Kapitel 33

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In dem Moment ertönte laut die Hymne und am Himmel erschien das Zeichen des Kapitols. Es war eigentlich viel zu früh für die Hymne, die Sonne ging ja gerade erst unter. Siloh und ich stürzten zum nächsten Fenster, um die Toten des heutigen Tages erkennen zu können. Siloh beugte ihren Kopf in meine Richtung und flüsterte, sodass die Mikrofone, die wahrscheinlich überall in dieser beschissenen Arena waren, uns nicht hören konnten:,,Da wollte uns wohl jemand unterbrechen..." Ich nickte nur stumm, meine Vermutung hatte sich damit fast bestätigt. Nachdem das Wappen des Kapitols verschwunden war, erschien zuerst das Gesicht von Lucretius, bei dessen Anblick sich mein ganzer Magen zusammen zog. Siloh bemerkte meine innere Unruhe und legte ihre Hand auf meine, die in einer verkrampften Faust auf dem staubigen Fensterbrett ruhte. Ich entspannte mich ein wenig, als sein Gesicht von der anderen Karriera aus Distrikt zwei abgelöst wurde. Es folgte Dory aus Distrikt vier, deren graue Haare mit der lilafarbenen Strähne ihr in einem geflochtenen Zopf nach hinten über die Schulter fielen. Er wirkte gänzlich unpassend zu ihren mordlustigen Blick in die Kamera und ihrer gesamten Persönlichkeit. Doch was wusste ich schon, wir hatten ja nicht einmal miteinander geredet. Mir wurde bewusst, dass auch hinter einem blutrünstigen Karriero eine Familie, Freunde und vor allem eine Person stand, die aus mehr als aus Waffen und Mordlust bestand. Ihr Gesicht verschwand und das von Ginger tauchte auf. Ihre roten Haare waren zu zwei Zöpfen gebunden und sie blickte mit trüben Augen gen Unendlichkeit. Sie war für eine Zwölfjährige stark geschminkt, um ihre verheulten Augen zu überdecken, doch die am unteren Wimpernkranz leicht verschmierte Mascara und ihre unnatürlich und fleckig geröteten Wangen verrieten, dass sie während der Aufnahme des Fotos stark mit den Tränen zu kämpfen hatte. Ich verkrampfte mich abermals und atmete schwer, als mich der Gedanke an ihren leblosen zusammengesunkenen Körper erneut packte. Siloh drehte sich zu mir und griff nach meinen Schultern, um mich in ihre Arme zu ziehen. ,,Es war nicht deine Schuld, okay?" Ich nickte vorsichtig, aber eines besseren belehrt. Gingers Gesicht verschwand und mir war klar, dass ich ihr kleines zartes Gesicht ab jetzt nie wieder sehen würde. Ich wollte mich abwenden, doch die Hymne lief weiter und es erschien erneut ein Gesicht. Es war das des Mädchens aus Distrikt 10. Die Hymne verstummte und es war wieder totenstill. ,,Wie viele sind jetzt noch übrig?" ,,Acht oder neun..", riet ich, ,,Waren das alle Karrieros?" ,,Lass uns mal alle aufzählen!", schlug Siloh vor und hob einen spitzen Stein vom Boden auf. In den Schlamm, der sich unter einem tropfenden Rohr sammelte, malte sie jede Zahl von eins bis zwölf zweimal. ,,Okay, wir streichen jetzt alle durch, die sicher tot sind!" ,,Lucretius und Gleam", begann Siloh und strich die zwei Einsen durch. Ich ergänzte:,,Bulla ist tot, das weiß ich. Eigentlich können wir doch alle Karrieros durchstreichen, oder nicht?" ,,Sicher? Könnte mich nicht erinnern, die eine aus vier am Himmel gesehen zu haben." ,,Doch, Dory ist sicher tot!", wandte ich ein. ,,Nicht das Taubenmädchen. Die andere. Oder hast du die gesehen?" Ich dachte einen kurzen Moment darüber nach. Ich hatte das Mädchen mit den spitzen Zähnen tatsächlich nicht gesehen. Ich schüttelte den Kopf und strich eine Fünf mit einem weiteren Stein durch. ,,Beide!", ergänzte Siloh. Aus sechs eine, aus sieben Tanning. Die beiden Achter ließen wir mit einem kleinen Lächeln stehen. Beide aus neun, beide aus zehn. Bei der zweiten Zehn schnürte sich mir erneut der Magen zusammen. ,,Sinds beide aus 11?", fragte ich Siloh, ,,Oder nur einer?" ,,Nur der Riese, der mit den Rastalocken lebt noch. Darauf hab ich geachtet." Als ich ihr daraufhin einen fragenden Blick zu warf, antwortete sie nur schnippisch:,,Ich hab auch Freunde, die nicht du bist." Ich ließ das dann einfach mal so stehen. Ich kniete mich hin und strich auch noch die beiden Zwölfer durch. ,,Füllhorn.", sagte ich nur trocken, ohne mit nur einem Mucks zu erwähnen, dass ich für eine der Zahlen verantwortlich war. ,,Also eins...zwei...drei......acht!" ,,Vier davon sind aber wir.", gab ich zu bedenken. Den Gedanken, dass wir uns bald aufteilen würden müssten bevor einer sich plötzlich gegen die anderen wandte, dachte ich im Stillen zu Ende. ,,Also wer ist denn jetzt noch wirklich ne Bedrohung?" ,,Oh die Karriera, definitiv die.", antwortete ich. ,,Vielleicht noch der aus 11, keine Ahnung wie der ist. Aber wenn der bis jetzt überlebt hat, sicherlich nicht ungefährlich." Siloh nickte und kreiste die beiden ein. Sie blickte lange auf die Zahlen bis sie sich zu mir wandte und ohne Ton nur die Lippen bewegend flüsterte:,,Dem." Ich biss mir auf die Lippe und nickte. Natürlich hatte auch Siloh daran gedacht. Sie war genau so wenig auf den Kopf gefallen wie ich. Bestimmt hatte auch Dem schon daran gedacht, was passieren würde, nachdem Bug gestorben war. Ich erschrak vor mir selbst, als ich diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte. Unterbewusst hatte ich es schon die gesamte Zeit gewusst, dass Bug nicht mehr lange durchhalten würde, aber so ausgesprochen bekam alles noch einmal mehr Dimension. Siloh stand auf und klopfte sich den Staub von den Knien. Sie hielt mir die Hand hin und ich zog mich an ihr hoch. ,,Und jetzt?", fragte ich, während wir zurück zu Dem schlenderten. ,,Warten. Die Karriera und der Rastajunge werden uns schon finden, wenn sie gewinnen wollen." Sie schwieg einen Moment, dann fügte sie hinzu:,,Oder er...", sie warf einen Blick auf Bug, dessen schmales eingefallenes Gesicht wir nun in der kühlen Abendsonne erkennen konnten, nachdem wir unser Lager erreicht hatten. ,,Ja, ich weiß.", antwortete ich tonlos, wir wussten beide, dass wir nun einfach zu warten hatten. Ich ließ mich wieder auf meine Decke sinken und lehnte mich gegen eine Betonwand, die noch schwach von der Sonne gewärmt war. Siloh blieb stehen und blickte erst mich, dann den schlafenden Bug und dann den dösenden Dem an. Dann warf sie ihren Blick auf ein riesiges Loch in der Wand am anderen Ende des Raumes. ,,Ohne Mist, dieser Raum ist doch zerlöchert wie Schweizer Käse. Da können wir doch sicherlich ein Feuer machen ohne zu sterben oder nicht?" ,,Was ist bitte Schweizer Käse?", fragte ich verständnislos. ,,Was weiß ich! Ich kenne keine Schweiz und Käse esse ich nur an Feiertagen. Das sagt man halt so!", schimpfte Siloh und hob einige Stöcke, die der Wind herein geweht hatte, vom Boden auf, ,,Hilfst du mir jetzt bitte?" ,,Ja okay, Entschuldigung. Wie konnte ich mich bloß hinsetzen? Ich hätte ja wissen müssen, dass du irgendne Idee hast!", antwortete ich im gleichen Ton. ,,Mädels, alles ist okay.", mischte sich verschlafen Dem ein und richtete sich auf. Er schob Bugs Kopf vorsichtig von seinem Oberschenkel und stand nun ganz auf. Zerknittert und gebrochen, wirkte er fast zwanzig Zentimeter kleiner. ,,Ich hol Holz von draußen." Siloh hielt in ihrer Bewegung inne und drehte sich ruckartig um. ,,Sicher? Magst du nicht hierbleiben und May geht Holz holen?" ,,Ja, ich krieg das hin. Ich bin gleich zurück." Siloh und ich wechselten einen vielsagenden Blick und sammelten weiter Reisigäste und Holzpellets vom Boden auf. Schließlich begannen wir ein großes Stück Rinde von einem dicken Ast ab zu pulen, um damit Feuer machen zu können. Als Dem nach knapp einer halben Stunde noch nicht aufgetaucht war, begannen wir, uns Sorgen zu machen. Vorhin hatte er sich noch nicht mal zum Essen von seinem Bruder trennen wollen. ,,Eigentlich fehlt uns jetzt nur noch großes Holz, Kleinzeug haben wir genug.", bemerkte Siloh, ,,Wir können ja schon mal anfangen." Ich kniete mich auf den harten Boden und band Bast um einen gebogenen Stock, während Siloh aus großen Kieseln und Backsteinen einen Kreis legte, den sie mit staubigem Moos von den Wänden auslegte. Wir brachten langsam eine ansehnliche Glut zustande, als wir endlich Schritte hörten. Entgegen unserer Erwartungen hörten wir nicht nur Dems, sondern gleich zwei Paar, die hastig die Metalltreppen hoch sprangen. Siloh drehte sich zu mir um. ,,May?", zischte sie. Ich nickte. Blitzschnell sprangen wir auf - Siloh gekonnter als ich- und schnappten uns unsere Waffen. Sie warf sich den Köcher um und spannte geschickt einen der Pfeile ein. Ein Wurfmesser in der einen, einen gebogenen Dolch in der anderen Hand und einen Pfeil bis zum Anschlag gespannt auf die Tür gerichtet, warteten wir, bis sich die Schritte direkt vor der Tür zu unserem Raum befanden. Wir hörten, wie die zwei abbremsten und durch das Loch krabbelten. Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals. Für noch einen Tod mehr, wollte ich heute echt nicht verantwortlich sein. Die Schritte kamen immer näher und noch näher. Zehn Meter, Sieben, Fünf. Auf einmal hörten wir Dems Stimme aus dem Nebenraum:,,May, Siloh, ich hab wen mitgebracht! Das ist Rika." Beinahe schon die Zähne fletschend betrat ein sportliches großes Mädchen den Raum. Siloh und ich realisierten zeitgleich, wer da gerade vor uns stand. Surrend schnellte ein Pfeil direkt auf ihr Herz zu. 

Survival of the fittest- A Hunger Games StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt