Kapitel 4

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Im Speisewagen wartete Liah schon mit drei Friedenswächtern auf uns. Auf dem Tisch standen jede Menge Essen auf Platten. Liah lächelte uns überfreundlich an. ,,Gut seht ihr aus!", sagte sie, um die in der Tat sehr gedrückte Stimmung im Zug etwas anzuheben. Unnötig zu erwähnen, dass das absolut nicht funktionierte. ,,Kann man von dir ja nicht gerade behaupten...", murmelte Siloh leise und im Stillen musste ich ihr leider Recht geben. Sie hatte sich wohl schon wieder umgezogen, denn sie trug jetzt ein neonpinkes Kleid mit orangenen Rüschchen. Das Make-Up war zwar gleich geblieben, doch nun hatte sie blaue Haare, die sie in Korkenzieherlocken über ihre Schultern fallen ließ. Ich setze mich neben Siloh und griff nach einer Platte mit gebratenem Fleisch. Irgendwann, während sich das Gespräch um das Wetter in Distrikt 7, durch den wir gerade fuhren, drehte, klinkte ich mich ebenso wie Siloh aus und ging in Gedanken noch einmal alle anderen Tribute durch. Von allen Tributen würde ich mich mit genau vieren verbünden wollen. Mit Siloh, weil sie gut rennen und klettern konnte und außerdem nicht wirklich wirkte, als würde sie mich umbringen, dann mit Ginger aus 10, weil sie mir leid tat und ich nicht wollte, dass sie sofort am Füllhorn sterben würde. Außerdem sind 12-jährige eher ungefährlich. Und mit den beiden aus 3.  Mit dem jungen aus den selben Gründen wie bei Ginger und mit dem Älteren, weil er so wirkte, als könnte er jemanden mit einen Schlag unschädlich machen. Allerdings musste sich bei ihm noch herausstellen, ob er mich im Schlaf umbringen würde. Als wir das Essen beendet hatten, rauschte der Zug gerade an den Fabriken für Hovercrafts von Distrikt 6 vorbei. Ich hielt es für sinnlos, noch länger im Aufenthaltsraum zu bleiben und ging in mein Abteil. Wach sein konnte ich auch in der Arena, doch Schlaf würde eine echte Mangelware werden. Ich zog ein einfaches weißes Baumwollhemd an und zog die grüne Jacke wieder drüber. Ich legte mich auf das weiche Bett und obwohl ich unendlich müde war, konnte ich nicht einschlafen. Ich stand auf und lief zu Siloh herüber, die ebenfalls noch wach war. ,,Siloh?" ,,Hm?" ,,Darf ich reinkommen?" Man hörte eine kurzes Geräusch, dann öffnete Siloh die Tür. Vor mir stand der Widerspruch in sich. Sie trug ein edles schneeweißes Nachthemd mit Rüschen und kleinen durchscheinenden Einsetzern auf Kniehöhe. An sich hätte das Nachthemd wohl sehr vornehm gewirkt, doch zusammen mit ihren Haaren mit der Strähne und ihrem spöttischen Blick, den sie mir zuwarf, wirkte es einfach nur sehr verwirrend.
Sie lief zurück in ihr Zimmer und setzte sich auf die Kommode. Ihr Zimmer war genauso aufgebaut wie meines. Nur spiegelverkehrt. Ich schloss die Tür hinter mir und nachdem ich erst unschlüssig im Raum herumstand, setzte ich mich ihr gegenüber auf das Bett. ,,Was brauchst du?", fragte sie mich und zog ihre Brauen hoch. Ich beschloss nicht lange um den heißen Brei herum zu reden. ,,Hast du dir schon mal Gedanken um Verbündete gemacht?" ,,Klar!", sie nickte, ,,Ich bin  zwar mehr so der Einzelgänger-Typ, aber in der Arena sind Verbündete bis zu einem bestimmten Punkt immer gut." ,,Hast du dir schon überlegt wen?", fragte ich hoffend, dass sie meine Ansichten teilen würde. ,, Den Älteren aus 3, der ist mir ganz sympathisch. Und wenn ich den will, komm ich an dem Jüngeren wohl nicht vorbei.", antwortete sie und sprang auf, um etwas in der mittleren Schublade zu suchen. ,,Genau mein Gedanke! Die kleine aus 10 hätte ich auch noch genommen. Als Zwölfjährige ist sie eher ungefährlich, aber kann uns auch mit essen versorgen. - Was suchst du?" Siloh kümmerte sich nun nicht mehr darum, ob die Sachen in der Schubladen ordentlich zusammen gefaltet waren und warf alle Klamotten, die sie nicht suchte, aus der Schubladen auf den Boden. ,,Ne Jacke. Jetzt wo du eine anhast, ist mir aufgefallen, dass mir auch ganz schön kalt ist.- Aber je mehr Leute du hast, desto mehr musst du auch füttern." Sie hatte die Schublade inzwischen komplett geleert, ohne gefunden zu haben, was sie wollte. Also setzte sie sich auf den Boden des Abteils und wühlte in dem Haufen Wäsche nach einer Jacke. ,,Hast Recht. Ich würde mich trotzdem mit ihr verbünden.", antwortete ich und kniete mich ebenfalls auf den Boden und suchte in dem Wäschehaufen nach einer Jacke. ,,Ist ja eh egal, ob wir vier oder fünf sind. Vielleicht wollen die beiden Jungs aus 3 sich auch gar nicht mit uns verbünden." ,,Vier oder Fünf?", fragte ich unsicher, ob ich mitgerechnet war oder nicht. ,,Ja klar! Die beiden aus 3, die Kleine aus 10, du und ich!", sagte sie schlicht und warf einen Haufen Wäsche beiseite. ,,Okay gut. Dann sind wir ab jetzt Verbündete.", ich lächelte und stand auf. Siloh stand auch auf und kickte einen Haufen Wäsche beiseite. Sie zuckte mit den Achseln:,,Irgendwie ist da keine Jacke dabei. Naah... Scheißegal. Ich erfrier schon nicht." ,,Willst du das nicht aufräumen?", fragte ich und zeigte auf die Wäsche, die über den gesamten Boden verteilt war. Siloh zuckte nur wieder mit den Schultern. ,,Warum denn? Vielleicht bin ich in ner Woche tot." Da hatte sie verdammt recht. Ich öffnete die Tür und lief auf den Gang, auf dem ein Friedenswächter patrouillierte und darauf achtete, dass wir nicht abhauten. ,,Mable!", rief Siloh mir nach. ,,May.", korrigierte ich automatisch. ,,May.", sie umarmte mich, ,,Auch wenn wir jetzt Verbündete sind, denk dran: Es kommt maximal einer von uns da lebend wieder raus." Mit einem fetten Kloß im Hals nickte ich stumm, denn genau das war es, was mir in diesem Moment durch den Kopf gegangen war.

Survival of the fittest- A Hunger Games StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt