Kapitel 19

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,,Null Punkte.", hallte es in meinem Kopf nach. Siloh drehte sich um und blickte mich mit großen Augen an, sagte jedoch nichts. Alle Blicke lagen auf mir. Keiner im Raum sprach. Erwarteten alle, dass ich etwas sagen würde? Was sollte ich denn sagen? Es hatte keine Regeln für das Sponsorentraining gegeben. Null Punkte zogen nur meine Wahrscheinlichkeit zu gewinnen von 1:25 herunter auf 1:35, weil ich gestern früh mit Dem in das Trainingscenter eingebrochen war und es dem Kapitol nicht passte, dass zwei Tribute aus Distrikt 3 und 8 es überlistet hatten. Nun zahlten sie es uns heim. Ich hatte mir eine sehr viel bessere Punktzahl erhofft und versuchte nun, nicht all zu enttäuscht auszusehen. Ich schluckte den Kloß tief in meinem Hals herunter, während ich hoffte, dass wenigstens die anderen Tribute aus meinem Bündnis nicht das Kapitol gegen sich aufgehetzt hatten. 10 Minuten später wusste ich: hatten sie nicht. Ginger hatte solide 5 Punkte fürs Klettern bekommen, was mich sehr für sie freute. Gestern hatte sie noch so gewirkt als hätte sie damit abgeschlossen, mit einer Siegchance von 1:60 und einem Punkt am Anfangsgemetzel zu sterben. Das Mädchen mit den rabenschwarzen Haaren wurde angekündigt, sie war das Mädchen, das die Karrieros aufgenommen hatten. Nun war ich sehr gespannt, was sie dazu veranlasst hatte, denn im Trainingscenter war sie mir nie besonders aufgefallen. Als sie mit einem Lasso vor den Sponsoren stand, fiel mir erst einmal die Kinnlade herunter. Ich hatte nicht einmal gewusst, dass es überhaupt Lassos im Trainingscenter gab. Auch verstand ich nicht, wie sie mit einem Lasso jemanden umbringen wollte. Sie hatte es zwar ähnlich wie Samara in Brand gesteckt, doch konnte ich mir nicht vorstellen, dass der Plan dahinter war, den anderen Tribut einzufangen und bei lebendigem Leib verbrennen zu lassen. Und was die Karrieros für einen Nutzen aus ihr zogen, war mir auch nicht ganz klar. Nachdem sich Plinax mit einem freudigen Witz verabschiedet und sich der Fernseher automatisch ausgeschaltet hatte, hatte ich keine Lust mehr, mir das hier länger anzutun, und drückte mich noch vor allen anderen von der Couch hoch, um in mein Zimmer zu gehen. Ich brauchte nicht einmal eine Ausrede à la ,,Ich bin müde.", sondern wurde nur wortlos von allen angeblickt, während Liah gespielt mitleidig blickte. Was wollte die dumme Kuh eigentlich? Ob ich heute zwölf oder null Punkte bekommen hätte, beides wäre für ihr Leben nicht sonderlich von Bedeutung gewesen. Ich überlegte, etwas zu sagen wie:,,Liah, ich hasse dich und das Kapitol. Du hasst mich und die Distrikte. Gib dieses dämliche Maskenspiel doch einfach auf und schau nicht so mitleidig. Dir ist meine Punktzahl doch so scheißegal, wie wenn in Distrikt 12 ein Kind verhungert." Letztendlich ließ ich es dann aber doch bleiben, weil mein Leben eh schon am seidenen Faden hing. Erschöpft legte ich mich auf das Bett, ließ mir das Abendessen aufs Zimmer bringen und starrte solange an die weiße Decke bis sie gleichzeitig unfassbar weit weg und direkt vor meiner Nase zu sein schien. Irgendwann verfiel ich dann in einen traumlosen Schlaf und war schon wieder einen Tag näher an der Arena, die noch viele der Leute, die ich gerade erst kennen gelernt hatte, das Leben kosten würde.

,,Nur noch ein Tag. Nur noch ein Tag.", wisperte eine Stimme schon in meinem Kopf, bevor ich überhaupt aufgewacht war. Müde schlug ich die schweren, verquollenen Lider auf, während mir bewusst wurde, dass heute das Training mit Stev und Trisha stattfand und ich mich in einem Interview mit Plinax Praia vor gesamt Panem irgendwie in das Gedächtnis des Kapitols brennen musste. ,,Naaaaaahhhhh......", maulte ich, bevor ich die Bettdecke beiseite schlug, aufstand und das erste mal pünktlich zum Frühstück erschien. Viel Zeit zu essen, hatte ich allerdings nicht. Ich hatte gerade mal eine halbe Laugenstange gegessen, die zudem noch viel zu salzig gewesen war, da standen unsere Mentoren bereits auf und schoben Siloh und mich in Richtung des Aufzugs. Konnte man hier denn gar nie normal frühstücken? Siloh sprach mal wieder aus, was ich dachte und zischte:,,Ich war noch nicht fertig..." Trisha und Stev achteten allerdings nicht auf uns und drückten den Knopf für den Aufzug. Sie wollten das so schnell wie möglich zu Ende bringen. Von ihnen glaubte schon längst keiner mehr an uns. Eine kleine Stimme in meinem Kopf hatte die Hoffnung immer noch nicht aufgegeben gehabt, dass das Training mit unseren Mentoren doch noch etwas bringen würde. Doch nachdem sich Trisha im Trainingscenter sofort zu dem muskelbepackten Mentor aus Distrikt 7 gestellt hatte und ihm den gesamten Vormittag nicht mehr von der Seite gewichen war und Stev sich unter dem Vorwand, eine Pause zu brauchen, nach 10 Minuten in eine Ecke des Trainingscenters verzogen hatte, um sich mit Foster und Wyatt, die beide Mentoren aus Distrikt 5 waren, im Schwertkampf zu messen und dadurch für alle anderen die Station blockiert hatten, war das Stimmchen verstummt und hatte sich auf den Müllberg der enttäuschten Hoffnungen in meinem Gehirn gesetzt. ,,Du hast doch von den Hornochsen nicht tatsächlich erwartet, dass sie uns wirklich was beibringen?", fragte mich Siloh sarkastisch, nachdem ich bei ihr meinen Missmut über unsere Mentoren zum Ausdruck gebracht hatte. ,,Naja, die schaffens ja auch!", meinte ich und deutete zu den Mentoren aus Distrikt eins, die mit ihren Tributen Bogenschießen und Messerwerfen übten. ,,Die sind aber auch sieben oder acht. Das sieht jetzt so aus, als würden die sich ja ach so toll um ihre kleinen mordlustigen Tribute kümmern, weil man nicht merkt, wenn da mal ein paar fehlen. Aber die Blondine mit den Riesenbrüsten und der Typ, der bei seinen Hungerspielen alleine 14 von den 23 toten Tributen umgebracht hat, haben sich gerade knutschend in einen der Nebenräume bewegt. Ich will nicht wissen, was die da gerade machen." ,,Hey! Das war sexistisch. Die Frau reduzierst du auf ihre Brüste und den Mann auf seine Leistungen!", mischte sich eines der Mädchen aus 12 ein, das vor uns in der Schlange zum Messerwerfen stand. Siloh drehte sich langsam zu ihr um und zischte:,,Sexismus?! Du fängst hier wirklich an mit Sexismus?! Ich hab lediglich die hervorstechendsten Merkmale der Scheißmentoren aus Distrikt 1 genannt, was nunmal ihre Brüste und nicht ihre verdammten Hungerspiele sind. Wenn du mir jetzt wirklich ankommst mit politischer Korrektheit, dann sag ich dir eins: Sobald wir in der Arena sind, werd ich dich sowas von kalt machen, dass du dir wünschst, du hättest mich mal nicht unterbrochen mit deiner blöden politischen Korrektheit, denn das ist komplett korrekt, wenn ich dich umbringe, einfach nur, weil ich es will und wir hier in Panem sind. Es ist nicht korrekt, wenn Kinder in den Distrikten verhungern, während im Kapitol Leute sitzen und Tabletten zum Brechen nehmen, damit sie mehr essen können. Es nicht korrekt, wenn man sich jahrelang für Tesserasteine einträgt, nur damit die jüngeren Geschwister etwas zum Leben haben, während die Mutter mit Überstunden 13 Stunden am Tag 6 Tage die Woche in einer Fabrik steht und sich die Hände wund näht und Stoffe mit giftiger Farbe für das Kapitol einfärbt, um nicht komplett abhängig zu sein von Tesserasteinen und es keinen interessiert wenn dort einer kraftlos zusammenbricht, denn der wird einfach erschossen, und sie abends nach Hause kommt und manchmal zu kraftlos ist, um ihre Wunden zu versorgen oder die grelle Farbe von den Fingern zu waschen, die inzwischen ihre Lunge durch die ganzen Dämpfe zerstört, und der ältere Bruder einen Scheiß auf die Familie gibt, sich für keinen einzigen Tesserastein einträgt, denn die kleine sechzehnjährige Schwester kann das ja machen, und manchmal kommt er nicht mal nach Hause und keiner weiß, wo er ist oder ob er überhaupt noch lebt, sich die Mutter noch mehr Sorgen macht und eh schon völlig am Ende ist und dann steht man da, hat knapp 50 mal seinen Namen in dieser hässlichen Glaskugel, weiß, wenn man jetzt gezogen wird und stirbt, dann ist für die Familie eh schon alles zu spät, denn die Geschwister sind erst 10 und zu dritt kommen sie nicht zwei Jahre mit dem bisschen Geld über die Runden, dass die Mutter mit dem Nähen verdient und eigentlich müsste man sie selber mit dem Nähen entlasten, aber sie besteht darauf, dass man zur Schule geht, und hofft einfach nur, dass Gott einem noch drei mal gnädig ist, bis man 18 ist und der Mutter endlich helfen kann und dann, weißt du, was dann passiert? Dann kommen diese Vollidioten vom Kapitol mit ihren gepuderten Ärschen und zerstören deine Hoffnung auf ein halbwegs gutes Leben, mit einer einzigen Aktion, weil sie keinen Fick auf dich und dein Schicksal geben und einfach nur wollen, dass du möglichst schnell und spektakulär stirbst. Und das ist auch nicht korrekt. Aber darüber regt sich kein Mensch auf. Sondern nur darüber, dass ich eine der Schoßhündchen des Kapitols auf ihre vergrößerten Brüste reduziert habe. Also bitte halt deinen Mund und sag bloß nichts mehr von politischer Korrektheit, denn das, was das Kapitol mit uns anstellt, das ist alles andere als politisch korrekt. Aber kein Schwein interessierts."

Survival of the fittest- A Hunger Games StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt