Kapitel 17

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Ich saß ein wenig hibbelig in einem Nebenraum des Trainingscenters und wartete mit den anderen Tributen auf meinen Aufruf für die Sponsorenbewertung. Harte Holzbänke waren an den Wänden des kahlen fensterlosen Raumes aufgestellt und auch das kalte Licht, das von der grauen Betondecke schien, machte diesen Raum nicht gerade freundlicher. Alle Tribute in diesem Raum hatten inzwischen einen Entschluss gefasst, was sie vorführen wollten, weswegen die Zeit nur umso langsamer verstrich. Insgeheim war ich neidisch auf die Tribute aus Distrikt 1 und 2, dass sie gleich als erste dran kamen, denn auch mir kribbelte es seit meinem Einfall in den Fingern. Ich wollte den Sponsoren nun endlich zeigen, dass ich auch etwas konnte und nicht nur das kleine Mädchen aus Distrikt 8 war. Nervös wippte ich mit dem rechten Bein auf und ab, bis Siloh, die neben mir auf der Bank saß, mich böse ansah, weil die gesamte Holzbank wackelte. Ich lehnte mich zurück gegen die kalte Betonwand und blickte nach oben an die genauso kalte Decke. Obwohl sich 24 Leute in diesem kleinen Raum aufhielten, hätte man eine Stecknadel fallen hören können. Keiner wollte einen Laut von sich geben. Was nicht bedeutete, dass die Karrieros keine Blicke austauschten. Ständig huschte ein gewinnendes Grinsen von der einen zur anderen Seite des Raumes und gab den restlichen Tributen das Gefühl, sich auch gleich umbringen zu können. ,,Lucretius Allerdyce.", durchschnitt eine mechanische Frauenstimme durch eine Lautsprecheransage die Stille. Einer der bulligen Schränke aus Distrikt 1 stand auf und lief auf den Ausgang zu, in dem zwei Avoxe standen und uns bewachten. Bevor er verschwand drehte er sich noch einmal zu den anderen Karrieros um. Er machte eine selbstsichere Pose und seine Verbündeten jubelten ihm zu. Mit einem der Avoxe verließ er den Raum und die Jubelrufe verstummten wieder. Ich lehnte meinen Kopf wieder gegen die Steinwand und schloss für einen kurzen Moment die Augen. Der Albtraum hatte mir die letzte Nacht nicht sonderlich erholsam gemacht. Jemand näherte sich. Der Avox war zurück gekommen. Als seine Schritte verklungen waren, hörte man nur noch das leise elektronische Surren der Neonröhre und das Zähneknirschen eines Tributes. Ich hatte erwartet, dass unser Raum oder das Trainingscenter schalldicht sind, doch dies war nicht der Fall. Während ich die Augen geschlossen hatte und das Bild von Morteviehs Gesicht auf Nicole Abervilles Kopf immer wieder durch meine Gedanken flatterte, konnten wir deutlich die Geräusche aus dem Trainingscenter wahrnehmen. Metall auf Schaumstoff, Metall auf Gummi, Metall auf Metall. Ab und zu ein leises Stöhnen von Lucretius. Ich zählte mit, wie viele Minuten er dort drin war und wir quasi Zeit hatten. Zum Schluss kam ich auf etwa viereinhalb Minuten, in denen es mir möglich sein sollte, die Sponsoren von mir zu überzeugen. Er verließ das Trainingscenter wieder durch eine andere Tür und der nächste Name wurde aufgerufen. So ging das gefühlt ewig. Ein Tribut wurde aufgerufen. Kampfgeräusche der Karrieros. Der nächste Tribut wurde aufgerufen. Bei Dem war es nicht viel anders. Auch er machte etwas mit einem Schwert, was allerdings nicht allzu verwunderlich war. Bug hingegen war der erste Tribut, der scheinbar nicht kämpfte, sondern etwas lautloseres vorführte. Das Taubenmädchen wurde aufgerufen. Ihr richtiger Name war eigentlich Dory, doch für mich war sie weiterhin das Taubenmädchen. Weitere Minuten vergingen. Ich zog meine Beine auf die Holzbank hoch und legte meinen Kopf auf ihnen ab. Ich blickte Richtung Siloh, die mal wieder alles andere als nervös wirkte und ihre Fingernägel betrachtete. Ginger saß gegenüber der Tür und schien sich auf die Sponsorenbewertung alles andere als zu freuen. Ein Tribut nach dem anderen wurde aufgerufen und verließ angestrahlt von fahlem Neonlicht den Raum. Ich wurde mit jedem Tribut nervöser. Noch 6 Leute vor mir. Noch fünf Leute vor mir. Noch vier. Noch drei. Dann nur noch zwei. Die Zeit, die mir erst so endlos erschienen war, rann mir jetzt durch die Finger. Vor einer Stunde war ich noch gespannt und sogar ein wenig vorfreudig gewesen, doch jetzt, wo mir noch knapp 10 Minuten blieben, hatte ich etwas Angst bekommen. Was wenn die Zeit nicht reichte? Wenn sie gar nicht verstanden, was ich machte? Wenn es nicht klappte? Ich stünde da, wie eine Versagerin. ,,Nur nicht verrückt machen!", schärfte ich mir selbst mit einem dicken Kloß im Hals ein, während das zweite Mädchen aus Distrikt 6 aufgerufen wurde. Ihre Schritte verhallten im Trainingscenter und es wurde wieder totenstill. Das war die reinste Folter hier. Weitere Minuten verstrichen. Plötzlich hörte man Applaus aus dem Nebenraum. War das schüchterne kleine Ding aus Distrikt 6 tatsächlich so gut gewesen, dass es einen Applaus verdient hatte? War sie wirklich besser als die Karrieros gewesen? Sie war zwar etwa so alt wie ich, doch wirkte sie so zerbrechlich und schmal, als wäre sie aus Porzellan. ,,Siloh Preskord.", unterbrach mich die elektrische Ansage. ,,Dann wollen wir mal.", flüsterte mir Siloh zu und stand auf. ,,Viel Glück!", flüsterte ich in die Stille zurück, aber Siloh antwortete ohne mit der Wimper zu zucken:,,Das hab ich eh nicht." Sie hatte wohl Recht. Ich setzte mich aufrecht hin und drückte ihr die Daumen. Mein Rücken tat inzwischen vom Anlehnen an die eiskalte Betonwand weh. Aus dem Trainingscenter waren kaum Geräusche zu hören, doch ich vermutete, dass sie etwas mit dem Messer vorführte, da sie tatsächlich relativ gut war. Und dann hörte man, wie sie das Trainingscenter verließ, die Tür hinter ihr geschlossen wurde und es in der Lautsprecheranlage klickte. Mechanisch sagte die Frauenstimme:,,Mable Leanbesk." Ich stand mit schlotternden Knien auf. Während ich den Raum verließ, spürte ich die müden Blicke der anderen Tribute in meinem Rücken. Dann fiel mir ein leises Klacken an meinem Handgelenk auf, das ich vorher nicht bemerkt hatte: Valentines und Timothys Armband für mich. Ich dachte kurz an Zuhause, beschloss dann, die Sponsoren von den Socken zu hauen, und betrat dann gemeinsam mit einem Avox das Trainingscenter.

Ich hätte erwartet, dass mich die Sponsoren alle genau betrachten, doch es schien sie gar nicht zu kümmern, dass ich überhaupt da war. Eine Uhr, die am Ende des Raumes aufgestellt wurde, begann zu laufen und zählte damit meine viereinhalb Minuten herunter. ,,Keine Zeit für Überlegungen.", schoss es mir durch den Kopf, während ich mir ein Messer schnappte und ans Ende der Halle zu dem Glaskasten mit den Beeren sprintete. Die Sponsoren waren ein wenig erstaunt, dass ich mit dem Messer zu einer dieser langweiligen Stationen lief, zumindest glaubte ich das, denn auf einmal wurden sie leiser. Ich holte aus und schlug mit dem Griff zweimal kräftig gegen die Glasscheibe. Es machte einen hässlichen lauten Ton, der auch die letzten tratschenden Sponsoren verstummen ließ. Schnell griff ich in das Glas, um die schon etwas älteren Nachtriegelbeeren aus dem Kasten zu holen. Als ich zurück zu der Verbandsstation lief, fiel mir auf, wie einer der Avoxe mich erst wegen dem Glaskasten aufhalten wollte, aber der Spielmacher Plinius Eisenberg ihn mit einer Handbewegung stoppte. Ich hatte sein Interesse geweckt. Berauscht von dieser unerwarteten Aufmerksamkeit, setzte ich mich an die Verbandsstation und suchte die Verbände. Einer der Tribute vor mir hatte wohl etwas mit ihnen gemacht, denn von den ursprünglichen zwanzig Stück waren nur noch sieben da. Egal, das reichte mir. In einer Schale zermatschte ich mit einem Stein vom Boden vorsichtig die Beeren, was eine kräftige lila-rote Farbe ergab. Sie wäre ideal gewesen zum Kleider einfärben. Ich sprang wieder auf, um mit einem weiteren lauten Krachen den zweiten Glaskasten einzuschlagen. Ein Griff ins Glas, ein prüfender Blick auf die Kräuter, zurück zu den Beeren. Mit einer zweiten Schale und einem zweiten Stein mahlte ich die Kräuter und mischte sie dann unter die rötliche Pampe. Ein kurzer Blick zur Uhr verriet mir, dass ich noch gut zwei Minuten hatte. Mehr als gedacht. Das Blut rauschte mir in den Ohren und mein Hals schmeckte nach Metall wegen der ganzen Rennerei, doch jetzt kam erst der wichtige Part. Ich holte mir einige Messer, tränkte die Tücher in der Kräuter-Beeren-Mischung und befestigte sie mit etwas Schnur, die bei der Angelstation herumgelegen hatte. Im Prinzip war ich nun fertig. Allerdings hatte ich noch 30 Sekunden, welche ich auf keinen Fall verschwenden wollte. Mit den Messern lief ich zu der Speerwerfstation, die anzeigt, ob ein Wurf tödlich endet oder nicht und stellte mich breitbeinig einige Meter entfernt vor die Zielscheibe. Noch 25 Sekunden. Das waren mit viel Glück drei Messer. Ich holte aus und warf. Das erste Messer landete im Oberarm. Allein als Treffer nicht tödlich, doch mit meinem Gift zu 100% Tödlich. 15 Sekunden. Zwei Messer. Ich verfestigte meinen Stand, holte aus, Fuß. Ohne Kräuter-Beeren-Mischung höchstens ein wenig schmerzhaft. Mit meinem Gift ebenfalls tödlich. Ich jubelte jetzt schon innerlich. Der letzte Wurf. Von ihm hing ab, wie mich die Sponsoren in Erinnerung behalten würden. Und ob sie eventuell spenden würden. Von diesem Wurf hing mein Leben ab. 7 Sekunden. Ein Messer. Die arroganten Blicke der Sponsoren auf mir. Ich blickte auf mein Armbad. Lächelte. 5 Sekunden. Ich verfestigte meinen Stand, kniff die Augen zusammen. 4 Sekunden. Atmete ein, atmete aus. Drehte das Messer in meiner Hand, bis es passte. 3 Sekunden. Zielte auf den Kopf. 2 Sekunden. Holte aus dem Oberarm Schwung. 1 Sekunde. Warf. 

Survival of the fittest- A Hunger Games StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt