Kapitel 26

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Augenblicklich zückte ich mit meiner freien Hand nach dem Messer in meiner Jackentasche und drehte mich um. Ich hatte erwartet einen grinsenden und blutverschmierten Lucretius vor mir stehen zu sehen, aber er war nicht hier. Aus dem ersten Keller hörte ich ein leises Wimmern, gefolgt von einem Flüstern:,,Bitte nicht..." Lucretius lachte höhnisch auf und im beinahe selben Moment gellte ein markerschütternder Schrei durch das gesamte Haus. Ich hörte einen Körper laut auf dem staubigen Boden aufschlagen. Ein weiterer Schrei. Zwei Sekunden später folgte der Kanonenschuss. Ich stand da, unfähig mich zu rühren. Ich hörte Lucretius über mir den toten Körper umdrehen und nach Brauchbarem durchsuchen. Er fluchte, als er kein Wasser fand und trat dem leblosen Körper wütend in die Seite. Wessen toter Körper lag dort über mir? Es hätte gut meiner sein können, wäre ich zwei Minuten später nach unten gegangen. Nachdem der Karriero von der Leiche abgelassen hatte, fiel auch ihm das Geräusch auf, das aus dem Keller kam. Aus dem Keller, in dem ICH mich befand. Panisch begann ich, mich nach Fluchtmöglichkeiten umzusehen, aber der einzige Weg aus dem Keller, war derselbe, über den man ihn betrat. Der Raum war gerade groß genug für eine Person und den Wasserkessel in der Ecke, sodass es an Verstecken eher mangelte. Lucretius' unheilverkündende Schritte näherten sich der Treppe. Hektisch drehte ich mich im Kreis, bis ich einen kleinen Spalt zwischen der Wand und dem Wassertank entdeckte. Ich versuchte, mich hindurch zu quetschen, während Lucretius den ersten Absatz der Treppe erreicht hatte. Ich war erst zur Hälfte hinter dem Tank verschwunden, als Lucretius schwungvoll die Tür beiseite stieß und den Raum betrat. Durch die Dunkelheit konnte er zunächst nichts erkennen, was mir wertvolle Sekunden verschaffte. Ich kauerte nun komplett hinter dem Tank und versuchte, möglichst leise zu atmen. Die kalte Wand drückte gegen meinen Rücken und mein Knie war halb verdreht. Wenn ich mich aber nun bewegte, war es vorbei. Dann hätte Tanning mir am Füllhorn umsonst das Leben gerettet. Lucretius tastete in seiner Tasche nach etwas. Wenige Sekunden später hatte er, wonach er gesucht hatte und ein heller Lichtkegel fiel auf die Wand gegenüber von mir. Ich war nicht sonderlich gut versteckt, wenn er mit der Taschenlampe auf mich leuchten sollte, würde er mich garantiert sehen. Ich versuchte, mich lautlos klein zu machen und zog meinen Kopf näher zu meinen Knien. Der Lichtstrahl flog in die Ecken des Raumes, auf der Suche nach der Quelle des Geräusches. Ich schloss die Augen, als der Lichtstrahl auf den Tank fiel. Ich hörte Lucretius' leises Atmen, während ich die Luft anhielt. Der Lichtkegel ruhte einige Sekunden auf dem Tank, bevor Lucretius sich weg drehte. Er hatte mich nicht entdeckt. Erleichtert atmete ich auf. Er wusste nicht, dass ich hier war. Er lachte dreckig, als er das Wasser entdeckte und füllte eine Flasche an dem kühlen Strom auf. Das Wasser plätscherte in die metallene Flasche und gab einen immer höheren Ton von sich, je voller sie war. Kurz danach verließ er mit hallenden Schritten den Raum und ließ mich mit bis zum Hals klopfenden Herzen zurück. Ich verharrte noch eine Stunde -so schien es mir- in der Hocke hinter dem Tank, bevor ich es wagte, langsam aufzustehen und mich lautlos durch den engen Spalt zwischen der Wand und dem Metallzylinder zu quetschen. Meine Beine waren verkrampft und mein Fuß kribbelte, wie wenn er einschlafen würde. Ich stolperte aus dem Kellerraum die Treppe hoch in den zweiten Keller, wo mich eine Leiche erwartete. Wieder kehrte die Übelkeit zurück und ich musste mich zusammenreißen, mich beim Anblick des blutüberströmten Körpers, dessen Gesicht zwischen staubigen Mauerstücken lag, nicht zu übergeben. Getrocknetes Blut klebte an den Mundwinkeln des toten Tributes, während sich weiterhin eine Blutlache um dem Mund bildete. Ein Arm stand unnatürlich vom Körper weg, als hätte Lucretius dem Tribut den Arm gebrochen, bevor er ihn umgebracht hatte. Ich stützte mich keuchend auf meinen Knien auf, als mir beinahe schwarz vor Augen wurde. Keuchend testete ich mich vorwärts, um dem Tribut seine Waffen zu entnehmen. Lucretius hatte sein Schwert wieder mit genommen, sodass die frischen Einstichstellen in der Haut frei sichtbar waren. Der metallische Geruch nach warmen Blut hing in der Luft, als ich mich vorsichtig näherte und neben dem Tribut in den Dreck kniete. Meine Hand glitt in seine Jackentasche und zog ein mittelgroßes Messer und drei zerbröselte Cracker heraus. Darauf bedachte, kein Blut zu berühren, beugte ich mich über den toten Körper und griff in die andere Jackentasche, welche jedoch leer war. Ich leckte die Krümel von meinen Finger und steckte das Messer in meine Jackentasche. Mir wurde leicht schwindelig, als ich aufstand und zurück zu meinem Lager laufen wollte. Mit zittrigen Knien wankte ich zurück zur Treppe, als ich mich umdrehte und plötzlich realisierte, wer der tote Tribut dort auf dem Boden war. Tanning.

Ein stechender Schmerz durchfuhr mich und ich atmete hektisch. Meine Augen brannten und ich konnte es nicht verhindern, wie einige Tränen über meine Wangen zu Boden kullerten. Er hatte mir das Leben gerettet und ich hatte es nicht mal geschafft, seinen Mörder umzubringen. Ich hätte es tun können, hinter der Tür warten und Lucretius das Messer in den Bauch rammen. Ich starrte Tannings toten Körper an. Blut floß aus seinem halboffenen Mund und seine Augen waren vor Schreck geweitet. Sie schienen, auf einen fernen Punkt hinter der Wand zu starren, den einzig er sehen konnte. Darauf bedacht, nicht umzukippen, lief ich auf den toten Körper zu. Mit zitternden Händen schloß ich seine blaue Jacke, damit seine Wunde nicht offen lag. Ich riss ein Stück seines T-Shirts ab, feuchtete es an und tupfte ihm damit vorsichtig das Blut von den Mundwinkeln. Zuletzt kniete ich mich neben ihn und schloss sanft seine Augen, bevor ich aufstand, um den Raum zu verlassen. Ich erkannte kaum noch etwas, als ich zu der Treppe stolperte. Als ich angekommen war, drehte ich mich noch einmal zu dem toten Körper um. ,,Machs gut Tanning.", flüsterte ich in die drückende Stille, ,,Danke, dass du mir das Leben gerettet hast." Ich warf einen letzten Blick auf den toten Körper, den letzten, den ich jemals von ihm sehen sollte. Schwer atmend schleppte ich mich die Treppe zu meinem Lager hoch, wo ein toter Vogel drauf wartete, gerupft und gebraten zu werden. Ich kniete mich hin und übergab mich.


Survival of the fittest- A Hunger Games StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt