Kapitel 32

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Heftig zitternd starrte ich auf meine Hände, an denen Blut von mindestens drei verschiedenen Personen klebte und versuchte nicht ohnmächtig zu werden. Lucretius, dessen Brust sich bis gerade eben noch ruckartig gehoben und gesenkt hatte, lag bewegungslos am Boden und blickte mit glasigen Augen gen Himmel. Grüne Lichtblitze tanzten vor meinen Augen, sodass ich sie für einen kurzen Moment schloss. Als ich sie wieder öffnete, stand Siloh neben mir und hielt mir ihre Hand hin. Als ich sie aufgrund des Brennens meiner Hände nicht ergriff, packte sie mich kurzerhand unter den Schultern und zog mich grob hoch. Ich hing schlaff in ihrer Armen, sodass sie sich spontan umentschied und mich zu dem Brunnen schliff. Gegen meine Erwartungen, war er bis zur Hälfte etwa gefüllt mit einigermaßen klarem Wasser, das sanft aus seitlich angebrachten Düsen sprudelte. ,,Da hat wohl jemandem die Show gefallen.", lächelte Siloh und setzte mich am Brunnenrand ab. Sie legte meine rechte Schulter unter der zerfetzten Kleidung frei und träufelte mit ihren Händen etwas Wasser darauf. Ich zog scharf die Luft ein, als das eiskalte Wasser meine strapazierte Haut berührte. Siloh hob ihr Shirt hoch und riss mit ihren Zähnen den gesamten unteren Saum ab. Das Oberteil gab den Blick für einen kurzen Moment frei auf ihren hastig atmenden flachen Bauch, den einige Narben übersäten, bevor es zurück an seine Stelle fiel. Von dem langen Stück riss sie erneut ein Kleineres ab, dass erst in das Wasser tauchen wollte, dann aber zögerte. ,,Shit, hast du Jod dabei?" Ich hielt ihr meine blutenden Hände entgegen und blickte sie fragend an. ,,Klar doch!" Genervt atmete sie aus. ,,Ja gut, jetzt ist eh schon zu spät, das Wasser ist sowieso schon in deiner Wunde. Hast du nen gutes Immunsystem?" ,,Ich denke.", antwortete ich flach und schloss erneut die Augen, um nicht die ganze Zeit auf die zwei Leichen am Boden starren zu müssen. ,,Gut, dann hoffen wir jetzt auf das Beste.", begann sie optimistisch, bevor sie den kleinen Stofffetzen in das Wasser tunkte. Vorsichtig tupfte sie damit meine Schulter ab, während ich auf meine Lippe biss, um nicht los zu schreien. Sie wiederholte den Schritt auch noch mit meinen Händen und umwickelte diese jeweils mit einer Hälfte ihres T-Shirt-Saumes. Die Enden verband sie mit zwei festen Doppelknoten. ,,Das dürfte bis heute Abend reichen, da mach ich dann für heute Nacht ne Salbe drauf.", erklärte sie und trank einen Schluck Wasser aus dem Brunnen. Ich blickte sie entsetzt an. ,,Bei mir ist das schon zu spät, aber du hättest das nicht trinken müssen!" Siloh winkte schulterzuckend ab:,,Ich sterbe hier doch früher oder später sowieso." Ich schüttelte innerlich den Kopf über so viel Todesmut und tunkte meinen Kopf in das Becken, um auch etwas zu trinken. Das Wasser war kühl und obwohl es nicht komplett klar war, schmeckte es keineswegs nach Schmutz oder Erde, sondern eher einfach nur nach Metall und Rost. So, als ob das Wasser schon länger in den Metallrohren gelagert worden wäre. ,,Komm, wir lassen den beiden mal ihre Totenruhe.", meinte Siloh und stützte mich, während ich an den beiden toten Tributen vorbei humpelte.

,,Gott sei Dank, wir haben die Kanonenschüsse gehört, ich hab mir echt Sorgen gemacht!", rief Dem aus, als er uns erblickte. ,,Ach du Scheiße, was ist dir denn passiert?" Ich löste mich von Siloh und ließ mich neben Dem auf die Decke sinken. ,,Alles gut. Wirklich.", antwortete ich und griff nach einer Flasche Wasser. Nachdem ich ausgetrunken hatte und auch Siloh neben mir am Boden saß, beantwortete ich seine Frage. ,,Lucretius' Schwert. Er wollte Ginger umbringen. Ich wollte ihr helfen, aber- " Ich gerät ins Stocken, aber Dem verstand schon. ,,Und die zweite Kanone?" ,,Lucretius.", antwortete Siloh an meiner Stelle, während sie sich ein Messer schnappte und begann, damit eine der Konservendosen zu bearbeiten. Ungläubig blickte Dem uns an. ,,Lucretius? Der Schrank Lucretius?" Wir nickten. ,,Wer, wo, wie, womit? Hallo, antwortet doch mal!" ,,Ja, guck mich doch mal an, was denkst du denn? Tipp: Ich bin nicht irgendwo herunter gefallen!", schrie ich ihn an. Dem wich zurück und blickte mich böse an. ,,Tut mir leid, ich hab ja nur gefragt!" ,,Ja denk vielleicht mal vorher! Ganz offensichtlich haben wir gerade ein Trauma erlebt, wär also ganz nett, wenn du dich dafür einen Ticken sensibilisieren würdest, anstatt blöd zu fragen!", fauchte Siloh ihn an und stieß die Konservendose mit einem festen Ruck auf sodass die kalte Tomatensoße in alle Richtungen spritzte. Trübsinnig starrten wir alle vor uns hin, während Bug mit dem Kopf auf Dems Schoß schlief. Es dauerte nicht lange, da hörten wir das Flattern der Rotorblätter der Helikopter, die Lucretius und Ginger für ihre letzte Reise abholten. Nun war sie für immer weg. Siloh trank die kalte Tomatensuppe aus -wir trauten uns nicht, ein Feuer zu machen- und brach dann irgendwann das Schweigen. ,,Wie geht's ihm?" Dem zuckte mit den Schultern. ,,Was weiß ich, er schläft seit ihr weg wart, ich weiß auch nicht mehr als ihr." Siloh beugte sich nach vorne und legte ihre Hand auf Bugs Stirn. ,,Okay, eindeutig Fieber. May, reich mir mal die Wasserflasche!" Ich griff neben mich und hob vorsichtig die Metallflasche hoch. Sie war schon ziemlich leer, wir brauchten bald neues Wasser. ,,Ähm, kann vielleicht jemand was von seinem Shirt abreißen? Ich renn eh schon bauchfrei rum und hab nicht so Lust bald ganz nackt dazustehen, nur weil ihr ständig medizinische Versorgung braucht. ,,Klar sorry!", antworte Dem und rutschte langsam zur Seite, um den Saum seines grauen Oberteils abzureißen. Er reichte es Siloh, die das Oberteil mit Wasser übergoss, um es Bug auf die Stirn zu legen. ,,Meinst du das bringt was?", fragte ich vorsichtig, um sie ja nicht zu verletzen. ,,Als mein Bruder Fieber hatte, hat das auch geholfen!", entgegnete Siloh und trocknete ihre Hände an ihrer grünen Hose. ,,Aber Bug hat bestimmt nicht nur Fieber." ,,Sondern?", fragte Siloh vorwurfsvoll. ,,Schau doch mal!", erklärte ich, ,,Er ist zwar heiß und schläft viel, aber so richtig Symptome für ein normales Fieber sind das nicht. Er hat sich übergeben und kann kaum Trinken. Das ist mehr als ein harmloses Fieber." ,,Sag doch einfach, was er hat, wenn dus besser weißt!", maulte Siloh patzig und verschränkte ihre Arme. ,,Ich weiß es nicht besser, okay? Aber ich könnte mir gut vorstellen, dass Bug genau das hat, was die drei fehlenden Tribute während des Trainings auch hatten. Und erinnerst du dich noch, als wir was gespritzt bekommen haben, als wir durch Distrikt 3 gefahren sind, angeblich wegen einer Epidemie?" ,, Was für eine Epidemie? Es gibt keine Epidemie in Distrikt drei!", unterbrach mich Dem, ,,Aber wir haben tatsächlich auch was gespritzt bekommen, als wir durch Distrikt eins gefahren sind." ,,Und nur ihr, oder? Nicht eure Mentoren auch?", fragte ich ihn, um sicher zu gehen. ,,Ich hab da nicht so drauf geachtet, aber jetzt, wo dus sagst, ich glaub die haben wirklich nichts gespritzt bekommen." ,,Und der Aufspürer kanns nicht sein, den haben wir später gespritzt bekommen.", fügte ich hinzu. ,,Glaubst du etwa, dass das Kapitol Bug und die anderen drei absichtlich krank gemacht hat?", fragte Siloh unglaubwürdig. „Ich glaube nicht nur, ich weiß es." 

Survival of the fittest- A Hunger Games StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt