Epilog

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Ich verbinde nicht nur positive Erfahrungen mit Amerika. In Amerika hat mein Leben begonnen, in Amerika ist es in tausende von Teilen zersprungen. In Amerika wurden diese Teile aber auch wieder zusammengesetzt. Ein Teil von mir, ein Teil, der nicht gerade gering ist, wird immer in Amerika bleiben. Und wird nie von dort verschwinden.

Das letzte Mal, als ich nach Amerika reiste, war ich am Boden. Man kann es gar nicht anders ausdrücken. Mein Leben war ein reinster Scherbenhaufen. Aber als Mademoiselle Diable, der Frau, die ich schon seit Jahren war, konnte ich das nicht zugeben. Und so kam ich aus, zugegebenermaßen, recht hinterhältigen Gründen wieder zurück in meine Heimat. Ich kann ihnen gar nicht genau sagen, wie viel Überwindung es mich gekostet hat, dorthin zurückzukehren. Als hätte man mir all die Narben, die Jahre gebraucht hatten, um zu heilen auf ein Mal aufgerissen – nein, zerfetzt -  wäre eine mögliche Beschreibung für meine damalige Gefühlslage.

Und dann geschah etwas, von dem ich nie geglaubt hätte, dass es passieren würde. Ich verliebte mich. In einen Mann, von dem ich nie gedacht hätte, dass er mich auch nur interessieren würde. Einem Mann, dem ich am ersten Tag am liebsten die Genitalien aus der Hose gerissen hätte, wenn ich ehrlich bin.

Kennen sie das Sprichwort, dass besagt, man sollte Menschen nie nach dem ersten Eindruck beurteilen? Seit dem ich diesen Mann getroffen habe, halte ich mich daran. Dann, mein Gott, ich habe mich ja so getäuscht. Aber ich glaube, er hatte sich nicht weniger in mir getäuscht. Ich möchte sie gar nicht lange mit dem langweilen, was danach passierte. Letztendlich bin ich zurück nach Paris gegangen, zurück zu meinem Job. Nicht, weil wir einander nicht liebten, oh nein, glauben Sie mir, dass taten wir, mehr als alles andere. Sondern weil wir es als das Beste ansahen. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob es wirklich das Beste war. Es schien das Richtige zu sein, damals sowie heute. Ich bereue nicht, zurückgegangen sein. Aber das heißt nicht, dass ich ihn nicht vermisse. Das heißt nicht, dass ich ihn nicht noch immer liebe. Das Beste und das Richtige sind nicht immer dasselbe, dass habe ich gelernt. Aber das war nicht das Einzige, das ich gelernt habe. Ich habe gelernt, was es heißt, sich zu versöhnen, was es heißt, zu vertrauen, was es heißt, wahrhaftiges Glück zu haben. Ich habe Menschen kennengelernt, Menschen, deren Geschichten wohl Tränen in die Augen des Einen oder Anderen treiben würden. Und ich habe noch etwas gelernt. Etwas Wichtiges.

Ich habe gelernt, was es heißt, zu lieben.

Aus gebrochenem Herzen bin ich nach Hause gegangen, gekommen bin ich als vollkommen anderer Mensch. Ich habe viel gelernt, von Menschen, denen ich immer dankbar sein werde.

Es waren nicht nur fröhliche, auch schmerzhafte Erfahrungen. Aber dennoch Erfahrung, die ich nicht missen möchte, auf keinen Fall.

Und doch war jede einzelne Erfahrung, die ich vor einigen Monaten gesammelt habe, ein Grund mehr, dass hier auf die Beine zu stellen.

Ich bin nach Paris gekommen, mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Und ich hatte neue Ziele vor den Augen. Ziele, die sich mir zuvor noch nicht mal in meinen Träumen gezeigt hatten.

Und so habe ich gearbeitet, viel mehr als in den Jahren davor. Wir haben all das in einer Rekordzeit aufgestellt, viel schneller, als ich gedacht hätte, das dies funktionieren würde.

Und im Endeffekt ist das auch gut so. Denn nun, als Patentante der kleinen Hailey, habe ich mehr als nur einen Grund nach Amerika zurückzukehren, immer und immer wieder.

