Kapitel 23

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Den Blick starr an die Wand geheftet, wartete ich darauf, dass Fia mir meine Haare zu zwei kurzen Zöpfen flocht und Neemo mir meine Nägel manikürte. Fia hatte mir meine Haare zwar noch einmal komplett neu zu einem wilden Bob geschnitten, aber dennoch traf sie regelmäßig auf einzelne Strähnen, die kurz für die Zöpfe waren und welche sie unter verächtlichem Schnauben an meiner Kopfhaut festklemmte. Als sie sich umgedreht und meine neue kurze Frisur entdeckt hatte, war sie für einen kurzen Augenblick in eine Schockstarre gefallen und hatte dann angefangen, zu hyperventilieren. Während sie sich auf meiner Liege beruhigen musste, hatte Neemo durchgehend den Kopf geschüttelt und Cilia die ganze Zeit wiederholt:,,Kind, Kind, Kind, ich wusste dass es soweit kommt. Ich wusste es!" Schließlich hatte Fia selber mich auch noch einmal geschimpft, dass sie sich so eine tolle Frisur überlegt hätte und sie das durch meine kurzen Haare alles nochmal über den Haufen werfen musste. Letztendlich hatte sie zu der Schere gegriffen und mir fein säuberlich die Haare geschnitten, die nun um mich herum auf dem Boden verstreut lagen. Neemo lackierte meine Nägel nur in einem kräftigen Dunkelrot, sodass wir die Zeit, die bei Fias Drama draufgegangen war, wieder aufholten. Fia drehte mich in dem Sessel, in dem ich gerade saß, zum Spiegel und fügte meinem Spiegelbild schnippisch hinzu:,,Die Frisur, die ich eigentlich für dich hatte, hätte viel besser ausgesehen!" ,,ES SIND NUR HAARE!", herrschte ich sie an, woraufhin sie sich erschrocken an die Brust fasste und mich entgeistert anstarrte. Sie wollte irgendetwas stammeln, doch ihr fehlten die Worte, sodass sie nur da stand und mich mit geöffnetem Mund anblickte, während Cilia mir harsch bedeutete, den Raum jetzt zu verlassen und in das nächste Zimmer zu gehen. Missmutig erhob ich mich von dem Hocker und stapfte in den anliegenden Raum. Während Cilia die Tür hinter mir schloß, hörte ich noch wie Neemo Fia beschwichtigte:,,Sie stirbt ja bald!" Wütend ballte ich meine Hand zu einer Faust. Ich würde es diesen aufgeblasenen Hornochsen noch zeigen! ,,Oh, du bist schon da!", begrüßte mich mein Stylist, nachdem ich den gefliesten Raum betreten hatte. Fillodo stand in der Tür zu einem weiteren Zimmer, in dem er wohl gerade noch etwas an meiner Kleidung genäht hatte, denn er trug ein schwarzes Nadelkissen um sein Handgelenk und hielt eine Fadenrolle in der Hand. ,,Ich dachte, du kommst erst später!" ,,Fia hat sich wegen meiner Haare aufgeregt!", antwortete ich achselzuckend, den Blick jedoch auf die lange gläserne Röhre einige Meter vor mir gerichtet. ,,Ach du darfst Fia doch nicht so aufregen, die Arme ist doch so sensibel!", seufzte der kleine dickliche Mann schwer und drehte sich wieder um, um weiter zu nähen. Ich hatte immer erwartet, dass die Kleidung für die Arena ebenfalls in Distrikt 8 genäht wurde, doch anscheinend täuschte ich mich. ,,Ich näh nur noch kurz diesen Saum ein. Du kannst schon mal in die Kabine dort gehen und dich ausziehen! Ich reich dir deine Kleidung dann einfach rein!" Mit diesen Worten wand sich Fillodo wieder der roten Jacke zu, die an der Wand hing. Unwillkürlich fragte ich mich, was für eine Arena die Spielmacher sich wohl ausgedacht hatten, wenn meine Jacke rot war. Welche Landschaft war denn von Natur aus rot? Höchstens Savanne oder Wüste, jedoch würde man dort tagsüber wohl keine Jacke benötigen. Die Kabine stand am Ende des Zimmers und war eigentlich nur ein Raumteiler, der in eine Ecke gestellt und mit einem Hocker versehen worden war. ,,Oh!", hörte ich meinen Stylisten überrascht murmeln und hörte dann seine Schritte, die sich in Richtung des Raumes mit dem Glaszylinder entfernten. Als ich das Zimmer betreten hatte, war mein Blick sofort auf die Schale mit Obst in der Mitte des Raumes gefallen. Wenn ich jetzt unbemerkt wenigstens einen oder zwei Äpfel erwischte, konnte mir das in der Arena einen großen Vorteil verschaffen. Ich schob die hölzerne Wand vorsichtig beiseite und quetschte mich langsam durch den Spalt zwischen der Wand und dem Raumteiler. Auf Zehenspitzen schlich ich zu der Schale, die mit Bananen, Äpfeln, Orangen, Trauben und allerlei weiterem Obst gefüllt war. Wozu die hier wohl stand? So viel Obst konnte ein Mensch doch gar nicht essen! Verwundert ließ ich zwei kleinere Äpfel und ein paar Trauben, die ich abgezupft hatte in die Tasche meiner grünen Jacke gleiten. Schließlich drehte ich die Traubenstaude um, damit sie nicht so abgezupft aussah, und arrangierte das übrige Obst neu, sodass die leeren Flecken, die durch das Wegnehmen der Äpfel entstanden waren, kaschiert wurden. Ich huschte über das kalte Linoleum zurück zu der Kabine, während Fillodo wohl das gefunden hatte, was er gesucht hatte, und nun zurückkehrte. Er nähte noch kurz noch etwas an der Jacke und reichte sie mir schließlich mit einer blauen Jeans und einem schwarzen Shirt in die Kabine. Die Äpfel und Trauben verteilte ich auf mehrere Taschen an der Jacke und hoffte einfach, dass Fillodo die Ausbeulungen, die das Obst bewirkte, nicht bemerkte. Zum Schluß stellte er mir gefütterte Stiefeletten aus braunem Leder mit einer festen Sohle hin, was mich stutzen ließ. Die leichte Jacke und die dehnbaren Jeans wiesen eher auf einen Wald oder eine Stadt hin, als auf einen Berg. Jedoch hoffte ich einfach, dass sich die Spielmacher etwas bei der Auswahl der Klamotten gedacht hatten und schnürte die Stiefel fest. Ich musste nicht auf die Uhr blicken, um zu wissen, dass es nun soweit war. Gleich begannen die Hungerspiele. Fillodo seufzte bedeutungsschwer und blickte mich traurig an. Auch, wenn ich ihn eigentlich nicht leiden konnte, tat mir der Abschied jetzt sehr leid. Er begleitete mich in den Raum mit dem Glaszylinder, wo er mir die Hand schüttelte. ,,Mach's gut, Mable.", seufzte er leise. ,,Du auch, Fillodo." Ich biss mir auf die Lippe. Es war definitiv kein schöner Gedanke, dass die Gesichter der Stylisten die letzten waren, die einige von uns vor dem Gesicht ihres Mörders sehen sollten. ,,Tribute, macht euch bereit. Noch dreißig Sekunden bis zum Start.", schallte die elektrisch erzeugte Frauenstimme aus einem metallenen Lautsprecher an der Wand. Ich atmete tief durch und lief langsam auf den Metallzylinder zu. Wie so oft, wenn ich mich unwohl fühlte, fasste ich aus Reflex an mein linkes Handgelenk. Das Armband baumelte dort wie eh und je und erinnerte mich daran, dass in den Distrikten für uns gekämpft wurde. Ich durfte nicht aufgeben. Bestimmt zog ich mich auf die Stufe in dem Glaszylinder, dessen Tür sich nun langsam schloss. ,,Noch zwanzig Sekunden." Der Zylinder setzte sich in Bewegung, während mich Fillodo ausdruckslos anstarrte. Das Sonnenlicht blendete mich, sodass ich zunächst nur verschwommene Umrisse erkannte. Ich musste mehrmals blinzeln, um die typischen 24 Plattformen zu erkennen, die um das Füllhorn verteilt in gleich großen Abständen angeordnet waren. Über das Füllhorn war ein großer orangener Würfel projiziert, auf dem die Sekunden bis zum Gong herunter gezählt wurden. Gerade waren es noch sechzehn. Die übrigen Tribute fuhren ebenfalls aus dem Boden heraus und versuchten sich zu orientieren. Wir standen auf einer Art Platz inmitten von halbeingestürzten Hochhäusern. Eine zerstörte Stadt. Seltsam. Zerstörte Städte hatte es schon häufiger gegeben und es schien nicht gerade angemessen für ein Jubel-Jubiläum. ,,Fünfzehn Sekunden!" Die Karrieros, die schon auf ihren Plattformen standen, stierten mordlustig auf das Füllhorn, welches sicherlich mit allerlei Waffen gefüllt war. Ich durfte nun nicht an die Karrieros denken, ich musste mich orientieren. Hinter mir verlief eine Art Hauptstraße, von der viele kleinere Wege abzweigten. Es gab insgesamt acht dieser Wege und mehrere kleinere. Ich entschied mich für einen kleineren, da mir dies vor den Karrieros am sichersten erschien.

,,Zehn Sekunden!" Okay, den kleinen Rucksack dort nehmen und dann in die enge Gasse.

,,Neun!" Wo war Siloh überhaupt?

,,Acht!" Tief durchatmen.

,,Sieben!" Du schaffst das, May.

,,Sechs!" In zehn Minuten ist die Hälfte tot.

,,Fünf!" Gleich ging es los.

,,Vier!" Jetzt gab es kein zurück mehr.

,,Drei!" Trockener Hals.

,,Zwei!" Herzklopfen.

,,Eins!" Mögen die Spiele beginnen. 

Survival of the fittest- A Hunger Games StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt