Kapitel 14

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Das restliche Mittagessen und das Training waren ziemlich ereignislos gewesen, weswegen Siloh und ich beim gemeinsamen Abendessen mit unseren Mentoren, unserer Betreuerin und unseren Stylistin nicht viel zu erzählen hatten, als Liah uns wieder einmal fragte:,,Wie war das Training heute? Habt ihr euch schon entschieden, was ihr den Sponsoren morgen vorführen wollt?" Ich erzählte nur, dass ich Ginger kennen gelernt hatte und sie nun zu uns gehörte. ,,Ginger? Ist das nicht das zwölfjährige Mädchen aus 11?", fragte Stev verwundert. ,,Unter den zweiundzwanzig Tributen, mit denen ihr euch verbünden könntet, müsst ihr ausgerechnet das zwölfjährige kleine Ding nehmen, das wahrscheinlich nicht mal ne Fliege töten kann. Sehr intelligent!" Ich wollte etwas patziges antworten, doch Siloh kam mir zuvor. Sie war im patzig sein sowieso viel besser als ich. ,,Erstmal kommt Ginger aus 10, nicht das es irgendwen in ein paar Tagen, wenn wir alle tot sind, noch interessiert, aber gut. Und das mit der Fliege ist ein dämliches Vorurteil. Darf ich noch einmal anmerken, dass sie aus Distrikt 10 kommt? Distrikt 10. Viehzucht. Alle Kinder von da haben bereits häufiger gesehen, wie ne Kuh geschlachtet wurde und ich bin mir relativ sicher, dass Ginger auch selber ne Kuh schlachten kann. Und der Weg von der Kuh zum Menschen ist jetzt nicht riesig groß." ,,Aber der Unterschied von >kann nicht mal bei der Schlachtung eines Truthahns zusehen< zum unschuldigen Teenager, der auch nur leben will, ist gewaltig.", dachte ich und biss mir auf die Unterlippe. Stev zuckte mit den Schultern. ,,Wenn du meinst, dass es klüger ist, dich mit ihr zu verbünden, anstatt mit beispielsweise einem der Jungen aus 9, dann bitte. Aber beschwer dich nicht bei mir, wenn du stirbst, weil sie ne Nachtwache oder so übernommen hat und den Karriero, der ankommt, nicht töten kann." ,,Werd ich nicht. Und ich werd definitiv nicht wegen ihr sterben, sondern weil das System hier in Panem einfach so verdammt scheiße ist. Ich mein, wer denkt sich das denn aus, dass wir einen super reichen Bereich haben und zwölf arme?! Und als ob das noch nicht dumm genug ist, nehmen wir am besten noch jedes Jahr Kinder, die sich gegenseitig umbringen und finden das großartig. Juhu! Ich scheiß auf das System hier. Wenn es deiner Meinung nach besser ist, sich mit irgendnem Idioten zu verbünden, um zu überleben, dann ist das okay. Aber da ich sowieso nicht lebend aus der Arena rauskommen werde, suche ich mir wenigstens Menschen, die ich mag, die ich dann als letztes vor meinem Tod sehe, anstatt irgendne Pickelfresse aus neun! Ich bin satt." Siloh legte ihr Gabel und ihr Messer mit einem Klirren auf ihren noch fast vollen Porzellanteller und stand auf. Mit schnellen Schritten lief sie die Treppe in den Wohnbereich hinauf, den wir so gut wie nie nutzten, und stampfte in Richtung unserer Zimmer davon. Wir alle, einschließlich der Avoxe, blickten ihr nach und wandten uns erst ab, als die Tür zu Silohs Raum laut knallte. Im Stillen gab ich Siloh Recht über das, was sie gesagt hatte. Das System war krank. Keine Frage. Doch es sich deswegen mit unseren Mentoren zu verscherzen, war vielleicht nicht das Klügste, was man tun konnte. Und so aß ich schweigend auf und stand erst auf, als sich auch die anderen erhoben. Ich lief schnell die Stufen hoch und rannte dann fast in Richtung meines und Silohs Zimmer. Versuchend, meinen Atemrythmus wieder zu normalisieren, kam ich vor Silohs Zimmertüre zum Stehen. Während ihres Wutanfalles war mir etwas eingefallen. Und ich musste unbedingt mit Siloh darüber reden.

Aufgeregt klopfte ich an ihrer Tür, wartete dann aber gar nicht mehr ab, was sie antwortete, sondern riss die Tür schwungvoll auf. Ich erwartete, dass sie nun etwas patziges sagen würde, von wegen >Lass doch die Tür ganz.<, aber sie war gar nicht in ihrem Zimmer. ,,Siloh?",rief ich, während ich an der Badtür klopfte. Keine Antwort. ,,Bist du da drin?" Keine Antwort. ,,Mann Siloh." Ich wollte gerade ins Bad gehen, da fiel mir auf, dass die Balkontüre offen war. Ich hoffte, dass ich sie auf dem Balkon finden würde, denn ansonsten wusste ich nicht, wo ich sie hätte noch suchen sollen. Die schon etwas abgekühlte Abendluft schlug mir entgegen. Sie war wie elektrisiert und ich konnte deutlich spüren, dass uns ein Sommergewitter bevorstand. So großartig, wie diese Wetterstimmung war, so bedrohlich war sie auch. Ich trat an den Rand des Balkons und hielt mich am Geländer fest. Hier draußen standen ein paar Stühle und auch ein Tisch, jedoch keine Siloh. Als ich nach unten blickte, wurde mir fast schwindelig. Der achte Stock lag gut 25 Meter über dem Platz, auf dem sich immer noch massig Menschen tummelten. Ich wollte gerade wieder rein gehen und einfach hoffen, dass es Siloh gut ging, da trat ein kleiner Körper, der genau Silohs Umrisse, hatte in mein Blickfeld. Sie entfernte sich gerade von unserem Hochhaus und mischte sich unter die Leute auf dem Patz. Das konnte ja wohl nicht wahr sein. Wie war sie bitte an den Friedenswächtern vorbei nach unten gekommen? Sie war doch nicht etwa die 25 Meter nach unten geklettert?! Sie war zwar verrückt, aber doch nicht so verrückt?! Aber egal, wie sie das gemacht hatte, eins stand fest: Ich musste ihr folgen und ihr so schnell wie möglich von meinem Plan erzählen.

Nachdem ich aus meinem Zimmer noch schnell meine Jacke geholt hatte, fuhr ich mit dem Aufzug bis ins Erdgeschoss. Die beiden Avoxe, die im Wohnbereich gestanden hatten, wollten mich zwar aufhalten, doch da sie beide nicht sprechen konnten, hatte ich einfach so getan, als hätte ich sie nicht bemerkt. Wegen der späten Stunde, war ich alleine in dem relativ großen Fahrstuhl. Also hatte ich nichts besseres zu tun, als in den Spiegel an der linken Seite zu blicken und  nervös meine Bluse zu richten und glatt zu streichen. Als ich endlich unten ankam, wies die blaue Bluse kaum noch Falten auf, welche ich allerdings sofort wieder in die Bluse hineinbrachte, als ich nach dem >Pling< aus dem Fahrstuhl stürzte. Vorbei an der Sofalounge, die nie jemand nutzte und nur zum Schmuck diente, am Nebeneingang des Studios für die Interviews und den dazugehörigen anderen Räumen entlang bis zum Hauptausgang , vor dem einige Friedenswächter standen. Das war zwar zu erwarten gewesen, doch trotzdem fluchte ich leise. Wie sollte ich denn jetzt aus dem Gebäude herauskommen? Dann fiel mir die Küche ein. Irgendwo bekamen wir ja auch unser Essen her. Und diese Küche hatte ganz bestimmt einen Lieferanteneingang für die Lebensmittel aus den Distrikten. Diese Eingänge waren um diese Uhrzeit ganz bestimmt nicht bewacht. Doch wo befand sich die Küche? Im Keller waren außer den Trainingsräumen und dem Speisesaal für uns Tribute keine Räume mehr. Auch die Stöcke 1 bis 12 waren ja bereits durch die Appartements belegt. Es blieb also nur das Erdgeschoss, welches zugegebener Maßen ziemlich weitläufig war. Ich rannte also in die entgegengesetzte Richtung der Friedenswächter, die mich glücklicherweise noch nicht entdeckt hatten, nur um an einem kleinen Platz anzukommen, an dem sich vier Wege trafen. Na super! Während ich hier herumirrte, war Siloh vermutlich schon in den Untiefen des Kapitals verschwunden! Ich hätte wahrscheinlich aufgegeben, wäre in dem Moment nicht eine kleine Frau mit Haarnetz und Schürze aus einem der Räume in einem der vier Gänge erschienen und hätte mir dadurch gezeigt, wo sich die Küche befindet. Ich lief schnell in den dunkelsten der Gänge hinein, in der Hoffnung, dass sie mich dann nicht sehen würde. Dummerweise ging durch meine Bewegung das Licht in diesem Gang an und ich musste mich schnell hinter eine große Zimmerpalme ducken. Warum die hier wohl Zimmerpalmen hatten? Es erschien mir relativ sinnlos, da sich hier doch eh nie jemand aufhielt. Solle einer das Kapitol verstehen... Ich hielt die Luft an, als die Frau an mir vorbei lief und versuchte kaum ein Geräusch zu machen. Glücklicherweise sah sie mich nicht und ich konnte ungehindert in den Raum hineinlaufen, aus dem sie gekommen war. Ich öffnete die Tür einen Spalt breit, doch ich konnte keine Gestalt dort erkennen. War sie tatsächlich alleine in der Küche gewesen? Der große Raum war dunkel und so vermutete ich, dass keiner der Küchendamen noch arbeitete. Und ich hatte Recht. Jetzt musste ich mich nur noch in der dunklen Küche vortasten und den Lieferanteneingang finden. Das konnte ja nicht so schw... ,,Rumms!", mit einem lauten Scheppern fiel der Topf, der vorher noch auf der Arbeitsfläche gestanden hatte, zu Boden und das Licht ging automatisch an. Das war zwar gut für mich, doch nun mussten auch die Friedenswächter wissen, dass ich hier war. Ich durfte mich nicht lange in dem Raum umsehen. Das musste ich auch nicht. Ein kurzer Blick genügte, um mir zu sagen, dass ich den Lieferanteneingang -meinen Ausgang- neben dem Kühlraum fand. Ich legte meine warme, schwitzende Hand auf den kalten Metallknauf. Er ließ sich drehen und in der Tat konnte ich einige Sekunden später in die elektrische Gewitterluft treten. Erleichtert ließ ich Tür hinter mir zufallen und stürzte einmal um das Gebäude herum. An der Vorderseite war wie erwartet keine Siloh mehr zu sehen. Auch wenn es logisch war, dass sie dort nicht auf mich gewartet hatte, hatte ein kleiner Teil von mir doch gehofft, sie dort noch vorzufinden.  Der Vorplatz hatte sich inzwischen geleert und die Cafés ihre Sonnenschirme geschlossen und Stühle hereingebracht. Nur noch ein paar Menschen saßen auf den Stufen hinauf zum Freiheitsdenkmal, das anlässlich der 100. Hungerspiele aufgestellt wurde, und schleckten ihr Eis zu Ende oder tratschten noch über die neueste Mode. ,,Freiheitsdenkmal. Welche Ironie.", dachte ich, während ich einmal den Platz umrundete. Dann, nach einer halben Stunde des Umherstreifens und Suchens, entdeckte ich, in einer Seitengasse auf einer Brücke, die über einen halbunterirdischen Fluss führte, sitzend, Siloh.   

Survival of the fittest- A Hunger Games StoryWo Geschichten leben. Entdecke jetzt