Kapitel 33

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Vorsichtig lege ich sie auf meinem Bett ab. Sie ist immer noch nicht aufgewacht. Es war nicht schwer sie hierher zu tragen, da sie soviel abgenommen hat. Das einzig Schwierige war es die Tür aufzubekommen. Ich weiß immer noch nicht wie ich das geschafft habe. Leider habe ich noch nie jemanden umkippen sehen und weiß deswegen auch nicht was zutun ist. Vielleicht sollte ich ihr etwas zu trinken holen. Sie wird bestimmt Durst haben, wenn sie aufwacht. Schnell spricht ich auf und renne in die Küche. Ich befühle das Glas, das ich aus dem Schrank über mir herausgeholt habe, mit Leitungswasser und greife hastig nach einem Apfel. Dann gehe ich wieder in mein Zimmer und stelle das Gefäß und das Obst auf den Nachtisch neben Vanessa. Soll man einfach warten bis die andere Person aufwacht? Ich setze mich auf die Bettkante neben ihr. Sachte lasse ich meine Fingerspitzen über ihre Wange fahren. Soviel zu dem Thema sie zu ignorieren. Aber ich konnte sie nicht dort lassen oder weg sehen, wenn es ihr schlecht geht.

"Alles wird gut.", flüstere ich eher zu mir selbst während ich mich langsam neben sie lege. Ein paar Minuten vergehen und ich fühle wie meine Augen zufallen.

Ich werde erst wieder wach, als ich eine Hand an meiner Hüfte und einen heißen Atem an meinem Nacken spüre. Verwundert sehe ich an mir herunter. Vanessa hat sich an mich gekuschelt. Ihr Wasser hat sie getrunken, aber der Apfel ist unberührt geblieben. Sie muss wohl aufgewacht sein, als ich geschlafen habe. Außerdem hat sie anstatt der hässlichen Schulsportuniform, die sie für den Wettlauf anziehen sollte, ein übergroßes Shirt von mir an und meine schwarze Jogginghose. Verschlafen greife ich nach meinem Handy und schaue auf die Uhr. 23:47. Zu spät um Vanessa aufzuwecken. Ich lege das Gerät wieder neben mich und sehe sie verträumt an. Sie sieht wunderschön aus.

Vielleicht können wir- kann ich heute unseren Streit vergessen und die Gründe mich von ihr fernzuhalten ignorieren.
Vielleicht kann ich mich in diesem Moment entspannen und nur für diesen kurzen Augenblick mich nur auf sie konzentrieren.
Wie ihr heißer Atem sich auf meiner Haut anfühlt,
Wie ihr Körper sich regelmäßig auf und ab bewegt,
Wie ich ihren Herzschlag an jeder Stelle meines Körpers spüre,
Wie entspannt sie aussieht, wenn sie schläft,
Und wie sie mich nur mit kleinen Berührungen aus der Fassung bringen kann.
Das ist alles was zählt. Für diesen Moment lasse ich meine Welt nur um Vanessa drehen.

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Als ich das nächste Mal meine Augen öffne, liegt sie immer noch genauso da wie sie es mitten in der Nacht getan hat. Nur dass sie jetzt wach ist. Ruhig und ohne ein Wort zu sagen sieht sie mir in die Augen. Ein kleines Lächeln bildet sich auf meinem Gesicht.

"Starren ist unhöflich"

Ihre Wangen erröten sich leicht und sie wendet ihren Blick von meinen Augen ab, ehe sie ihren Kopf stattdessen in meine Halsgrube vergräbt.

"Vanessa, kann ich dich etwas fragen?"

Ich spüre ein leichtes Nicken.

"Warum bist du gestern umgekippt? Was war los?"

Wird sie mich anlügen? Wird sie mir sagen, dass sie seit Wochen nichts mehr gegessen hat? Ihr Griff an meiner Hüfte verfestigt sich.

"Mir ging es einfach nicht so gut. Ich schätze ich hatte in letzter Zeit viel Stress."

"Wie wäre es wenn du schnell unter die Dusche springst und ich uns etwas zum Frühstück mache."

"Ich habe keinen Hunger.", gibt sie leise von sich.

"Komm schon. Du wirst noch viel zu dünn.", versuche ich es als Witz abzutun und lasse einen nervösen Lacher raus. "Ich mach auch Pfannkuchen."

Sie hebt ihren Kopf und guckt mich erst skeptisch an, bevor sie ein "Ich habe doch sowieso keine Wahl" murmelt und aufsteht. Vanessa geht zu meinem Kleiderschrank und sucht sich eine Skinny-Jeans und wieder ein -ihr zu großes- Shirt von mir aus, ehe sie sich auf den Weg ins Badezimmer macht. Vielleicht kriege ich sie dazu wenigstens ein bisschen was zu essen. Ich ziehe die Decke von mir und gehe in die Küche. Aus dem Kühlschrank hole ich Eier und Milch heraus und aus dem Schrank neben dem Ofen Mehl und Zucker. Ich habe vergessen zu fragen was sie auf ihre Pfannkuchen haben möchte. Schnell drehe ich wieder um und klopfe an die Badezimmertür.

"Was willst du denn auf deinen drauf?", frage ich sie, aber es kommt keine Antwort, stattdessen höre ich ein kleines schmerzvolles Stöhnen.

Mein Klopfen wird lauter.

"Vanessa?"

"Einen Moment, i- ich bin gleich da.", kommt es von ihr. "Shit", flüstert sie nun etwas leiser.

"Ich werde jetzt herein kommen", sage ich, kurz bevor ich die Tür öffne.

Sie hat noch nicht mal abgeschlossen.

"Nein, nein, warte!", doch bevor sie die Tür wieder zumachen kann, sehe ich Vanessa ohne Shirt, aber noch mit BH vor dem Spiegel sehen.

Um ihren Bauch ist ein blutiger Verband, den sie gerade versucht mit ihren Händen zu verdecken. Ohne ein Wort zu sagen, gehe ich langsam auf sie zu und nehme ihre Arme und löse sie von ihrem Bauch. "Nicht", sagt sie leise. Vorsichtig und ohne ihr dabei wehzutun, nehme ich ihr den Verband ab. Überall sind Schnitte. Alte sowie Neue. Tränen bilden sich in meinen Augen. Vanessa hat ihre geschlossen. Ich durchsuche die Schubladen neben mir und hole ein paar Tücher und etwas zum desinfizieren heraus. Eines der Tücher mache ich nass. Stumm nehme ich ihren Arm und ziehe sie hinter mir her ins Wohnzimmer. Wir setzen uns auf die Couch und ich beginne erst mit dem nassen Stofffetzen das getrocknete Blut zu entfernen.

"Du- Du hast gesagt, dass du aufgehört hast", gebe ich von mir und versuche meine Stimme nicht zittern zu lassen.

"Das hatte ich auch."

"Warum has du wieder angefangen?"

Meine Tränen haben angefangen zu fließen, aber ich mache mir nicht die Mühe sie wegzuwischen, sondern konzentriere mich nur auf ihre Wunden. Als ich versuche ihre Schnitte zu desinfizieren, zischt sie leise auf. Mein Blick springt sofort zu ihr nach oben, um zu sehen ob es ihr gut geht. Sie sieht mir immer noch nicht in die Augen, als sie mir antwortet.

"Ich habe dich vermisst.", ist alles was sie sagt.

Stumm kümmere ich mich weiter um sie. Bei jeden einzelnem Schnitt passe ich auf ihr nicht wehzutun.



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