Kapitel 23

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Wenn ich behaupten würde, die Woche sei im Flug vergangen, wäre das eine Lüge. Jeder Tag schlich quälend langsam, Minuten zogen sich hin, bis sie sich anfühlten wie Stunden. Einige Fächer vergingen schneller als andere, doch auch sie vergingen nicht schnell. Der Mittwoch wartete mit Standardtanz auf mich und wenigstens da hatte ich Spaß, und auch wenn Lars mir vorher einige kryptische Nachrichten geschickt hatte, ließ er sich nichts von seiner schlechten Laune anmerken. Ich liebte tanzen und mit Lars war Standard so einfach, weil er – im Gegensatz zu diesem Ersatztanzpartner, den ich einmal für einen Kurs lang hatte – führen konnte und ich fast nicht denken musste. Außer bei der Samba, die ich einfach nicht hinbekam, war also zumindest der Mittwoch schön gewesen.

Endlich war Freitag! Zum einen konnte ich ausschlafen. Ich hatte erst um zehn vor zehn Uhr Schule und blieb einfach bis halb neun im Bett. Geschichte war ein wirklich entspanntes Fach und ich mochte Französisch zwar nicht, aber mit Kilian zusammen konnte ich zumindest davon ausgehen, dass es lustig würde. Vom PK Tanz am Nachmittag ganz zu schweigen. Auch wenn viele anderen aus dem Kurs murrten, PK sei trotzdem Schule und so weiter, ich sah es fast als Hobby an. Wenn man nicht begeistert vom Tanzen war, hätte man den Projektkurs nicht wählen sollen.

Als Finn den Raum betrat wurde es still. Mal abgesehen davon, dass die Mädchen ihn sowieso abgöttisch verehrten, fanden auch die Jungs ihn cool und waren beeindruckt von ihm. Er übernahm quasi den Kurs und Herr Laßbei schien kein Problem damit zu haben.

Am Anfang herrschte großes Durcheinander, denn heute sollten die Fotos gemacht werden und Finn überlegte zusammen mit Herrn Laßbei, wie man die Leute aufstellen könnte, damit es wirkt, wer welche Kostüme tragen sollte und wie dann fotografiert werden sollte. Nach kaum zwanzig Minuten hatten wir alle Kostüme an, die passten, jeder stand auf seiner Position und es wurden einige Bilder geschossen. Finn und ich standen zusammen, er hatte seinen Arm um mich gelegt, wir trugen unsere Dirty Dancing-Kostüme, schräg hinter uns standen drei Leute in knallbunten Shirts für Sax, quer vor uns lagen ein Junge und ein Mädchen in schwarzen Trainingsklamotten. Insgesamt wirkten wir auf den Bildern wie ein bunt gemischter Haufen, doch es wirkte.

Auch die Tänze schienen endlich so zu funktionieren, wie sie sollten. Bei Liedern wie ‚Sax' oder ‚Ex's & Oh's' herrschte die Partystimmung, die die Lieder vermittelten, bei ‚See You Again' oder auch ‚The Time Of My Life' herrschte eine fast schon andächtige Stille bei allen, die nicht mittanzten. Für ‚Sweater Weather' bekamen Finn und ich schließlich sogar Applaus von unseren Mitschülern. Ich musste mich den ganzen Kurs über zusammen reißen, um nicht zu oft zu Finn rüber zu schauen, jedoch fand ich meistens eine Ausrede, es doch zu tun. Und wenn ich es tat, schaute ich schnell wieder weg, weil er mich nämlich fast immer ebenfalls anschaute. Nach dem letzten Tanz meinte Finn, dass wir langsam die Verbeugungen üben sollten. Sein Vorschlag war, dass immer zwei Leute zusammen gingen, sich verbeugten und dann auf der Bühne nur ein paar Schritte zurücktraten, so dass sich die Bühne in zweier-Schritten füllte und zum Schluss das ganze Ensemble gemeinsam auf der Bühne stand und sich noch einmal gemeinsam verbeugte. Die Reihenfolge wurde von den Kostümen bestimmt. Finn wollte, dass wir alle in den Kleidern und schwarzen Anzügen auf die Bühne traten. Wer bei ‚The Time' nicht mittanzte, konnte sich also dabei schon umziehen, die sechs Leute aus dem letzten Song mussten sich dann halt beeilen. Naja, eigentlich nur die drei Mädels, denn die Jungs trugen auch im letzten Tanz die schwarzen Hosen und Hemden. Als wir diese Zeremonie endlich so hinbekamen, wie Finn sich das vorgestellt hatte, hatten wir bereits eine Viertelstunde überzogen.

Finn fuhr mich auch heute nach Hause und auch heute brachte er mich wieder bis zur Haustür. Mein Hirn suchte fieberhaft nach einer Begründung, warum ich unsere gemeinsame Zeit verlängern konnte. Bevor ich aber was sagen konnte, fragte Finn: „Ich wollte heute noch klettern gehen. Hast du Lust mit zu kommen?" Klettern?! „Okay", sagte ich, „Gern. Hochseilgarten oder Halle?" Ich blickte zum Himmel hinauf und es sah mal wieder nach Regen aus. War ja klar.

„Halle", meinte Finn dann aber zu meiner Erleichterung. Ich zog mich also nicht großartig um, denn ich trug noch die Sportsachen vom Tanzen, packte nur Sportschuhe ein und, als Finn mir hinterherrief, dass ich in der Halle duschen könnte, frisches Zeug für danach.

Meinen Eltern sagte ich nicht Bescheid. Sie würden ohnehin nicht nachfragen. Im Auto bekam ich dann ein schlechtes Gewissen und schrieb meinem Vater zumindest eine Nachricht, dass ich Klettern sei. Ich freute mich wahnsinnig, auch wenn ich seit dem 10. Geburtstag einer damaligen Freundin nicht mehr in einer Kletterhalle gewesen war. Ich hatte es damals geliebt und würde es bestimmt auch heute noch.

Als wir dann in der Halle standen und die Wände hoch schauten, wurde mir doch ein bisschen mulmig. Ich schaute auf eines der Werbeplakate. Kletterstrecken bis zu 20 Metern hoch. An glatter Wand. Irgendwie war das damals nicht so viel gewesen.

Finn lief zielstrebig auf den Tresen zu, begrüßte den jungen Mann dahinter mit Handschlag und stellte mich vor. Als David (so hieß der Kletter-Typ) kurz nach hinten ging, erklärte Finn mir, dass er mich zwar sichern könnte, es aber vermutlich lustiger sei, wenn wir gleichzeitig klettern könnten. Mein Bauch krampfte ein bisschen, als wir schließlich in die Gurte stiegen. David hatte Andreas mitgebracht, der mich wohl sichern würde. Mir kam er ein bisschen komisch vor, er gaffte viel und sprach mehr mit meinem Ausschnitt als mit mir, doch wichtig war, dass er mich nicht gleich von der Wand fallen ließ.

Als mir die Seile um den Kopf baumelten und ich die Hand an den ersten Griff legte, war es ganz einfach. Stück für Stück, Meter für Meter, arbeitete ich mich nach oben. Immer wieder sah ich aus dem Augenwinkel, wie Finn einen oder auch zwei Meter über mir auf mich wartete und mich schnell wieder einholte, wenn ich mal vorne war. Erstaunlich schnell war ich an der Glocke der ersten Wand angelangt und griff triumphierend danach. Finn grinste mich breit an und lehnte sich im Gurt zurück. Vorsichtig machte ich es ihm nach und lief die Wand wieder herunter.

Nach dieser doch eher einfachen Wand wurde ich mutiger und wir gingen zu einer mittelschweren Wand, die oben tatsächlich ein sehr schweres Stück mit Überhang bereit hielt. „Okay", sagte ich leise und wagte den ersten Tritt. Tatsächlich schaffte ich die Wand zumindest bis zu dem Überhang fast ohne Probleme. Bis zu dem Überhang. Dort hatte ich das Gefühl, meine Arme würden lahm und meine Füße würden abrutschen. Ich hing mitten auf dem Ding, war wirklich der Verzweiflung nah, denn das Scheißteil war auf locker 15 Metern und ich kam weder vor noch zurück.

„Hey!", sagte Finn plötzlich und streckte mir die Hand hin. „Ich helfe dir." Ich schaute zweifelnd zu ihm hoch. „Wenn ich loslasse, falle ich!" Okay, meine Stimme klang panischer, als beabsichtigt. Finn überlegte kurz, streckte dann seine Hand noch weiter in meine Richtung. Er zwinkerte. „Vertraust du mir?" Ich musste lachen, doch bis mir schnell auf die Lippen. „Du kannst mich doch nicht hier oben zum Lachen bringen, verdammt!" Wenigstens klang meine Stimme nicht mehr so panisch und ich ergriff seine Hand. Mit Schwung zog er mich über ein Stück, auf dem keine Griffe befestigt waren. Noch wenige Zentimeter und der Überhang war geschafft. Der letzte Rest war gegen das vorherige Stück ein Kinderspiel. Finn wartete bereits an der Glocke und wartete, bis ich meine Hand auch um das Seil geschlossen hatte. „Danke, Aladdin", flüsterte ich, in Anspielung auf seine Frage eben.

„Ich habe das Poster über deinem Bett gesehen. Und dich singen hören. Es war klar, dass du die Szene erkennen würdest. Und irgendwie musste ich dich den Überhang hochkriegen, schließlich habe ich gewettet!" Mir entfuhr ein entrüsteter Laut, dann lachte ich doch, während ich den ersten Sprung die Wand runter machte.

Unten angekommen, drückte Andreas Finn einen 10€- Schein in die Hand. Dann wanderte sein Blick an mir entlang. „Du hast es echt drauf, Kleine", meinte er dann mit einem anzüglichen Grinsen. Finn schob sich halb vor mich, unter dem Vorwand, David den Karabiner des Seils zu geben, doch dass er damit ausversehen dieses eher einseitige Gespräch unterbrach, bezweifelte ich.


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Das Montagskapitel ist da! Ich bin ab heute unterwegs, sollte ich also zu spät updaten, seid nicht böse!

Eine schöne Woche wünscht

Lady Brisingr

Supposed to be a LadyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt