~ 28. Answers ~ Moons Sicht

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Ich sah aus dem Fenster des Apartments und zog nach einigem Zögern die Vorhänge zu. "Also, was gibt es so Interessantes über unseren großen Alpha?"
Mit hochgezoger Augenbraue drehte ich mich zu Erik um. In dem kleinen Raum, den er uns gemietet hatte, würde uns wirklich niemand finden. Nicht einmal Arian.
Das Apartment lag kilometerweit entfernt von meiner Wohnung, Arian konnte unsere Geruchsspur nicht aufnehmen. Hoffte ich.
Erik saß auf einem Stuhl und hatte eine Zigarette hervor gekramt, die er jetzt rauchte.
Ich rümpfte die Nase bei dem Gestank.
"Er hat Geheimnisse", meinte Erik wage. Ich verdrehte die Augen.
"Also, komm jetzt entweder zum Punkt oder ich haue ab."
"Ist ja gut. Aber davor muss ich dir meine ganze Geschichte erzählen.
Ich bin schon seit vielen Jahren ein Soldat. Genau genommen seit meinem siebten Lebensjahr."
Überrascht sah ich ihn an. "Du tötest Werwölfe, seit du sieben Jahre alt bist?"
"Nein." Erik schüttelte den Kopf. "Ich begann mit sieben Jahren meine Ausbildung. Mit 14 tötete ich den ersten Werwolf..." Er vermied den Blickkontakt mit mir.
Ich bemühte mich, keine Gefühlsregungen zu zeigen und setzte mich auf das Fensterbrett.
"Ich habe immer an unsere Vorsätze geglaubt, an unsere Regeln, an unseren Führer. Aber als ich dich kennenlernte... Es war meine erste Mission als 'Köder'. Und ich habe wirklich begonnen, dich zu mögen, Momo."
Der Spitzname ließ mich diesmal völlig kalt. "Das hat nichts mit dem großen Alpha zu tun. Jetzt komm endlich zur Sache!" Ungeduldig schlug ich mit meiner Waffe gegen den Putz der Wand, er bröckelte ab.
Erik sah mich mit leicht ängstlichem Blick an. "Ist ja gut. Also, du kennst ja unseren Kampf bei der Lagerhalle. Sie war ein geheimes Versteck von Claws.
Ich nickte. Hatte ich mir schon gedacht.
"Jedenfalls, nachdem ihr mich blutend und halb tot dort zurückgelassen habt, fand ich irgendwann die Kraft, aufzustehen. Ich schnappte mir ein bisschen Verbandszeug, schleppte mich zum nächsten Bus und fuhr ins Krankenhaus. Dort ließ ich meine Wunde erst einmal nähen. Aber..." Er stockte kurz. "Am dritten Tag in der Klinik beobachtete ich etwas seltsames."
Ich sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. "Und was?"
"Euren großen Alpha. Ich hörte ihn auf dem Gang mit einem Arzt sprechen, er sagte, er würde die Kranken abholen. Ich hatte keine Ahnung, was er meinte, noch wusste ich zu diesem Zeitpunkt, dass es euer Führer war. Aber als ich aus dem Fenster sah, entdeckte ich einen riesigen Firmenwagen, auf dem in schwarzen Lettern 'Wolf GmbH' stand. In diesen Wagen wurden alle schwerkranken oder todkranken Patienten geladen.
Ich wunderte mich, und als ich den Mann aus dem Gang sah, da wusste ich irgendwie, dass es der Anführer war. Er... Strahlte etwas Uraltes, Mächtiges aus. Zeitgleich merkte ich, dass wahrscheinlich alle Mitarbeiter Werwölfe waren. Und sie entführten die Patienten gewissermaßen. Ich weiß bis heute nicht, was mit ihnen passiert ist."
Er stockte und sah mich an. Ich schüttelte wütend den Kopf. "Erik, glaubst du wirklich, ich könnte dir das glauben?"
Ich rutschte vom Fensterbrett und kam auf ihn zu. "Glaubst du, dass ich einem Verräter mehr glaube als meiner Art? Meinem Rudel, meiner Bestimmung, meinem Schicksal?"
Erik wirkte nicht überrascht. "Du musst mir glauben", meinte er.
"Wieso?", knurrte ich bedrohlich.
"Weil es die Wahrheit ist."
Ich stützte mich schwer auf den Tisch.
"Aber was könnte er mit menschlichen Patienten vorhaben?"
Eriks Gesicht hellte sich auf. "Vielleicht will er sie töten?"
"Wir Werwölfe töten nicht einfach so", seufzte ich mit einem verärgerten Unterton in der Stimme. "Im Gegensatz zu euch."
Erik wollte schon protestieren, doch ich funkelte ihn wütend an.
"Vielleicht will er sie auch irgendwie in Werwölfe verwandeln?", schlug er stattdessen vor.
"Das geht nicht. Ein geborener Werwolf kann nicht..."
Ich stockte. "Aber er ist kein Geborener."
Erik grinste. "Ich kenne mich zwar nicht mit Werwölfen aus und habe keine Ahnung, wovon du redest... Aber es klingt gut."
"Ach, halt doch die Klappe." Ich grinste ebenfalls. Fast wie in alten Zeiten...
"Es wäre möglich. Aber wieso sollte er das tun?", fragte ich.
"Unser großer Alpha hat geschworen, keine Menschen zu verwandeln."
"Euer großer Alpha ist vielleicht nicht der, für den du ihn hältst."
Als ich ihn wieder böse ansah, zuckte Erik mit den Schultern. "Moon, ich habe meine Art verraten, um dir den Verrat eures Führers zu erzählen. Wenn Claws herausfindet, dass ich dem Feind geholfen habe... Dann werden sie mich exekutieren." Mir lief ein Schauer über den Rücken.
"Okay, wir können..."
Weiter kam ich mal wieder nicht.
Unten, an der Tür, klingelte es.
"Wer weiß, wo wir wohnen?" Ich runzelte die Stirn. "Oder ist das gar nicht für uns?"
"Für wen denn sonst?", konterte Erik, während er aufstand und mir die Pistole aus der Hand nahm. Ich ließ es zu.
"Geh du zum Fenster. Wenn ich schreie, dann spring raus und lauf weg. Und warte nicht auf mich."
"Erik, lass die Spielchen. Ich bin ein Werwolf. Du nur ein Mensch. Du bist viel verletzlicher als ich..."
Es klopfte an der Tür. Ziemlich energisch. "Jetzt mach schon! Ich habe viel mehr Kampferfahrung als du!", zischte Erik.
Ich gab mich geschlagen, obwohl meine innere Wölfin vor Wut schäumte, und ging zum Fenster hinüber. Erik verschwand um die Ecke, dann hörte ich ihn langsam die Klinke herunter drücken.
Ich hielt den Atem an.
Bitte, lass es nicht Claws sein. Lass es nicht der große Alpha sein.
Erschrocken über meine eigenen Gedanken schüttelte ich den Kopf. Der große Alpha war unser großer Führer. Er war gut.
Stille.
Ich zwang mich, beim Fenster zu bleiben, meine Finger krallten sich in das Fensterbrett.
Dann eine Stimme.
"Guten Abend, Wolfsmörder", knurrte eine kalte, raue Stimme. Arians Stimme.

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