Es ist auch der Mann, der Mann, den ich damals habe ziehen lassen. Er zieht mich immer noch hier her, jedes Mal. Ich kann nicht ohne ihn, dass weiß ich jetzt.

Aber ob ich mit ihm kann, dass weiß ich auch nicht. Wir beide sind zwei komische Gesellen, das können sie mir glauben. Aber wir lieben einander. Noch immer, wie am ersten Tag. Und unsere Liebe hat auch nicht nachgelassen, selbst, als ich für Monate in Paris verschwunden war und mich nicht gemeldet habe.

Ich habe mich zwar nicht gemeldet, aber ich habe immer an ihn gedacht. Ich habe ihm das Studium ermöglicht, ein Studium, das er schon lange verdient hatte. Und er hat mich darauf hin angerufen und mich angeschrien, beschimpft, wie ich ihm so etwas antun konnte. Und ich habe gelacht und gemeint, es wäre meine Revanche. Immerhin hatte er mich zum Gehen gezwungen, nachdem er mir einen Hochzeitsantrag gemacht hatte.

Wie gesagt, wir beide sind wahrhaftig komische Gesellen.

Dann haben wir wieder wochenlang keinen Kontakt gehabt. Es hat mich gequält, nicht mehr seine Stimme zu hören. Ihn nicht mehr um mich zu haben, ihn nicht mehr neben mir zu spüren. Ja, es hat mich beinahe innerlich zerrissen. Und wenn wir dann mal telefoniert haben, haben wir gestritten.

Wissen Sie, wann ich ihn das nächste Mal gesehen habe?

Nach Haileys Geburt. Hailey, die Tochter des Paares, dessen Hochzeit wir organisiert hatten. Er stand einfach da, in diesem dämlichen Flur und hatte dieses dämliche Grinsen im Gesicht. Sah immer noch genauso unverschämt gut aus wie damals. Und ich war ihm sofort verfallen. Am liebsten wäre ich ihm in dem Moment um den Hals gesprungen, aber wir befanden uns im Krankenhaus und… dann waren da noch die vielen Streitereien zwischen uns. Wir hatten keine Ahnung, was jetzt eigentlich zwischen uns war.

Aber das wussten wir nie. Wir wussten nie, ob wir zusammen waren oder ob wir uns getrennt hatten. Wir wussten nur, dass wir uns liebten.

Später habe ich mit ihm geredet. Habe ihm gesagt, dass ich noch bleiben werde, eine Woche. Vielleicht auch länger. Es sind beinahe zwei Monate geworden. Ich weiß immer noch nicht, was das ist, zwischen uns. Irgendwas zwischen Gut und Böse. Aber mit dem Gut hatten wir es eigentlich noch nie so. Wir werden uns weiter streiten und ich weiß nichht, ob es etwas für immer ist. Aber wissen Sie, was mir einmal ein sehr kluger Mensch gesagt hat?

Lieben heißt einem die Kraft geben, dich zu verletzten. Aber darauf zu vertrauen, dass er es nicht tut.

Als man mir das das erste Mal sagte, habe ich nicht zugehört und bin weggerannt. Heute weiß ich nicht, ob ich diesen Ratschlag annehmen werde. Vielleicht, irgendwann mal. Aber wer weiß?

Immerhin haben wir eine Chance.

Dank Froide, dank unseres neuen Sitzes in Atlanta und dank Joel, der das Magazin in Paris stellvertretend für mich perfekt leitet, haben wir vielleicht eine Chance. Ich weiß es nicht. Ich liebe ihn, und er liebt mich. Er hat mich gefragt, ob ich ihn heiraten will. Klar, ich und heiraten. Eher würde ich in der Hölle schmorren.

Sie fragen sich, warum ich ihnen all das erzähle?

Weil das alles wichtig ist. Denn das alles, dass alles hat hierzu geführt.

Zu der ersten, amerikanischen Ausgabe der Froide.  

Ich habe übrigens ja gesagt.

Aber ihn heiraten?

Vielleicht in 20 Jahren.

                                                                                                                                         

 ©Froide, 1. Ausgabe/2014

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