Kapitel 29

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Schon fünf Minuten nach meinem kleinen Wutanfall hatte ich ihn schon wieder vergessen. Die McCollums waren Meister ihres Faches. Die Tiere schienen mit den Menschen zu verwachsen und besonders Mensch und Pferd beziehungsweise Mensch und Hund stellten ein faszinierendes Zusammenspiel dar: Wenn Catriona einen Laut oder eine Geste machte, stellte Rionnag sich auf die Hinterbeine und sprang nach rechts oder links, dann warf sie den Kopf hin und her oder hob den Huf. Zwischen Finn und Sexwolf brauchte es noch nicht einmal Gesten. Er arbeitete nur mit Lauten oder Worten und Sexwolf vollführte wahre Kunststücke: er sprang durch Reifen, stellte sich tot, jagte seinen Schwanz (was wirklich, wirklich lustig aussah) oder knurrte furchterregend. Ich beobachtete, wie Mutter und Sohn auch gemeinsam Dinge taten, die mich in das Stadium einer verzauberten Fünfjährigen versetzten. Der gigantische Wolfshund, der neben der großen schwarzen Rionnag nicht mehr so übergroß wirkte, spielte fangen mit der Stute, stieß mit seiner schimmernden Nase ihre glänzenden Flanken an, bis sie ihm die Aufmerksamkeit schenkte, die er haben wollte. Ungläubig sah ich zu, wie Sexwolf sich zu einem lebendigen Bock kauerte, über den Rionnag förmlich flog, bis auch sie sich hinkauerte und Sexwolf über sie sprang. Keinen Augenblick wirkte der Hund abgelenkt, oder das Pferd verschreckt, sie waren ein Team, ebenso wie Catriona und Finn, die ihre tierischen Gegenstücke zu Höchstleistungen anspornten, ohne sich gegenseitig reinzureden oder im Weg zu sein. Es war unglaublich.

Kilian verabschiedete sich schon früh, doch ich blieb sitzen, widmete mich nun auch dem Falken Archie, der nicht aufs Wort hörte, wie ich feststellte, sondern eher darauf, ob Simon Fleisch für ihn hatte, oder nicht. Tja, ich blieb sitzen und plötzlich war es viertel nach acht. Wenn ich pünktlich zu Hause sein wollte, müsste ich in spätestens zwanzig Minuten fahren.

Wie durch ein geheimes Zeichen löste sich die Trainingsstunde kaum fünf Minuten später auf. Catriona pfiff laut und Rionnag trottete – nein, sie stolzierte – in Richtung Stall, wohin die rothaarige Frau ihr folgte, Simon lief mit Archie auf dem Arm in etwa die gleiche Richtung davon und Finn kam mit Sexwolf zu mir und wedelte mit der Hand in Richtung eines Kellerabgangs. Es waren keine Stufen, sondern eine relativ flache Rampe, die wir hinunterliefen um dann einen kleinen, durch die Glastür und Fenster, die von der Rampe profitierten, hellen Kellerraum kamen. Es sah aus wie eine kleine Küche, Theken mit diversen Schranktüren und Schubladen standen an der Wand und sogar ein Kühlschrank summte in einer Ecker vor sich hin. Direkt vor den Fenstern lag ein dickes Kissen, auf das Sexwolf sich laut hechelnd fallen ließ. Finn kniete vor ihm und fuhr mit geübten Handbewegungen an dem Hund entlang. Es sah nicht aus, als würde er ihn kraulen, obwohl Sexwolf es offensichtlich genoss.

„Untersuchst du ihn?", fragte ich und setzte mich auf eine der Theken.

„Wir waren die ganze Zeit draußen, Sexwolf hat unglaublich langes Fell und ist übermütig. Einerseits soll er keine Zecken länger als notwendig mit sich rumschleppen, andererseits muss ich wissen, wenn ihm irgendwo etwas wehtut. Also- ja, im Grunde untersuche ich ihn." Ich nickte. Finn stand auf und kam auf mich zu.

„Ich muss mal da dran", meinte er und deutete auf die Schublade, die ich mit meinen Beinen blockierte. Ich hob schnell die Füße, um ihm Platz zu machen. Mit einer kleinen Schere ging Finn zurück zu Sexwolf und schnitt etwas ab, was aussah wie ein Klumpen verfilztes Fell. Weil ich nichts anderes zu tun hatte, und es genoss, ihn unbemerkt beobachten zu können, verfolgte ich jede seiner Bewegungen, als er den Klumpen wegwarf und sich die Hände an einem kleinen Waschbecken abspülen ging. Dann griff er nach der Schere und kam wieder auf mich zu. Ich wollte schon die Beine hochziehen, doch Finn legte seine Hände auf meine Oberschenkel und schob sie sanft auseinander. Mir liefen Gänsehautschauer über den ganzen Körper und ich merkte, wie mir das Blut ins Gesicht schoss, denn ich war mir seiner einen Hand, die nicht gerade sie Schublade aufzog und die Schere wegräumte, sondern noch immer auf meinem Bein lag, nur zu bewusst. Ich blickte von seiner Hand auf und sah ihm direkt in die Augen, er schien mich die ganze Zeit gemustert zu haben. Das Hecheln von Sexwolf, mein Atem, Finns Atem und mein Herz schienen mir überdimensional laut, als Finn die Schublade schloss und auch die andere Hand wieder auf meinen Oberschenkel legte.

„Ich würde dich gern küssen, lass", murmelte er, während er sich zwischen meine Beine schob und sein Gesicht meinem näherte. Ich schaute ihn an, wie eine Maus die Schlange, doch er schien es als eine Zustimmung zu werten und legte seine Lippen auf meine.

Ich würde nicht behaupten, dass ich eine erfahrene Küsserin war, aber ich hatte immerhin eine fast anderthalbjährige Beziehung, in der ich durchaus mehr als nur geküsst hatte, trotzdem überwältigte mich dieser Kuss. Wenn ich im Nachhinein über meine Beziehung zu Lennart nachdachte, war es nichts anderes als eine Farce gewesen. Niemals, nicht ein einziges Mal, hatte ein Kuss von Lennart so gekribbelt, mich so ausgeknockt, wie Finns Kuss. Das alles fiel mir erst abends auf, als ich im Bett darüber nachdachte, denn in diesem Moment war mein Hirn abgeschaltet. Alles, was mir durch den Kopf ging, war wie gut Finn roch, eine Mischung aus Herbstlaub, frisch gemähtem Gras und irgendwas holzigem, wie Finns Finger von meinen Beinen zu meinem Rücken und an meinen Nacken wanderten, um mich fest zu halten, Finns Lippen, die sich auf meine pressten. Ja, pressten. Es war kein lass-uns-unsere-Lippen-gerade-soweit-aufeinander-legen-dass-sie-sich-berühren-Kuss, es waren feste, fordernde Lippen, die sich gegen meine drängten. Gerade, als mein Hirn tatsächlich soweit war, die Situation für real befunden zu haben, löste Finn sich von mir. Naja, nicht ganz, er ließ seine Hände wo sie waren, blieb stehen wo er war, doch er zog sein Gesicht ein bisschen von meinem Weg, bis ich die Augen öffnete.

„Das wollte ich schon bei meiner Tante machen...", murmelte er und strich mit einem Daumen über meine Wange. Mein Gott, der Kerl wusste, dass man mich mit kleinen, kitschigen Filmgesten zum Schmelzen bringen konnte. Mir entwich ein zitternder Seufzer. 

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Eeendlich! Der erste Kuss! Und ich habe euch aus versehen länger drauf warten lassen, als vorgesehen... Tut mir leid!
Bis morgen,
LadyBrisingr

Supposed to be a LadyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt