Ich wachte nur Sekunden vor dem Weckerklingeln auf. Trotzdem gaben mir diese Sekunden das Gefühl, ausgeschlafen zu haben und nicht jäh vom Wecker aus tiefstem Schlaf gerissen worden zu sein. Ich stellte Blagden frisches Wasser und eine Schüssel mit diversen Zerealien in die Voliere und sprach einige Worte mit ihm. Es war mir zur Gewohnheit geworden, mich morgens oder abends, wenn möglich beides, zu ihm zu setzen, und mich mit ihm zu unterhalten. Mittlerweile war er so zutraulich, dass er auf meine Füße oder meine Beine sprang und mir, wenn ich die geöffnete Hand auf den Boden legte, sogar aus der Hand fraß. Zwar flatterte er noch immer unter lautem Protest davon, wenn ich ihm eine Hand mit Futter entgegenstreckte, doch mir gefiel die Routine und ich hatte Blagden schon häufig laut Krächzen gehört, wenn ich ungewöhnlich spät kam.
Das Frühstück mit meinen Eltern verlief wenig aufregend, wenn man davon absah, dass ich beinahe einen Streit vom Zaun gebrochen hatte, weil meine Mutter mir einen Friseurtermin gemacht hatte, damit ich gut frisiert zum Tanz in den Mai ginge. Mein Vater sah mich jedoch bittend an, und weil er mich mit seinen schokoladenbraunen Augen, die hinter seiner Lesebrille warm glänzten unglaublich an meinen Großvater erinnerte, versprach ich, den Termin wahrzunehmen.
Ich verbrachte den Vormittag mit Hausaufgaben, die sich im Laufe der Woche angesammelt hatten und als ich den letzten Punkt fester als nötig in mein Deutschheft gedrückt hatte, war es schon kurz nach zwei. Ich sprang unter die Dusche, holte das Traumkleid aus dem Schrank und wickelte es vorsichtig aus der Schonhülle. Um halb vier klingelte die Friseurin und eine wirklich nette, wenn auch zu stark geschminkte junge Frau beschäftigte sich eine volle Stunde mit meinen Haaren. Tausende Nadeln hielten den dicken Dutt auf meinem Hinterkopf, einige Strähnen in edle Locken gelegt, rahmten mein Gesicht ein.
Ich ging, mit meiner Mutter im Schlepptau auf mein Zimmer, schälte mich aus der bequemen Leggins und der Jacke, die ich angezogen hatte, um nichts über den Kopf mit der sündhaft teuren Frisur ziehen zu müssen, und wandte mich dem Kleid zu. Ich stieg hinein und meine Mutter schloss es in meinem Rücken. Ohne mich zu wehren, ließ ich meine Mutter in meinem Schmuckkästchen (zugegeben, es war eher ein Schmuckkasten, denn im Laufe der Jahre als Marzipanprinzessin hatten sich Geburtstags- und andere Geschenke gesammelt) wühlen, bis sie schließlich zum Kleid passende Perlenohrringe und eine silberne Kette mit einer einzelnen Perle gefunden hatte. Ich legte den Schmuck an und drehte mich zum Spiegel. Meine Mutter hinter mir betrachtete mich kritisch.
„Liebling du bist ja gar nicht geschminkt!", rief sie plötzlich. Stimmt. War ich nicht. Aber eigentlich hatte ich auch nicht vor, viel Schminke aufzulegen, denn meiner Meinung nach sollte nichts von dem Kleid ablenken, aber gut, meiner Mutter zu widersprechen wäre wohl zwecklos gewesen. Sie dirigierte mich auf meinen Schreibtischstuhl und lief in mein Bad um mein Make-Up zu holen. Anscheinend wollte meine Mutter mein Gesicht in die Hand nehmen.
Keine zwanzig Minuten später hatte ich perfekten Teint, ewig lange Wimpern, hellbraun betonte Lippen, denn eine kräftige Farbe oder schwarz geschminkte Augen hätten nicht zum lindgrün des Kleids gepasst. Meine Mutter konnte einfach schminken.
Zu guter Letzt schlüpfte ich in meine silbernen Tanzschuhe und begab mich in die Eingangshalle, wo mein Vater schon auf meine Mutter und mich wartete. Kurz sah ich etwas wie stolz aufblitzen, als er mich die Treppe runter schreiten sah, doch dann legte sich sein Arbeitsgesicht wieder auf seine Züge.
Natürlich begleiteten meine Eltern mich, denn sie ließen selten eine Gelegenheit aus, uns als perfekte Familie zu präsentieren. Meine Mutter trug ein cremefarbendes Kleid, wozu die Krawatte meines Vaters farblich passte und hatte sich während ich frisiert wurde bereits sorgfältig geschminkt. Mein Vater sah eigentlich aus wie immer, nur dass er selten Krawatten zu Arbeit trug.
In der weißen Mercedes S-Klasse meines Vaters fuhren wir zur Tanzschule. Vor der Tür wartete bereits Lars in perfektem grauen Anzug. Galant reichte er mir den Arm als wir die Treppe hoch in den Ballsaal der Tanzschule schritten.
„Du siehst toll aus", murmelte er mir zu und ich lächelte.
„Gleichfalls", gab ich zurück während wir von einem Kellner zu unseren Plätzen geführt wurden.
Wie immer war es brechend voll im Saal, denn die ganze Tanzschule war eingeladen und wollte mit ihren Kleidern und Tanzfertigkeiten glänzen. Während die Männer fast alle in schwarzen oder, wie Lars, grauen Anzügen auftraten, waren der Fantasie keine Grenzen gesetzt wenn man sich die Damen anschaute. Mein Kleid war fast noch eines der schlichten, um mich herum wallte blutrote Seide, eisblauer Tüll, schillernde enge Partykleider, stilvoll schimmernde Ballroben... Meine Eltern saßen Lars und mir gegenüber, lächelten freundlich, wenn auch gekünstelt und unterhielten sich mit meinem Tanzpartner.
Auch wenn die Abendgarderobe die Veranstaltung wie einen steifen Ball anmuten ließ, die Stimmung war ausgelassen, die Tänze fröhlich und schnell und nach einem Disco-Fox, einer (sogar halbwegs gelungenen) Salsa und einem Jive war uns warm geworden und ich setzte mich eine Weile hin, genoss meine Apfelschorle und schaute den anderen Paaren bei einer getragenen Rumba zu.
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Liebe Leute, kurze Info! Nach dem heutigen Kapitel folgen noch zwei (also Mittwoch und Samstag) normale Kapitel, bis dann nächste Woche Montag unsere Marathon-Woche startet!
Kaum zu glauben, dass es nur noch 9 Kapitel sind !!!!
So, jetzt zum Kapitel: mögt ihr Bälle? Tanzt ihr auch in einer Tanzschule? Und jetzt ist der Samstag, für den er seine Machenschaften geplant hat. Wie soll er das machen wenn sie doch mit ihren Eltern unterwegs ist? Und dem Tanzpartner?
Fragen über Fragen!
Bis Mittwoch,
LadyBrisingr
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Supposed to be a Lady
ChickLitRobin ist 17, steht kurz vorm Abi und hat definitiv besseres zu tun, als sich mit ihrer Ex-besten Freundin und dem heißen Schotten, dem sie immer wieder zufällig begegnet, herumzuschlagen. Dass ihre überreichen Eltern sie zur perfekten Nachfolgerin...