Kapitel 5

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In meinem Zimmer legte ich mich in mein Bett, doch konnte immer noch nicht einschlafen. Also öffnete ich das Fenster und lies Luft herein. Die kühle Nachtluft von Distrikt 6 strömte herein und ich machte das Licht aus, damit keine Insekten angezogen wurden. Meine Haare wirbelten im Fahrtwind und ich war erstaunt, dass der Zug gar nicht so laut war wie erwartet. Ich hätte gedacht, dass es rattern und quietschen würde, doch die Magnetbahn glitt quasi lautlos über die Schienen. Nur wenn man genau hinhörte, konnte man ein leises Tuck-Geduck Tuck-Geduck erahnen. Der Zug fuhr in einen unglaublichen Geschwindigkeit an Wiesen, Feldern und Wäldern vorbei und ich blickte in die Sterne. Vielleicht würde ich sie gerade das letzte mal in meinem Leben sehen. Im Kapitol war es sogar nachts zu hell, um sie zu sehen und in der Arena gab es bestimmt keine. Morgen um diese Zeit würde ich gerade auf den Streitwägen neben Siloh in das Kapitol einfahren. Danach ging es ins Training zwei Tage lang. Am dritten Tag gab es die Sponsorenbewertung und am Abend die Interviews mit Plinax Praia, dem allgemeinen Spaßmacher im Kapitol. Unwillkürlich fragte ich mich, was ich den Sponsoren vorführen sollte. Ich war nicht schlecht im Kämpfen und im Verteidigen, aber auch nicht besonders gut. Sollte ich ihnen ein Feuer machen und zeigen, wie gut ich den anderen Tributen den Weg zu mir weisen konnte?! Vielleicht stellte sich beim Training ja noch ein verborgenes Talent im Bogenschießen oder so heraus. Doch ich bezweifelte es. Sollte es bei den sehr reichen Sponsoren, die von Kapitol angeheuert werden, nicht reichen, könnte ich ja wenigstens versuchen mit den Interviews Leute im Volk auf meine Seite zu ziehen. Ich überlegte ewig, wie ich auf das Kapitol wirken sollte, doch als wir schon fast den riesigen Elektrozaun zu Distrikt Fünf erreicht hatten, beschloss ich, einfach May zu sein und das schon irgendwie zu rocken. Ich ließ das Fenster offen stehen und legte mich nun schon etwas müder in das riesige Doppelbett. Ich schloss die Augen und ließ mich von dem Zug, der bald an die Grenze kommen würde und dem leisen Tuck-Geduck Tuck-Geduck sanft in den Schlaf wiegen.

Ich wachte auf, weil der Zug gehalten hatte. Ich blinzelte, doch konnte nichts erkennen, da es immer noch dunkel draußen war. Ich blinzelte noch einmal und schmiegte mich enger in die weiche Decke. Ich musste wohl gerade mal zwei oder drei Stunden geschlafen haben, denn am Nachthimmel, den ich durch das immer noch offene Fenster erkennen konnte, zeigte sich noch keine Spur der Morgendämmerung, wie man sie um fünf Uhr morgens in der Regel schon sah. Ich zog die Jacke, die ich von gestern Abend noch anhatte, enger um mich und stand auf, um das Fenster zu schließen. Die kühle Nachtluft, die ich gestern noch als so erfrischend und beruhigend empfunden hatte, war jetzt einfach nur saukalt. Ich blickte aus dem Fenster und erkannte schummerige Umrisse eines Zaunes und eines kleinen Wärterhäuschens. Wahrscheinlich standen wir gerade an einer Grenzkontrolle oder so und der Friedenswächter musste nur kurz unsere Papiere oder so kontrollieren. Weiter vorne, in etwa auf der Höhe, wo ich den Typen vermutete, der darauf achtete, dass der Autopilot keinen Scheiß machte, erkannte man auch schemenhaft eine kleine Gruppe von zwei oder drei Leuten, die mit dem Typen sprachen, der sich aus dem Fenster lehnte. Ja, nur eine Papierkontrolle. So musste es sein. Dann konnte ich ja beruhigt wieder schlafen gehen. Gerade als ich das Fenster schloss, fiel mir der Fehler daran auf. Wir konnten unmöglich bereits im Kapitol sein, so schnell ging das nicht mal mit der Magnetbahn, also mussten wir an der Grenze von Distrikt 4 zu 3 oder so stehen und warum sollten sie ausgerechnet dort kontrollieren? An den anderen Grenzen wurde doch auch nicht kontrolliert?
Dann fiel mir der zweite Fehler auf. Wenn sie -mal angenommen, also wirklich nur mal angenommen- wirklich nur unsere Papiere sehen wollten, was sollte ich ihnen dann vorweisen? Ich hatte doch außer meinen Kleidern, die ich zufällig gerade getragen hatte, als ich gezogen wurde, und dem Armband von Valentine gar nichts dabei. Trisha im Morgenmantel kam herein. ,,Mable, steh Oh! Du bist ja schon wach." Ich gähnte sie nur an. ,,Also....", fing sie an blinzelte ebenfalls verschlafen, ,,Da draußen sind Friedenswächter, die meinen eine Personenkontrolle auf oberste Anordnung machen zu müssen. Nachts um halb 3. Hätten die das nicht morgen machen können? Aber gut egal. Da ich mal annehme, dass du weder Zollpapiere besitzt, noch sie dabei hast, musst du jetzt raus und denen sagen, wer du bist." Als ich sie nur fragend anblickte -ich war zu müde zum sprechen- zuckte sie die Schultern. ,,Weiß ich doch nicht, was die sich im Kapitol gedacht haben, einfach wahllos irgendwelche Züge anzuhalten und die Leute drin zu nerven." Dann ging sie vor mir hinaus in Richtung der Kontrolle. Da ich ja schlecht im Zimmer bleiben konnte, ging ich durch den gesamten Zug nach vorne in das Abteil, wo der Zugführer saß, wo bereits die noch halbschlafende Siloh stand und dem Friedenswächter erklärte, sie hieße Siloh Preskord und besäße keine Papiere, noch nie besessen, aber würde jetzt trotzdem ganz gerne weiterschlafen wollen. Neben ihr stand Stev in Boxershorts und T-Shirt und hielt einem anderen Friedenswächter gähnend einen Lappen hin, der wohl seine Personalien enthielt. Trisha drückte dem gleichen Friedenswächter ihren Pass hin und setzte sich dann in eine Ecke des kleinen Raums, in dem wir uns drängen, um etwas zu dösen, während der Friedenswächter ihre Personalien durchsaht. Ein Dritter wendete sich jetzt mir zu. ,,Papiere?" Ich schüttelte langsam den Kopf. ,,Gut, dann keine Papiere.", sagte er bestimmt. Er holte einen Zettel und einen Stift hervor und kritzelte irgendwas, schlaftrunken, wie ich war, konnte ich nicht erkennen was. ,,Name?", fragte er und blickte mich an. ,,May Leanbesk.", sagte ich und verbesserte mich prompt, ,,Mable Winnifred Leanbesk. - Fragen Sie nicht, warum Winnifred. War die Sache meiner Eltern, nicht meine.", fügte ich hinzu, als er ein wenig komisch guckte. Er zuckte mit den Schultern und kritzelte auf seinen Block. ,,Alter?", fragte er erneut. ,,15 Jahre. Darf ich jetzt wieder schlafen gehen?" Er schaute mich nur missbilligend an und notierte etwas. ,,Wo kommen Sie her?" ,,Distrikt 8. Hören Sie, ich bin wirklich müde und..." ,,Wohin reisen Sie?", unterbrach er mich. ,,Ja wird das hier ein Verhör oder was?", fragte ich unwillkürlich. Er zog mit der linken Hand seine Pistole und richtete sie auf mich. Mit der rechten schaffte er es irgendwie den Block zu halten und darauf herum zu kritzeln. Er fragte mich nochmal mit Nachdruck:,,Wohin reisen Sie?" Ich biss mir auf die Lippe. ,,Ins Kapitol." Er schrieb etwas auf seinen Block. ,,Aha, ins Kapitol. Und was wollen Sie da, wenn man fragen darf?", fragte er durch seinen Helm hindurch. Ja, was wohl? Verwandte besuchen! Hallo?! So dumm können ja nicht mal Friedenswächter sein! Es ist Zeit der Ernte, die Züge fahren heute ins Kapitol, hier sind zwei Jungendliche zwischen 12 und 18 an Bord??? Verschlafen strich ich mir über die Stirn. ,,Siloh und ich sind die Tribute von Distrikt 8 in den 125. Hungerspielen, Stev und Trisha", ich zeigte auf die beiden, ,,sind unsere Mentoren und Liah Bailey, die da hinten angedackelt kommt... Ach wissen Sie was, die fragen Sie einfach selber, wo sie hin will. Siloh und ich brauchen auf jeden Fall Schlaf, denn in der Arena werden wir den ganz bestimmt nicht bekommen." Der Friedenswächter notierte etwas, nahm die Waffe runter und sagte:,,Nun gut, aber ich muss Ihnen noch eine Impfung gegen die Seuche in Distrikt 3 geben. Ihnen und der Göre dahinten!" ,,Siloh, komm mal her, der will uns gegen irgendwas impfen!", rief ich ihr zu und streckte meinen Arm in Richtung des Friedenswächters, der die Spritze schon gezogen hatte. Nachdem er meinem Ärmel auf meinen Oberarm gekrempelt hatte, setzte den Stift an meinen Unterarm und drückte auf das Ende. Eine spitze Nadel bohrte sich in mein Fleisch und ich verkrampfte mich automatisch. Endlich ließ der Friedenswächter von mir ab und ich strich mit meiner Handfläche über die Stelle, an der ein paar Blutstropfen austraten. Die fröstelnde Siloh wurde ebenfalls geimpft, allerdings erst nachdem sie ein paar freche Bemerkungen darüber gemacht hatte, das sich kein Mensch um die Leute in den Distrikten kümmert, aber Durchreisende, die nicht mal aussteigen, natürlich sofort geimpft werden. Der Mann rammte die Spritze auch in ihren Arm und ich hätte schwören können, dass er dabei lächelte. Allerdings war das bei einem verspiegeltem Visier und fast völliger Dunkelheit schwer zu sagen. Erfreut, endlich wieder ins Bett zu dürfen, griff ich Siloh am Handgelenk und zog sie an Liah Bailey vorbei zurück in Richtung unserer Zimmer. Mein Friedenswächter quatschte kurz mit einem anderen, dieser zuckte nur mit den Schultern. Siloh und ich liefen die Waggons entlang in Richtung unserer Zimmer. ,,Siloh?", fragte ich, als ich sicher war, dass wir außer Hörweite der Friedenswächter und Mentoren waren, ,,Ist dir aufgefallen, dass nur wir beide die Impfung bekommen haben?" ,,Stimmt doch gar nicht. Stev und Trisha wurden doch auch geimpft.", antwortete sie irritiert. Langsam schüttelte ich den Kopf. ,,Trisha durfte schon gehen, nachdem sie ihre Papiere gezeigt hatte und Stev sitzt da zwar noch, aber geimpft wird der sicher auch nicht. Der Friedenswächter hatte nur zwei Ampullen dabei, eine für dich, eine für mich." ,,Mann May, du überanalysierst das alles.", war ihre plumpe Antwort. ,,Das Wort gibt's nicht.", antwortete ich. ,,Mir doch egal. Geh schlafen, es ist mitten in der Nacht.", gähnte sie und schlurfte in ihr Zimmer. Was hatte ich von ihr auch anderes erwartet? Sie hatte wahrscheinlich Recht. Es war mal wieder irgendwo eine Krankheit ausgebrochen und man wollte nur sicher gehen, dass die Tribute nicht schon vor der Arena an einer Seuche starben. Ich legte mich wieder ins Bett und schlief ein.
Irgendwann, als ich längst schon eingeschlafen war, setzte sich der Zug wieder in Bewegung in Richtung des Kapitols und der Arena, die vielleicht in ein paar Tagen mein Todesort sein würde

Survival of the fittest- A Hunger Games StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt