre ich auch schon seine Lippen auf meinen. Und ich weiß einfach überhaupt nicht, was ich fühlen soll. Wie immer. Aber im Moment fühle ich mich einfach schwerelos. Sein Kuss nimmt alle Lasten von meinen Schultern und macht mich wieder leicht. 

Stilles VerlangenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt