Kapitel 13

56 3 0
                                    

Ich suchte den Speisesaal nach Siloh ab, die bereits am anderen Ende des Raumes neben Bug saß und sich leise mit ihm unterhielt. Außer den beiden und den Karrieros unterhielt sich aber keiner. Alle starrten nur mal wieder vor sich hin und warteten bis Avoxe das Essen brachten. Als Siloh mich erblickte, winkte sie mir durch den Saal zu und bedeutete mir, mich auf den freien Platz neben ihr zu setzen. Ich schüttelte den Kopf und deutete auf Ginger, die alleine am Kopfende des riesigen Tisches saß und sich gerade Wasser einschenkte. Siloh verstand, nickte nur und wandte sich dann wieder Bug zu. Dem schien noch im Trainingscenter zu sein, jedenfalls saß er nicht bei Siloh und Bug und auch sonst konnte ich ihn zwischen den ganzen Jugendlichen nicht erkennen. Ich lief an den Tributen aus Distrikt 11 vorbei -der Junge mit den Rastalocken hatte seine Haare in einen dicken Pferdeschwanz gebunden, der ihm komisch vom Kopf abstand und mich sehr irritierte- und ließ mich auf den freien Stuhl neben Ginger plumpsen. ,,Ich darf doch...?", fragte ich, was Ginger dazu brachte, erschrocken aufzusehen. Sie nickte lächelnd und blickte dann nervös zu den Karrieros, die gerade über eines der Mädchen aus 6 lachten, das sich beim Trinken verschluckt hatte und nun ein wenig Wasser auf ihrem Shirt hatte. ,,Ginger, richtig?", versuchte ich, eine Konversation zu starten. Sie nickte und lächelte mich aus ihren glasigen Augen an, denen man ansah, dass sie bereits einige Tränen geweint hatten. ,,Ich bin Mable, aber nenn mich einfach May. Nur die Leute aus dem Kapitol sagen Mable zu mir. Die halten nichts von Spitznamen." Ginger lächelte wieder und zeigte fragend auf mein Glas. Ich hielt es ihr hin und sie schenkte auch mir Wasser ein. Sie schien nur kaum oder gar nicht zu sprechen, was es relativ schwer machte, unser Gespräch nicht einschlafen zu lassen. ,,Wo ist dein Mittribut?", wunderte ich mich und blickte mich um, um zu sehen, ob ich das Mädchen mit den langen rabenschwarzen Haaren irgendwo erblicken konnte. Ginger wollte wieder auf irgendwas zeigen, doch da kam sie gerade durch die Tür. Allerdings lief sie nicht wie erwartet zu Ginger und mir, sondern geradewegs auf die Karrieros zu und quetschte sich auf eine Bank zwischen einen der Schränke aus 1 und das Taubenmädchen. Diese machten ihr ohne Widerwillen Platz und nahmen sie sofort in ihr Gespräch über irgendwas auf. Sie hatten sie anscheinend in den Kreis der Karrieros aufgenommen, obwohl sie nicht wirklich wie eines der Mädchen wirke, das die Karrieros zu sich aufnahmen. Ich hätte mit vielen gerechnet, aber nicht mit ihr. Als ich fragend zu Ginger blickte, nickte sie, wie um zu sagen:,,Siehst du ja, die haben sie aufgenommen." ,,Also hast du noch keine Verbündeten?", schlussfolgerte ich. Ginger schüttelte den Kopf und zuckte dann mit den Schultern. Sie hatte Recht. Warum auch? Sie würde wahrscheinlich eh gleich beim Anfangsgemetzel sterben, also warum Verbündete suchen, die man am Ende sowieso nicht braucht? Ich wollte sie fragen, was sie den Sponsoren vorführen wollte, aber in dem Moment kamen drei Avoxe mit Tabletts voller Schüsseln mit Suppe herein und stellten sie in der Mitte des Tisches ab. Wir bedienten uns an der heißen Suppe und für einige Minuten war es fast totenstill in dem Saal. Ich hörte nur das leise Schlürfen und das Geschabe der Löffel in den Plastikschalen. Erst jetzt, als ich endlich etwas zu essen hatte, merkte ich, wie viel Hunger ich eigentlich gehabt hatte. Aber klar, ich hatte ja auch nicht gefrühstückt. Und das Training trug ja auch nicht grade dazu bei, dass man weniger Hunger hatte. Die heiße Suppe tat gut und ich war fast traurig, als ich die cremige Tomatensuppe aufgegessen hatte. Zuhause in Distrikt 8 hatte es nur einmal Tomaten gegeben und das war vor 9 Jahren gewesen, als Trisha die 114. Hungerspiele gewonnen hatte und Distrikt 8 ein ganzes Jahr lang mit gutem Essen versorgt gewesen war. Ich war gerade mal 6 gewesen, doch ich wusste immer noch genau, wie Mom glücklich gelacht und mir eine der fruchtigen roten Dinger in den Mund gesteckt hatte, als das Essenspaket angekommen war. Es war einer der glücklichsten Tage in meinem Leben gewesen, weil wir an diesem Abend ein richtiges Festmahl veranstaltet hatten. Die halbe Nachbarschaft kam vorbei und wir luden Freunde ein. Einer der Gäste hatte es sogar geschafft, einen Truthahn zu kaufen und Mom hatte ihn zubereitet. In meiner Erinnerung war es Timothys und Valentines Vater gewesen. Jetzt war ich mir aber nicht mehr so sicher, ob er ihn nicht einfach nur hereingebracht hatte, denn ich wusste, dass die Familie von Timothy und Valentine nicht sonderlich reich gewesen war. Wir Kinder waren herumgerannt, hatten Fangen und Verstecken unter dem Tisch gespielt. Und mein Vater hatte es mir zum ersten mal nicht verboten, auf das Dach zu klettern. So saßen wir zum Schluss alle Kinder auf dem Dach unseres Hauses und blickten in die Sterne, während in der Ferne das elektrische Surren des Elektrozaunes zu vernehmen war. Früher war mir das Dach unfassbar hoch vorgekommen, dabei waren es gerade mal 3 Meter. Da endete meine Erinnerung an diesen Abend, ich war wohl auf dem Dach eingeschlafen und mein Vater hatte mich heruntergetragen und in mein Bett gelegt. Der Gedanke an diesen glücklichen Abend stimmte mich unfassbar traurig und ich fasste unbewusst an mein linkes Handgelenk, an dem das Armband von Timothy und Valentine festgeknotet war. ,,Gott, May, wie albern. Das alles denkst du, wenn du eine Tomatensuppe isst?! Du hast sie doch nicht mehr alle. Sei doch einfach froh über das Essen.", rief ich mich selbst zur Vernunft, teils um nicht gleich loszuheulen, teils um mich wieder in die Realität zurück zu holen. Ich drückte dem Avoxmädchen meine leere Schale in die Hand und sie stellte mir sofort einen Teller mit Kartoffelpüree, Erbsen, Karotten und einem Stück Fleisch hin. Der Teller duftete herrlich, doch ich wartete noch bis Ginger ihr Fleisch hatte. Als auch sie ihre Schale abgab, versuchte ich uns Gespräch wieder in Gang zu bringen, während ich ihr eine Gabel und ein Messer aus der Tischmitte reichte:,,Du bist doch flink. Ich hab dich klettern sehen, mal abgesehen von dem Vorsprung hast du die große Kletterwand ja ganz gut gemeistert. Außerdem, wenn du am Anfang gleich wegrennst, sind deine Chancen, das Blutbad zu überleben doch relativ hoch." Ginger nahm die Gabel entgegen, nickte, aber wirkte nicht sonderlich überzeugt. Sie hielt ihren Wasserbecher, ihren Teller und ihr Messer hoch und schüttelte dann den Kopf. Ich verstand ihre Bedenken. Wenn sie gleich am Anfang vom Füllhorn wegrannte, würde sie zwar nicht von den Karrieros erwischt werden, allerdings würde sie dann verhungern, verdursten, erfrieren oder auf sonstige Weise umkommen. ,,Aber dafür hast du dann ja Verbündete.", warf ich ein und schob mir eine Gabel voll Erbsen in den Mund. Als ich herunter geschluckt hatte, redete ich weiter:,,Bug kennst du ja schon. Das Mädchen daneben ist Siloh aus meinem Distrikt, ich weiß, sie sieht nicht so aus, aber sie ist wirklich nett und ich glaube nicht, dass sie uns im Schlaf umbringen könnte. Bugs Bruder Dem ist auch echt ein netter Kerl. Er ist zwar grad nicht da -wo ist der überhaupt?-, aber gehört jedenfalls auch zu unserem Bündnis. Ich werd dich ihnen später mal vorstellen, wenn das okay ist?" Sie blickte mich aus ihren traurigen Augen an und zuckte mit den Achseln. Ich boxte sie freundschaftlich in die Schulter und verdrehte die Augen:,,Jetzt komm, und wenn du trotzdem stirbst, hast du wenigstens alles versucht und dich nicht einfach nur deinem Schicksal hingegeben. Wir sind wirklich ne nette Truppe." Ginger seufzte tief und nickte dann. ,,Mann du hast es mir ganz schön schwer gemacht!", fuhr ich sie aus Spaß an und winkte dann Siloh zu. Sie zog eine Augenbraue hoch und ich reckte beide Daumen hoch, dann reckte auch sie beide Daumen in die Luft und rief Ginger über den Tisch zu:,,Siloh!" Ginger lächelte und ich hätte schwören können, dass ihre großen braunen Augen ein Stückchen weniger traurig und glasig waren, als noch vor unserem Gespräch.

Survival of the fittest- A Hunger Games StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt