Der Geruch der Freiheit

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Er rannte und rannte. Immer weiter, immer schneller.
Sein linker Schuh war komplett zerstört, sein Rechter nicht vorhanden.
Anhand der Schuhe würde man den Status erkennen, hatten sie gesagt, damals. Und vielleicht stimmte das, vielleicht...

Sie, das waren die Sklaventreiber, die in wie Vieh behandelten. Ihn, seine Familie, alle Sklaven.

Ewa war seine wundervolle Frau. Groß, rotes Haar, giftgrüne Augen. Ihre Lippen waren selbst ohne Schminke fast so wundervoll schimmernd rot, wir ihre Haare.

Ewa ließ er zurück. Sie hatte nicht die Möglichkeit zu fliehen. Nur er, er alleine.

Alia war seine Tochter. Sie wurde in den Sklavendienst geboren und kannte es nicht anders. Jeden Abend wurde dem kleinen Mädchen von „hinter der Mauer" erzählt. Wie grün das Gras leuchtete, wie der Geruch der Freiheit war. Alles war größer, schöner, heller, lieblicher in Freiheit, hatten sie gesagt. Die Sklaven, die es noch beschreiben konnten, frei zu sein. Alia, mit ihren großen, blauen Augen, die von dichten Wimpern eingerahmt wurden und ihrem roten Haar, was dem der Mutter glich und ihrer hohen, immer samtig klingenden Stimme.

Alia hatte keine Fluchtmöglichkeit. Er hätte seiner Tochter gerne gezeigt, wie die wahre Freiheit aussah, wie sie sich anfühlte, anhörte, wonach sie schmeckte und wie sie roch. Diese Freiheit erlebte doch nur er, er alleine.

Andre war sein Neffe. Er lebte bei seinem Onken, weil seine Eltern nicht mehr waren, seit Jahren schon. In einem Selbsttötungsakt, der Romeo und Juliet glich, mit Gift im Ehebett. Auch sie waren Sklaven. Man sagte sich, dass sie in Freiheit den Pakt schlossen, sich umzubringen, falls ihnen diese Freiheit genommen werden würde. Selbst ein Kind hinderte sie daran nicht. Andre hatte sehr dunkle Augen. Dunkelgrün, wie die Schale einer Avocado und schwarzes, lockiges Haar, wir seine Mutter es hatte, fielen auf seine breiten Schultern. Andre hatte auch dunklere Haut als die von Ewa oder Alia, olivbraun war sie, wie die seiner Mutter. Er war stark, doch das waren alle, die an Bauten mitarbeiten mussten.

Andre hatte schon längst keine Fluchtmöglichkeit mehr, auch wenn er das wahrscheinlich besser gekonnt hätte, jung und schnell, wie er war. Er war schon längst tot, starb, als er eine Revolte anzettelte. Nach diesem Tag wurde ihnen klar, dass sie sterben würden, würden sie sich nicht unterordnen.

Der Flüchtende rannte noch immer und inzwischen war auch sein linker Schuh irgendwo einsam im Sand. Von weitem sah er endlich etwas so lange Ersehntes – einen Brunnen. Noch schneller wurden seine Bewegungen, und schneller. Seine Beide knickten ein, ab dem Augenblick, an dem der Mann die heißen Steine des Brunnens berührte. Er begann erleichtert, heiser und glücklich zu lachen und begann zu trinken. Er trank so viel, wie er nur konnte und schüttete sich zwischenzeitlich eine Schale mit der Flüssigkeit über seinen Kopf.

Freiheit war groß, Freiheit war bunt, Freiheit war klangvoll, hatten sie gesagt.
Freiheit roch nach Zimt, nach Datteln, sie roch groß und blumig. Das war der Geruch, den sie alle vermisst hatten, alle Sklaven, den wundervollen Geruch der Freiheit.
Und er stand langsam wieder auf und machte sich lächelnd auf die Suche nach der nächsten Siedlung, atmend und lebend.


Warum ich mein Haus anzündete - KurzgeschichtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt