Kapitel 11

52 4 0
                                    

Der Morgen meines dritten Tages im Kapitol war ein sehr heißer Morgen. Ich hatte in der Nacht das Fenster offen gelassen und war nun durch die drückende Hitze, die in meinem Zimmer herrschte, geweckt worden. Ich schloss das Fenster, das auf einen normalerweise belebten Platz im Kapitol zeigte, und blickte verschlafen zu der Uhr. ,,Sechs Uhr Siebzehn.... Na super....", murmelte ich und ließ mich wieder rückwärts auf das sonnenbestrahlte Bett fallen. Ich hatte noch zwei Stunden bis zum Frühstück, allerdings war ich durch das Licht und die Hitze schon so wach, dass ich nicht mehr einschlafen konnte. Nachdem ich eh nichts besseres zu tun hatte, beschloss ich, mich fertig zu machen und schon mal in das Trainingscenter zu gehen. Zu dieser Tageszeit war es bestimmt noch sehr leer und ich konnte ungestört üben. Doch als ich um viertel vor sieben am Trainingscenter ankam, fiel mir ein, dass um diese Uhrzeit natürlich auch keine Trainer oder Sponsoren da waren, weswegen die Halle wohl auch verschlossen sein musste. Ich wollte wieder zurück laufen, aber als ich auf den Aufzug wartete, kam mir Dem entgegen. ,,Das Trainingscenter hat zu.", rief ich ihm entgegen. Er lief ohne etwas zu sagen an mir vorbei und drückte die Türklinke der Hallentür herunter. ,,Du kannst mir ruhig glauben!", sagte ich irritiert und lief zu ihm. Er drückte die Klinke noch zweimal jeweils im Abstand von fünf Sekunden und zog dann trotz der fetten ,,Drücken"-Aufschrift an ihr. Er hatte wohl gemerkt, dass das falsch war, und drückte jetzt an der Tür. Und obwohl sie hätte verschlossen sein müssen, drückte er sie einfach auf. ,,Sicher, dass es zu hat?", fragte er mich spöttisch und schloss die Tür hinter uns beiden. ,,Wie hast du das gemacht? Als ich gedrückt habe, war die Tür zu!" Er antwortete mit einem Augenzwinkern:,,Magie!" Ich schubste ihn freundschaftlich gegen eine Kletterwand und so antwortete er, sich den Arm reibend:,,Bei vielen Türen im Kapitol ist Technik aus Distrikt 3 verwendet. Dieser Mechanismus soll wohl mal für einen Notfall oder so hilfreich sein. Naja, jetzt hilft er uns beim Einbrechen in verschlossene Räume!" Ich staunte und beneidete Dem ein wenig dafür, dass er so etwas wusste, während ich nur Stoffe weben und Kleider nähen konnte. Dem lief zu der Schwertkampfstation. Das war mir nur recht, denn Schwertkampf konnte absolut nicht! Also betrat ich den Raum mit den Messern und Zielscheiben, der wie die Speerwurfanlage und Bogenschießstation vom Rest des Trainigscenters abgegrenzt war. Vor etwa 30 Jahren hatte ein Tribut mal bei einer Bogenschießübung zu früh losgelassen und dabei einen anderen Tribut aus Distrikt 8 am Bein gestreift. Der hatte natürlich sofort medizinische Versorgung bekommen, allerdings war er in der Arena immer noch gehumpelt, sodass er gleich am Anfang gestorben war. Jedes Kind in Distrikt 8 kannte die Geschichte, da der Tribut der Sohn des Bürgermeisters gewesen war. Das Kapitol hatte versucht, den Vorfall zu vertuschen und es als einen Unfall darzustellen. Jedoch war bis heute nicht ganz geklärt, ob es tatsächlich ein Unfall gewesen ist oder ob der Tribut absichtlich auf den Jungen aus Distrikt 8 schoss, um ihn auszuschalten. Ich hatte die früheren Hungerspiele gesehen und die Geschichten von anderen Hungerspielen gehört und es war mir immer sehr grausam vorgekommen, doch dieses Jahr war etwas anders. Siloh war meine Freundin geworden, Dem war immerhin nett zu mir und auch sein Bruder Bug und Ginger schienen sich gut zu verstehen. Und das obwohl wir eigentlich Konkurrenten waren und keiner leben konnte, während der andere lebte. Entweder spielten sie alle ein hinterlistiges Spiel, in dem sie sich Verbündete suchten und sie dann in der Arena im Schlaf umbrachten oder das Kapitol hatte dieses Jahr zu seinem Pech lauter Tribute erwischt, die sich nicht so einfach seinem System unterordnen wollten und lieber nach ihren eigenen Regeln spielten. Ich wusste nicht, zu welchen Kategorien Siloh, Dem, Bug und Ginger gehörten, aber ich gehörte definitiv zur zweiten Kategorie. ,,SCHEISSE!", hörte ich Dem laut fluchen. ,,Ist was passiert?", rief ich und joggte aus dem abgegrenzten Bereich zum Messerwerfen heraus zur Station mit den Macheten, an der Dem nun stand. ,,Ja, nee, ich hab nur gerade die Machete aus der Trainingspuppe herausziehen wollen und dann ist sie irgendwie gegen meinen Arm geflogen. Passt schon!", antwortete er, jedoch zog sich ein langer Kratzer über seinen gesamten linken Unterarm, der an einigen Stellen blutete. ,,Sieht aber nicht gerade nach >Passt schon< aus. Du musst wenigstens ne Salbe oder so drauf tun!", riet ich ihm. Er griff nach der Machete, die am Boden lag und blickte mich spöttisch an: ,,Und wo willst du jetzt Salbe herbekommen? Wie willst du erklären, dass wir um 7 Uhr morgens ins Trainingscenter eingebrochen sind? Und was willst du sagen, wenn man uns fragt, was passiert ist?" ,,Aber du kannst das doch nicht einfach so lassen! Das wird sich entzünden!" ,,Lass das mal meine Sorge sein. Mit rechts kann ich immer noch trainieren. Und sollte ich deswegen sterben, hast du in der Arena immerhin einen weniger, den du umbringen musst, um zu überleben." Er drehte sich von mir weg und rammte der Puppe die Machete nacheinander in den Hals, in die Seite und in den Bauch.

Als die Halle um acht Uhr für alle Tribute geöffnet wurde, kamen die ersten Betreuer und Sponsoren und verteilten sich in der Halle. Ich fluchte innerlich. Dass sie Sponsoren später kämen und uns sehen würden, hatten wir dummerweise nicht bedacht. Wenn sie wussten, dass wir eingebrochen waren, würde zwar alle Aufmerksamkeit auf uns gerichtet sein, allerdings würde das wahrscheinlich nicht gerade gut auf die Sponsoren wirken, sich dem Kapitol zu widersetzen und einfach ins Trainingscenter einzubrechen. Da ich aber glücklicherweise gerade an einer Kletterwand weit hinten hing, konnten sie mich vom Eingang aus nicht sehen. Doch Dem, der ziemlich genau in der Mitte stand und immer noch Puppen mit der Machete bearbeitete, war genau in ihrem Blickfeld. ,,Was tust du da?!", rief der Trainer der Schwertstation und rannte Richtung Dem. Er blickte hinter sich und schlug dann weiter auf das Mannequin ein. Erst als der Betreuer direkt vor ihm stand stoppte er und antwortete:,,Ich übe mit der Machete, das sieht man jawohl." Der hochgewachsene Mann ließ sich nicht beirren und fragte nochmal: ,,Wie bist du hier rein gekommen? Bist du alleine?" Ich hoffte, dass Dem mich irgendwie decken würde und hielt mich weiterhin unbemerkt an der Kletterwand fest. Auch wenn meine Arme langsam zu schmerzen begannen, durfte ich nicht los lassen und alle Konzentration auf mich ziehen. ,,Die Tür war offen.", antwortete Dem nur knapp, während ich versuchte, mich die Kletterwand hochzuziehen ohne viel Lärm zu machen. ,,Die Tür war nicht offen. Sie ist elektronisch verriegelt und wird jeden Abend automatisch abgeschlossen. Also wie bist du hier rein gekommen?", fragte der Trainer noch einmal. ,,Sie war offen.", beteuerte Dem weiter, sodass der Trainer schon verunsicherter wurde: ,,Und ist noch jemand durch die geöffnete Tür durch?" ,,Bitte Dem, bitte sag nichts über mich.", wisperte ich leise, doch Dem schien nicht dasselbe zu denken: ,,Mable Leanbesk aus Distrikt 8 hängt dort hinten an der Kletterwand. Was wollen Sie jetzt tun?!" Toll. Danke Dem. Jetzt sah ich auch noch wie das Mädchen aus, das sich versteckt hatte. Ich meine, das hatte ich zwar getan, war jetzt allerdings nicht meine heroischste Aktion gewesen. ,,Wir werden President Aberville darüber informieren, dass ihr unfair gehandelt und gegen die Regeln verstoßen habt. Wir werden ja sehen, wer hier der stärkere ist.", mit diesen Worten lief der Mann aus dem Trainingscenter, um Nycolle Aberville via irgendeiner elektronischen Vorrichtung über unsere schlimme Straftat zu informieren. ,,Hättest du mich nicht decken können?", flüsterte ich ihm zu, nachdem ich von der Kletterwand herunter geklettert war und nun neben ihm stand. ,,Glaub mir, wir werden keine schlimme Strafe erhalten. Mit was sollen sie uns auch bestrafen? Dem Tod sind wir eh schon geweiht. Und so intelligent, dass denen was besseres einfällt, sind sie jetzt auch nicht." Er hatte zwar nicht ganz unrecht, aber ob diese Rechnung aufgehen sollte, da war ich mir nicht so sicher. Geschichten von Leuten, die im Kapitol gequält und gefoltert worden waren, gab es ja genug. Aber sie würden doch nicht zwei ihrer kostbaren Tribute wegen so einem Kinderkram foltern? Würden sie doch nicht? 

Survival of the fittest- A Hunger Games StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt