Es war halb zwei nachts, als ich völlig fertig auf das Gästebett fiel. Trotzdem konnte ich nicht schlafen. Jedes Mal, wenn ich die Augen schloss, tauchte Finn vor meinem inneren Auge auf und mir geisterten unser Gespräch auf der Terrasse, die Umarmung, die Tänze und vieles mehr im Kopf herum. Bei der Umarmung war mir aufgefallen, dass er verdammt gut roch. Und ich hatte ihm Dinge erzählt, die ich niemandem erzählen wollte. Er hatte diese Dinge akzeptiert. Ich stand auf und setzte mich auf die breite Fensterbank. Ich hätte wetten können, sie war genau dafür so breit, denn ich hatte wirklich genug Platz um gemütlich zu sitzen und konnte meinen Kopf in die Ecke zwischen Fenster und Wand legen. Der Mond schien hell zum Fenster herein. Auch wenn kein Vollmond war, kam mir der fliegende Teppich in den Sinn. Das kalte Mondlicht und die Sterne, die auf dem schwarzen Himmel tanzten, beruhigten mein Gedankenkarussell und ich legte mich wieder in das Bett. Als ich das letzte Mal auf den Radiowecker mit den grün leuchtenden Ziffern sah, war es 02:27 Uhr.
Am nächsten Morgen wurde ich von einem Kissen geweckt, was mir einmal, zweimal, dreimal auf den Kopf gedonnert wurde. Mürrisch zog ich die Decke über mein Gesicht, nicht ohne vorher einen Blick auf den Übeltäter und auf den Radiowecker zu werfen. Halb zehn. Killian weckte mich um halb zehn, nach exakt sieben Stunden Schlaf.
„Du Penner!", grummelte ich in die Decke, doch es schien laut genug gewesen zu sein, denn Kilian lachte.
„Aufstehen, Robin, die Sonne lacht!" Lügner. Ich hörte den Regen gegen das Fenster schlagen. „Geh weg!" Kilian lachte wieder. Wieso war er schon so wach? Er hatte wahrscheinlich noch weniger geschlafen als ich! Ich schlug die Decke mit einem Ruck nach unten und setzte mich auf.
„Kaffee?", fragte mich Kilian unschuldig. Deshalb war er also so aufgedreht. „Ich mag keinen Kaffee!", murrte ich. „Und die Sonne lacht gar nicht!"
„Ach komm Trotzkopf! Catriona hat Frühstück gemacht! Es gibt Speck und Rührei!" Er zögerte einen Moment. „Und frisch gekochten Kakao!"
„Das sagst du erst jetzt?", rief ich und scheuchte ihn aus dem Zimmer, damit ich mich anziehen konnte, denn ich hatte nur in Unterwäsche und Top geschlafen. Aus dem Zimmer heraus, folgte ich dem Geruch des Specks. Auch wenn ich keinen Speck essen würde, der Geruch war doch sehr ausgeprägt und war eine ausgezeichnete Orientierungshilfe. In der großen Küche angekommen, saßen Luka und Julian schon am Tisch, Finn hantierte mit einem Topf und mehreren Tassen herum und Kilian ließ sich grinsend auf einen Stuhl fallen. Simon (ich hatte gestern noch den Vornamen von Finns Vater erfahren) las eine Zeitung und Catriona saß, die Beine hochgezogen, mit einer Tasse Tee hinter ihm und kommentierte den ein oder anderen Artikel. In dem Moment, in dem ich die Küche betrat, schob Cailin lautstark ihren Stuhl zurück und verließ den Raum. Kurz überlegte ich, ob ich mir darüber Gedanken machen sollte, doch dann fragte Finn mich, ob ich Kakao wolle. Was war das denn bitte für eine Frage?!
Finn fuhr erst Kilian, dann auch mich nach Hause. Auf unserer Einfahrt stieg er noch mit aus, um mich zur Tür zu bringen. „Ich schaff das schon!", sagte ich doch Finn lief trotzdem neben mir her.
„Woher hast du die?" Er deutete auf die Kratzer auf meiner Schulter.
„Blagden versteht sich nicht so gut mit Gizmo, dem Kater unserer Nachbarn. Gizmo hat mich das spüren lassen, schließlich kam er an Blagden nicht ran."
„Darf ich ihn mal sehen? Blagden, meine ich?", fragte er dann. Ich nickte. „Klar."
Zu Hause wurde ich von niemandem begrüßt und plötzlich wünschte ich mir einen Hund wie Sexwolf, der mich freudig begrüßen würde. Bevor ich mit Finn in mein Zimmer ging, schnitt ich wieder Obst für Blagden und griff in den Nachfüllbeutel für Meisenknödel, den meine Mutter wohl gestern noch besorgt hatte. Ich mischte Obst und Körner in einer Schüssel, die ich dann Blagden hinstellte. Diesmal setzte ich mich nicht in die Voliere, denn Finn war ja dabei. Er hatte mich die ganze Zeit schweigend beobachtet, und als ich die Tür zur Voliere wieder schloss, trat er näher an die Gitterstäbe.
„Warum hast du ein Schloss vor den Riegel gehangen?"
„Raben sind unglaublich schlaue Tiere. Sie öffnen Flaschen, um an Futter zu kommen, reißen Mülltüten auf und erkennen sich selbst im Spiegel. Bis auf wenige Ausnahmen könne Tiere das nicht! Glaubst du, so ein kleiner Klappriegel würde für Blagden ein Problem darstellen?" Finn hob beeindruckt die Schultern. Wir blieben noch eine Weile vor der Voliere stehen und beobachteten, wie Blagden mit einem wirklich erstaunlichen Geschick von einem Ast zum nächsthöheren sprang und sich mitunter mit dem Schnabel an den Gitterstäben hochzog, wenn ein Sprung nicht reichte.
Nach einer Weile standen Finn und ich schließlich unten an der Haustür. Das betretene Schweigen, was gestern von Simon verhindert worden war, trat jetzt ein. „Danke für die Einladung", sagte ich schließlich.
„Immer gern."
„Ja, wir sehen uns dann spätestens Freitag im PK Tanz, oder?"
„Klar", meinte Finn, „Ich lass dich schon nicht hängen!" Er zwinkerte und diese komische Spannung war endlich gebrochen. Wir witzelten noch ein bisschen, dann umarmten wir uns und er ging.
Statt mich jetzt wieder irgendwelchen Tagträumen hinzugeben (ich befürchtete, sie hätten einen gewissen Schotten im Zentrum), holte ich Trainingssachen und verzog mich in den Spiegelsaal. Da ich sicher war, die Tänze aus dem PK Tanz mittlerweile zu können, versuchte ich mich an Filmtänzen. Zuerst eine Art Linedance aus Footlose. Er misslang katastrophal. Nach wirklich vielen gescheiterten Versuchen, beschloss ich, gar keine anderen Tänze mehr zu versuchen, es würden ohnehin alle in einem Desaster enden. In meiner Sporthose und dem bunten Top machte ich also einfach einige Bauch- und Spannungsübungen und stieg dann auf das Laufband. Ich hasste joggen. Aber dank der Musik, die ich laut aufgedreht hatte und den Gedanken, die mich eigentlich die ganze Zeit schon nervten, vergingen gute 45 Minuten, bis ich völlig erschöpft von diesem Foltergerät stieg.
Nach der Dusche war ich mir endgültig über einige Dinge klar geworden. Ich hatte es immer noch nicht überwunden, dass meine Eltern mir meinen Traum verwehren wollten. Ich wollte ihn unbedingt verwirklichen, wenn nötig ohne das Gutheißen meiner Eltern. Ich hatte mich mit Lennart nie so gefühlt wie mit Finn. Ich hatte mich in Finn McCollum verknallt.
Mit diesen Erkenntnissen setzte ich mich zu Blagden in die Voliere und schaute ihm zu, wie er immer mal wieder näher heran hüpfte, nur um bei der kleinsten Bewegung meinerseits wieder so weit wie möglich wegzuhüpfen.
Ich erzählte dem schwarzen Vogel, was gerade in mir vorging, und auch wenn er mich nicht beachtete, es tat unglaublich gut, einfach alles laut auszusprechen. Ich hatte zwar keine Lösungen für meine Probleme, aber immerhin hatte ich nun die Probleme formuliert, mit denen ich mich befassen musste und sie schwirrten nicht immer in meinem Kopf herum.
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Here we are again! Robin hat es jetzt also begriffen... Freue mich über Reaktionen :)
LadyBrisingr
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Supposed to be a Lady
ChickLitRobin ist 17, steht kurz vorm Abi und hat definitiv besseres zu tun, als sich mit ihrer Ex-besten Freundin und dem heißen Schotten, dem sie immer wieder zufällig begegnet, herumzuschlagen. Dass ihre überreichen Eltern sie zur perfekten Nachfolgerin...